Nicht ohne meine Schwester oder Teilen macht Spaß!

Nicht ohne meine Schwester

Ich bin stolz auf unseren Stenz. Er ist großartig. Seit fast neun Monaten liebt er nun unser Baby uneingeschränkt und bedingungslos! Und das obwohl seine Schwester seine Liebe seit geraumer Zeit auf eine harte Bewährungsprobe stellt. Denn auf einmal hat sich unser Baby zu einem fünfzahnigen Mini-Löwen mit eigenem Willen und einer speziellen Saugnapf-Robb-Technik gemausert. Lautete meine Antwort auf die Frage „Und was kann Euer Baby denn so?“ in den ersten sieben Monaten seines Daseins noch etwas verschämt „oh, es kommt nach mir, es kann ganz ausgezeichnet rumliegen und beobachten“. So kann ich heute mit großem Stolz verkünden, dass es sich mittlerweile in Windeseile durch unser Haus mäandert und alles, was ihm unter die Finger oder Zähne kommt, platt macht.

Duplo-Türme – ihr lebt gefährlich!

Dabei hat sich das Baby auf das Zerlegen fragiler Duplo-Baukonstruktionen spezialisiert. Wie ein Raubtier erfolgt die Beute bzw. Zerstörung immer nach einem gewissen Schema:

  1. Das Ziel der Begierde wird löwengleich fest mit den Augen fixiert. Allerdings zeigt der Miniatur-Löwe ein atypisches Jagdverhalten. Denn anstatt sich still und heimlich an seine Beute heranzuschleichen, kündigt das Baby den Beginn seiner Pirsch durch ein freudiges Bockeln und lautstarkes, sonores Brummen an. Ich vermute, dass es sich hierbei um ein besonderes Imponiergehabe handelt, um sich im Land der Baukräne, Legomännchen und Traktoren den nötigen Respekt zu verschaffen. So weiß im Spielzeugparadies jeder, das Baby hat nun seine Fährte aufgenommen.
  2. Saugnapftechnik sei Dank wird das Beute-Objekt dann auch, husch, husch die Waldfee, zügig angesteuert. Dabei wird das Brummen fortgesetzt und akustisch gesteigert.
  3. Bis schließlich unter großem Jauchzen und hochfrequentem Schreien der Todesstoß für die vom Stenz mit viel Liebe und Akribie erbauten Duplo-Türme erfolgt. Entweder es haut mit seinen, für ein neun Monate altes Baby relativ großen Patschehänden, die Legotürme entzwei oder es beißt so lange in die Plastik-Architektur, bis das Bauwerk in sich zusammenfällt.
  4. Dieses Zerstörungs-Feuerwerk wird dann nochmals onomatopoetisch durch einen letzten Schrei der unendlichen Wonne besiegelt.

Leider, denn wenn der Stenz bisher noch nicht von der Verwüstung seiner Duplo-Paläste unterrichtet wurde, erfährt er spätestens jetzt durch das stolze Jubilieren des Jung-Löwen, dass seine kleine Stadt einem verheerenden Erdbeben unterlag. Es ist nachvollziehbar, dass die Ausmerzung seiner manchmal über zwei, drei Tage erbauten Konstruktionen nicht gleichgültig aufgenommen wird. Der Stenz wirft sich auf den Boden, weint schrill und bündelt seine Enttäuschung und Wut in folgendem verbitterten Ausspruch: „Wenn das Baby so weitermacht, will ich es nicht mehr hochzeiten!“ Um diesem Satz auch Taten folgen zu lassen und zum Beweis, dass er es mit seiner Drohung bitterernst meint, folgt ein Zwicken in die Pausbacken des Babys. Und auch im Verlauf des Tages zeigt der Stenz seiner Schwester die kalte Schulter.

Das Baby im Exil

Während die Beziehung meiner Kinder im ersten halben Jahr bei allen Aktivitäten des Stenzes noch unter dem Motto stand: „Nicht OHNE meine Schwester“ lautete gestern das Credo zum ersten Mal „Nicht MIT meiner Schwester“ So ertappe ich den Stenz dabei, wie er das Baby, das unter Aufbringung seiner letzten Kräfte vom Bad bis ins Kinderzimmer robbt, um des Stenzes Spiel mit seinem Freund zu observieren, recht unelegant aus seinem Kinderzimmer hinausmanövriert. Er packt es nämlich an den Beinen und zieht es bäuchlings vor die Kinderzimmertüre, die dann schallend zugeschmissen wird. Das Baby schaut verdutzt und klagt sein Recht auf ein aktives Mitspielen laut vernehmbar ein. Leider ohne Erfolg. Die Kinderzimmertüre bleibt verschlossen.

Der neue Trend im Playmobil-Land: Man trägt Glatze

Nach einer kurzen Zeit des Unmuts besinnt sich das Baby dann aber wieder auf die Spielsachen vor der Kinderzimmertür und erfreut sich an einem kleinen Nachmittags-Snack. Dieser besteht darin, das „Läuse-Buch“, das ich von unserer Kinderärztin vorsorglich zur richtigen Behandlung der lästigen Kopf-Parasiten erhielt, anzuknabbern. Ähnlich wie mein Wellensittich vor zwanzig Jahren nagt sich das Baby mit Vorliebe durch alle Pixie-Bücher des Stenzes. Auch schillernd bunte Kunstwerke, die der Stenz im Kindergarten in stundenlanger Kleinstarbeit fertigte, strahlen für das Baby eine unglaubliche Magie aus. Sie schreien wohl förmlich danach „Iss mich, ich bin lecker“. Eine weitere Delikatesse sind Playmobil Männer und Frauen. Denn an den Köpfen der kleinen Plastik-Figuren lassen sich herrlich die täglich neu erscheinenden Zähne wetzen. Die Zahnbilanz des Babys ist beachtlich: Innerhalb von drei Wochen vier neue Schneidezähne oben. Ich kann es manchmal kaum glauben, wenn ich in das kleine Gesichtchen schaue. Nix mehr mit zahnlosem Lachen. Dieter Bohlen kann sich schon einmal warm anziehen, wenn das so rasant weitergeht. Als Vorsichtsmaßnahme, habe ich sicherheitshalber bei allen tausend Playmobil-Männchen Friseur gespielt und ihnen ihr üppiges Haar gestutzt. Außerdem habe ich sie um sämtliche Hüte und Helme gebracht. Im Zuge einer glatten Rasur stibitzte ich den Rittern außerdem ihre Schwerter, und Armbrüste. Leider mussten auch die Polizisten und Feuerwehrmänner dran glauben und laufen seit der General-Beseitigung sämtlicher Kleinteile, die vom Baby verschluckt werden könnten, ohne Handschuhe, Polizistenkappen, Feuerwehrschläuche und Handkellen umher. Ich gebe zu, es ist ein jämmerlicher Anblick, den der Stenz leider auch sehr schlecht aufnimmt. „Was ist denn mit den Piraten passiert Mama?“ hörte ich ihn fassungslos gen Küche schreien. „Was meinst Du?“ entgegnete ich unschuldig, um etwas Zeit zum Nachdenken zu schinden. „Die haben keine Schwerter mehr und der Captain hat `ne Glatze“ erwiderte der Stenz emotional hoch aufgewühlt. „Du, es ist doch Sommer und unseren Männchen war sehr heiß, die haben furchtbar auf dem Kopf geschwitzt.“ „Papaaaaa, die Mama hat gelügt!!!“ Ich gebe zu, es ist eine infame Lüge, die der Stenz entlarvt und weil ich damit nicht durchkomme, versuchte ich es mit der Wahrheit: „Du, unser Baby kann sich an den ganzen Kleinteilen verschlucken, daher bewahre ich sie vorsorglich für eine Zeitlang an einem sicheren Ort für Dich auf.“ „Nein!“ Es folgt ein mittelgroßer Wutausbruch des Stenzes, den ich sogar recht gut nachvollziehen kann.

Oh Schreck, oh Schreck das Eis ist weg!

Kurz nach der Entbindung gab mir eine Hebamme im Krankenhaus den Rat, sehr behutsam mit meinem Erstgeborenen zu Hause umzugehen. Denn auf einmal mit einem Geschwisterkind konfrontiert zu sein, wäre ja eigentlich so, als würde mein Mann plötzlich eine andere Frau anschleppen, mit der ich fortan alles teilen müsse. Obwohl ich den Vergleich damals etwas waghalsig fand, kommt er mir mittlerweile gar nicht mehr so sonderbar vor. Denn ich glaube, ich würde ebenfalls ausflippen, wenn mir „die Andere“ nicht nur mein Haus verwüsten, sondern auch meine Lieblingssachen wegfuttern würde. Und genau das tut das Baby. Denn nicht nur Playmobil Männchen helfen wohl beim Zahnen, sondern auch Eis – des Stenzes liebste Speise. Verweigert das Baby ja grundsätzlich jede Nahrung außer Milch, macht es bei Eis eine generöse Ausnahme und weitet das Mäulchen beim bloßen Anblick des süßen Vanilletraumes sperrangelweit. Um dem Stenz, der ja ebenfalls nicht gerne isst, vor seiner Hauptmahlzeit den Appetit nicht gänzlich zu verderben, bringe ich ihm im Schwimmbad ein winzig kleines Eis als Appetizer sozusagen. Selbst der Opa bekommt beim Sichten dieses Miniatur-Eises einen Lachanfall und fragt mich ironisch, ob dieses „Eislein“ denn ein Witz sei? Der Stenz reagiert mit ähnlicher Enttäuschung. Diese wird sogar noch größer als ich ihn bitte, seine Schwester einmal von der in homöopathisch dargereichten Süßspeise schlecken zu lassen. Wider Willen hält er ihr das Eis hin. Das Baby sieht es, grapscht danach und stopft sich zwei Drittel des Eises gierig in den Mund. Die Folge: Der Stenz erleidet einen Nervenzusammenbruch, den ich nur durch den Kauf eines XXL-Eises stoppen kann.

Domestizierung des Babys im Käfig

Kein Wunder also, dass des Stenzes liebstes Spiel zur Zeit „Räuber und Gendarm“ ist. Dabei wetzt er dem Baby, alias Räuber auf seinem kleinen Motorrad durchs Wohnzimmer hinterher. Die Oma, die dem Polizei-Hauptmeister Stenz, als rechte Hand dient, wird dazu verdonnert, das Verbrecher-Baby zu schnappen und in seinen Käfig (den Laufstall) zu sperren. Dort wird es dann vom Stenz in Handschellen gelegt und zum Verhör gebeten. Es geht doch nichts über Geschwisterliebe!

Schlapp, schlapper am schlappsten!

Das Baby mein tägliches Workout

Ich liege wie eine leblose Öl-Sardine in einer lauwarmen Badewanne und fühle mich schlapp. Das ist eigentlich untertrieben. Schlapper oder noch besser am schlappsten wäre die richtige Gemütsbeschreibung. Dabei hatte ich mir für meine Badewannen-Auszeit so viel vorgenommen: zwei gute Bücher und drei Zeitungen lagen oberhalb der Armaturen und warteten darauf, von mir verschlungen zu werden. Denn eine Stunde nur für mich musste doch sinnvoll genutzt werden. Und jetzt liege ich hier und staune über mein ehrgeiziges Vorhaben in Anbetracht der dicken Wälzer, die mir von oben herab zuzwinkern. Doch meine Arme sind so matt, dass ich es einfach nicht schaffe, sie anzuheben und mir eines der Bücher zu angeln. 

Das Baby, mein tägliches Workout

Schade. So liege ich hier und entscheide mich für eine regungslose Kontemplation. Die soll ja auch gut sein fürs Hirn, die Kreativität und so. Dabei überlege ich, ob ich meine Arme oder meinen Rücken zum Helden meines Körpers küren soll. Denn beide leisten, der gefühlten Mattigkeit nach zu urteilen, seit Monaten Schwerstarbeit. Unser Baby entwickelt sich nämlich ganz prächtig. So prächtig, dass ich von vielen Seiten immer wieder unfreiwilligerweise Diät-Tipps für unseren Säugling entgegennehmen darf. So à la „gib dem Kind doch mal mehr Wasser und nicht so viel Milch“. Kürzlich wurde ich im Supermarkt sogar von einem besorgten Rentner angesprochen, dass Adipositas bei Babys gar nicht gesund sei. Ist der irre? Auch wenn ich diese gut gemeinten Ratschläge weitestgehend ignoriere, ertappe ich mich manchmal bei der Frage, wann unser Baby endlich laufen lernt? Denn das stete Rumgeschleppe von 12 kg treppauf und treppab macht mich mürbe. Ich brauche kein „Mami Fit-Training“ oder Fitness-Studio – das Baby ist mein Workout. Kürzlich sendete mir meine beste Freundin ein Bild über das ich bis heute staune. Denn plötzlich habe ich Oberarme, die Rambo ernsthaft Konkurrenz machen. Muckis über Nacht sozusagen. Dabei nimmt mein Gewicht im Gegensatz zum Mucki-Umfang leider konstant ab. Ich weiß, dieser Satz bringt mir nicht unbedingt Sympathien ein. Aber seit ich stille wie ein Weltmeister wird mein Baby immer prächtiger und ich immer kümmerlicher.

Mein Mann – ein Strich in der Landschaft

Sogar mein Mann wird aus Solidarität weniger. Denn er macht eine Diät! Daher gibt es bei uns im Haus seit einigen Wochen nur noch ein Thema, nämlich seine unermesslichen Abnehmerfolge. So befürchtet der Mann seine baldige Vaporisation. Mit ernster Miene geht er heute Morgen seinen Kleiderschrank durch und teilt mir beinahe erschüttert mit, dass keine seiner Hosen mehr passen und er zur morgigen Hochzeit nichts außer einer senffarbenen Cordhose aus dem vorigen Jahrhundert hätte, aber die passe ihm ausgezeichnet. Ich erschauere ebenfalls. Seit er abnimmt hat er ein ungebremstes Mitteilungsbedürfnis und gibt jedem, der nur ein wenig Speck um die Hüften trägt, ungefragt Tipps zum Fasten. Fast jeder Satz von ihm beginnt mit „damals, als ich noch dick war“. Das Baby hat sogar gelernt zu klatschen, da wir seinem Vater, der droht bald in den Weiten des Universums unterzugehen, morgens, mittags und abends Beifall zollen. Während der Wellness-Papa versucht abzunehmen, versuche ich zuzunehmen. Dieses diametrale Ess-Verhalten birgt leider großes Konfliktpotenzial. Als ich beispielsweise mit Tüten von Süßigkeiten, Sahnepuddings und anderen nach Fett triefenden Produkten nach Hause komme, droht an unserem heimischen Herd eine Eskalation. „Wie kannst Du nur so herzlos sein und dieses ganze Zeug in unsere Schränke stopfen und mich immer wieder in Versuchung führen? Du brauchst ein geheimes Lager nur für Dich!“ Und auch am Abend, wenn wir ermattet vor dem Fernseher kollabieren und ich mir erlaube, den Kollaps mit einer Tüte Chips lautmalerisch zu untermauern, fängt mein kalorienzählender Mann Feuer und stapft wutentbrannt von dannen. Das einzig Gute an seiner Diät ist, dass ich ihn mit Sätzen wie „Jeder Gang macht schlank“ zu noch mehr häuslicher Aktivität motivieren kann. Das kommt meiner Schlappheit entgegen – wie wunderbar!

 

 

Das bisschen Haushalt macht der Mann von ganz alleine

Das süße Nichtstun

Irgendwie bin ich hier im Urlaub am Meer faul. So richtig faul. Und diese Faulheit erstreckt sich vor allem auf alle häuslichen Aktivitäten. Schon nach dem morgendlichen Einschütten der Cornflakes ist meine kulinarische Motivation bis auf weiteres für den Tag erloschen. Dabei entwickeln sich die Kochambitionen meines Mannes und meine eigenen antagonistisch. Denn während mir schon das Einschenken des Kaffees zu viel wird, läuft mein Mann zu Höchstform in der Küche auf. Er schnippelt am Morgen, am Mittag und am Abend. Allerdings ist des Meisters Menüplan trotz seiner Unermüdlichkeit recht übersichtlich. Man könnte auch sagen, die wundervolle Gleichförmigkeit der Tage spiegelt sich in einer gewissen kulinarischen Monotonie wider. Diese wird vom Stenz wie folgt am Ende unseres Urlaubs kommentiert: „Oh nein, nicht schon wieder Spaghetti! Papa, ich glaube ich muss brechen.“ So hält unsere Familie während unseres 14 tägigen Italien-Urlaubs strikte Kohlenhydrat-Diät, die in erster Linie aus Thunfisch-Pasta, Spaghetti Bolognese und Pizza besteht. Allerdings ertappe ich meinen Mann nach vierzehn Tagen dabei, dass auch seine Koch-Euphorie leichten Ermüdungserscheinungen weicht.

Knoblauch mit Pfeffer – köstlich!

So entgegnet der Mann auf die Brech-Ankündigung des Stenzes mit einem Augenzwinkern: „Stenz, wie wäre es, wenn du mal für uns kochst?“ „Iiiich?“ kommt kulleraugig die prompte Gegenfrage.“ „Ich bin doch noch ein Kind!“ Aber irgendwie merke ich, dass es im Kopf meines Sohnes rattert. Eine halbe Stunde später, während ich das Rumliegen und Nichtstun perfektionierte, vernehme ich aus der Küche einen markerschütternden Schrei. „Aua, aua, ich habe das da gegessen“ wimmert der Stenz voller Abscheu und zeigt auf feurig rote Pfefferkörner. Ermuntert von der Kochaufforderung meines Mannes fing der Stenz in einem unbeobachteten Moment an, sich durch unsere italienische Gewürz-Sammlung zu futtern. Und zur Krönung seiner Degustation biss er als besonderes Leckerli einmal herzhaft in die von meinem Mann für die abendliche Pasta vorbereitete Knoblauchzehe. Yummie!

Abenteuer? Nein, danke!

Mein kulinarisches Desinteresse setzt sich auch im Widerstreben fort, alles was zur Küchenarbeit notwendig ist, zu beschaffen. So erweist sich mein Mann als perfekter Hausmann und zieht alle drei Tage los, um mit prall gefüllten Einkaufstüten voller Kohlenhydrate glücklich nach Hause zurückzukehren. Denn ich habe mich dazu entschlossen, mit unserem immerzu schwitzenden Baby und dem Stenz das heimische Idyll nicht mehr zu verlassen. Abendliche Spaziergänge und gelegentliche Besuche der umliegenden Traumstrände ausgeschlossen. Auf die Frage meines Mannes, ob wir denn heute einmal ein Abenteuer erleben möchten, lächele ich milde „Wenn Du mit Abenteuer beabsichtigst, unsere Beach-Bag nicht wie gewohnt links vom Felsen, sondern rechts davon zu platzieren, bin ich dabei. Ansonsten bin ich grundsätzlich dagegen.“ Denn mein Sinn nach Abenteuern war gestern nach einer halbstündigen Rettungsaktion eines Plastik-Pinguins, der aufs offene Meer tänzelte bereits gestillt. Mit gekonnten Brust-Schwimm-Bewegungen und unter der argusäugischen Beobachtung des Stenzes und seines besten Freundes gab ich mein Bestes und versuchte den kleinen arktischen Plastik-Vogel einzufangen. Leider versagte ich auf ganzer Linie. Vielmehr drohte mich das offene Meer genau wie das Schnabeltier davon zu spülen. Blessuren an beiden Knien und ein hochgradiger Erschöpfungszustand meinerseits waren die Folge. Von diesem musste ich mich für den Rest des Urlaubs erstmal erholen.

Bananen fischen – der perfekte Urlaubszeitvertreib

Das heißt natürlich nicht, dass ich mich nur noch dem süßen Nichtstun hingebe. Mitnichten, ich beantworte zum Beispiel so elementare Fragen des Stenzes wie: „wie viele Hände hat ein Ochse?“ „Ist der David mein Croissant (Cousin)?“ und zähle mit meinem Sohn die „Stampfer“, die langsam am Horizont des Meeres vorüberziehen. Auch das morgendliche Bananenfischen mit dem Stenz erfordert volle Konzentration und zählt zu meinen täglichen Tasks, die es gewissenhaft abzuarbeiten gilt. Denn gerade beim Bananen fischen zeigt der Stenz einen beispiellosen Ehrgeiz. Ursprünglich ausgedacht, um unser niemals hungriges Kind zum Essen zu motivieren, ist der Stenz von diesem Spiel so begeistert, dass er täglich mehrmals am liebsten ein Dutzend Bananen soweit es geht ins Meer wirft, um sie anschließend mit seinem Fischernetz heraus zu angeln. Anschließend verspeist nicht nur er mindestens zwei Bananen, sondern alle Familienmitglieder, das Baby eingeschlossen, werden genötigt, das gelbe nach Meersalz schmeckende Gematsche zu mampfen. Außerdem vergräbt der Stenz heimlich still und leise Schätze im Sand. Als ich ihn zufällig nach der Beschaffenheit seiner Schätze befrage, erklärt er mir, dass er sein gesamtes Geld aus seinem Sparschwein (das er vorsorglich in den Urlaub mitnahm) so perfekt in einer Sandmulde verborgen hat, dass seine Besitztümer niemals von Piraten entdeckt würden. Das ist sehr schade, denn als wir am Tag unserer Abreise unser gesamtes Kleingeld in die Airport-Massageliegen stecken, denken wir wehmütig an des Stenzes verborgenen Schatz zurück. Denn jeder aus unserer Familie möchte noch eine weitere Massage-Einheit absolvieren. Selbst das Baby gluckst und jauchzt mit dem Stenz um die Wette, als ihm eine ausgiebige Popo-Massage zuteilwird. „Nächstes Jahr vergrabe ich mein Geld nicht mehr am Strand, sondern hier im Automaten“ gibt der Stenz zu bedenken, als der letzte entspannende Ruck durch seinen kleinen Rücken fährt. Das nenn’ ich mal familiäre Didaktik.

„Arsch-Mann geh weg!“

Ich bin angespannt. Sehr sogar. Neben uns im Restaurant sitzen mustergültig wie die Orgelpfeifen Gustav, Fritz und Karl. Sie begrüßen jeden Kellner mit einem schallenden und bestens gelaunten „Guten Morgen“. Nach diesem formvollendeten Gruß lausche ich ungläubig der lauten und selbstbewussten Frage Karls an den Ober: „Dürfte ich bitte freundlicherweise Ketchup zu meinem Frühstücks-Omelette haben? Denn dann ist es noch köstlicher.“ Um Himmels Willen ist Karl nicht ungefähr so alt wie unser Stenz? Was ist los mit dem Kind? Wurde sein Gehirn gewaschen? Und dann streift sogar mich, den unbekannten Gast, auf dem Weg zum Frühstücks-Buffet ein vollmundiges, von einem verschmitzten Lächeln begleitetes „Grüß Gott“ vom kleinen Fritz.

Ich bin sprachlos bei so viel kindlicher Zuvorkommenheit. Selbst Knigge hätte beim Anblick dieser Kinder seine Beherrschung verloren und wäre vor Begeisterung in die Luft gehüpft. Da bin ich mir sicher. Wie haben die Eltern diese drei Musterknaben kreiert? Sind sie überhaupt echt? Ich überlege kurz, ob unser Stenz für ein paar Wochen in dieser Familie aufgenommen werden könnte, sozusagen als Schüler. Denn außer, dass er und Karl Ketchup lieben, haben die beiden manierentechnsich nicht viel gemein. Gestern Abend zum Beispiel fragte die Kellnerin unseren Stenz ganz freundlich: „Na wie heißt Du?“ Ein verschämter Blick auf die Tischplatte von unserem Stenz war die schweigende Antwort. „Los Stenz, sag schon, wie Du heißt.“ Genantes Geflüster in meine Richtung. „Lauter, Stenz, die Dame hört Dich nicht.“ Und so ging das den ganzen Abend. Ich konnte von Glück reden, dass der Stenz nach jedem Gang zumindest ein leises, kaum wahrnehmbares „Dankeschön“ nuschelte. Wie war es mir peinlich als die Kellnerin zum Abschied zu unserem Kind sagte „Tschüs mein Junge, gute Nacht, vielleicht redest Du ja morgen mit mir?“ Einziger Lichtblick während des Dinners: Das Baby. Es gluckste und strahlte mit den preußischen Jünglingen um die Wette und hielt mit seinem geballten Charme unsere Familienehre aufrecht. Denn auch wir wurden von der wohl erzogenen Orgelpfeifen-Dynastie genauestens beobachtet. Wobei die Jungs um Punkt 20:00 h vom Vater auf das Hotelzimmer gebracht wurden. Hier machten sie sich wohl dann auch selbst bettfein. Denn um 20:10 h ließen sich die Eltern Ihr Dinner alleine bei Kerzenschein schmecken. Unglaublich! Was machen wir falsch? Und was ist bloß los mit unserem Stenz? Zu Hause um keine Antwort verlegen und wirklich nie auf den Mund gefallen, verwandelt er sich während Hoteltests regelmäßig in ein menschenscheues Reh-Kitz, das bei jedweder menschlichen Interaktion am liebsten verschämt ins Unterholz verschwinden würde. Oder zumindest bei jeder Frontal-Ansprache durch Hotel-Manager, Rezeptionisten, Putzfrauen und Co.

Der Stenz und sein neues Lieblingswort

Hingegen wächst sein Selbstvertrauen proportional zu seiner „Nicht-Beachtung“. Wähnt er sich nämlich nicht im Fokus durch einen Hotel-Angestellten wird er plötzlich aufmüpfig bis richtiggehend renitent. So hat der Stenz auf einmal ein neues Lieblingswort. Ich vermute, er hat es aus dem Kindergarten eingeschleppt, wie einen lästigen Virus. Das neue Wort scheint für ihn ein nicht enden wollender Quell der Freude und ein schillerndes Faszinosum. Der Gebrauch des Wortes setzt ihn in großes Verzücken und scheint ihn zu berauschen. So ertappe ich den Stenz zufällig dabei, wie er in der Hotel-Lobby jedem vorbeiziehenden Gast ganz leise, aber mit schelmischem Vergnügen ein „Arsch-Mann geh weg“ entgegen raunt. Dabei passt er diese Floskel politisch korrekt dem Geschlecht der vorbeiziehenden Person an. So sollten sich auch alle „Arsch-Frauen“ in besagtem Hotel-Atrium schleichen. Zum Glück flüstert der Stenz diese infamen Verunglimpfungen derart leise, dass sich ob Arsch-Mann oder Frau, keiner der umstehenden Besucher angesprochen fühlt. Als ich aber, mit Luchs-Ohren gesegnet, des Stenzes uncharmante Monologe vernehme, traue ich meinen Ohren nicht und stelle ihn umgehend zur Rede. Zu diesem Zwecke verschwinde ich kurzerhand für ein kleines Tête à tête mit ihm auf der Damentoilette. „Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?“ beginne ich meine Zurechtweisung.  „Warum?“ kam seine unschuldige Antwort. Wie sich herausstellte, waren es vor allem der Klang des Wortes und auch die Reaktion auf diese magische Floskel im Kindergarten, das die Faszination ausmachte. Es stand also nicht unbedingt der beleidigende Charakter dieses verbalen Kahlschlags für ihn im Vordergrund. Das ließ mich ein wenig aufatmen. Allerdings nur bis zum nächsten kommunikativen Intermezzo mit ihm, das diesmal am Pool eines Südtiroler Wellnesshotels stattfand.

Wenn der Pool zum FKK-Bereich wird

Dabei stellte sich mir mal wieder eine weitere Frage. Nämlich ab welchem Alter Kinder anfangen, ein Schamgefühl zu entwickeln? Mit dreieinhalb jedenfalls noch nicht, so viel stand fest. Der Stenz erklärte den gesamten Pool-Bereich des Hotels zu einem FKK-Areal. Mein Versuch, den Nackedei einzufangen, scheiterte kläglich. Erst durch das beherzte Zupacken meines Mannes auf der Poolbrücke, von der der Stenz gerade im Begriff war hinunter zu pieseln, konnte das Schlimmste verhindert werden. Und es gelang uns, den kleinen Delinquenten einzufangen und in eine Badehose zu stopfen.

Stempel, die neuen Tätowierungen

Doch vor allem in Hotel-Restaurants mit großer Tischdichte sitze ich auf heißen Kohlen und bete, dass mein Kind ganz schnell erwachsen wird. Der Stenz hat nämlich eine Vorliebe dafür entwickelt, mit dem Zeigefinger auf den sehr nahe sitzenden Tischnachbarn zu deuten und mit Sätzen wie „Warum hat der Mann so komische Stempel auf den Oberarmen? Die sind hässlich!“ zu bedenken. Dank des Stenzes messerscharfer Beobachtungsgabe werden mein Mann, das Baby und ich auch immer wieder auf mehr oder minder interessante Äußerlichkeiten anderer Hotelbesucher aufmerksam gemacht: Laut ausgesprochene Phrasen wie „die Frau da drüben stinkt“ oder „hat die Frau da hinten tatsächlich weiße Haare?“ sind dabei keine Seltenheit. Allerdings hat der Stenz mich kürzlich in seiner kindlichen Schamlosigkeit auch richtiggehend gerührt. Als nämlich die Kellnerin erkannte, dass ich wegen des Babys kaum einen Bissen runterbrachte, nahm sie es mir freundlicherweise ab. Um ihm etwas Abwechslung zu bieten, stapfte sie mit unserem Baby auf dem Arm durch das Restaurant in Richtung Hotelbar und war kurzzeitig nicht mehr gesehen. Während ich die Gelegenheit nutzte, meinen knurrenden Magen zu besänftigen, war der Stenz fassungslos und brüllte aus voller Kehle: „Mama, Papa, die Frau hat unser Baby geklaut!“ Vollkommen aufgelöst stand der Stenz vor einem Nervenzusammenbruch, den das gesamte Restaurant bezeugen durfte. Doch dieses eine Mal musste ich tatsächlich lächeln.

„Home Insanity“ statt „Home Office“ – Arbeiten am Rande des Wahnsinns

Das Baby schreit. Das Feuerwehrauto tönt lauthals Tatütata. Der Stenz röhrt ohrenbetäubend: „Aus dem Weg ein Notfall!“. Und ich versuche mich trotz dieser Kakophonie zu konzentrieren. Die Betonung liegt dabei auf: ich versuche! 

Ich liebe unser Haus. Es ist wunderbar, wie für uns gemacht. Aber es hat ein Manko, es ist zu klein. Es fehlt ein Raum mit einer schallisolierten Tür mit Sicherheitsschloss. Genau danach sehne ich mich just in diesem Moment. Mein Mann und ich teilen uns Haushalt und Kinderbetreuung gleichermaßen. Aber er hat einen ganz entscheidenden Vorteil: nämlich ein abschließbares Büro. Und genau wie die gemeine Strandkrabbe bei den winzigsten Erdvibrationen blitzschnell in ihr Sandloch huscht, schlüpft mein Mann bei den geringsten akustischen Irritationen, die bei unserem Holzhaus oft mit erdbebenartigen Vibrationen einhergehen, in sein Sandloch – das verschließbare Refugium. Wie ich ihn darum beneide!

Schlafend in den Arbeitstag

Oft beginnt mein Arbeitstag zu einem Zeitpunkt, an dem ich schon wieder so müde bin, dass ich zum Start erst mal mit dem Kopf auf die Schreibtischplatte falle und ’ne Rund poofe. Schlafend in den Arbeitstag sozusagen. Das hat den Vorteil, dass ich dann auch wirklich taufrisch bin, wenn ich meine ersten E-Mails verfasse. Das könnte jetzt irgendwie faul klingen. Aber ich bin nicht faul. Ich bin kurioserweise bloß schon ziemlich erschöpft noch bevor ich meinem Broterwerb nachkomme.

Denn ich habe zwei Kinder, die morgens gewickelt, gewaschen, gezahnbürstet, mit lustig verzierten Frühstücksbroten versorgt und mit schleimigem, farbintensivem Brei gefüttert werden wollen. Wenn dann auch noch Ferien sind, möchte der Stenz außerdem unterhalten werden. Das ist besonders anstrengend, wenn eine lange To-Do Liste vor meinem inneren Auge aufflammt. Und auch das Baby kann momentan nichts mit sich anfangen. Seit es seinen ersten Zahn hat, ist der einzige Ort, an dem es sich glücklich fühlt, die Brust und das 24/7. Dabei versuche ich alles, um mein Baby an Breichen zu gewöhnen. Aber die Fütterung des Babys ist ein mühsamer für mich als Ordnungsfanatiker und Pedant oft sehr schmerzvoller Akt, der mir schon vor meinem eigentlichen Arbeitsbeginn die letzte Kraft raubt.

Die große Breifütterung: Frust lass’ nach!

Grundvoraussetzungen hierfür sind sehr viel Geduld und eine große Frustrationstoleranz. Über beide Eigenschaften verfüge ich nicht. Lieber würde ich zehn Mal wickeln als einmal Breichen geben. Dem Baby schmeckt leider kein Breichen, aber von diesen schmeckt ihm irgend etwas mit Karotte noch am wenigsten schlecht. Es lebe die Litotes! Wenn Sie verstehen was ich meine. Die Konsequenz: Die Garderobe des Babys, genau wie meine eigene ist mittlerweile orange gesprenkelt. Damit die Fütterung wenigstens eine zwei prozentige Erfolgsquote aufweist, muss ich mein gesamtes baby-kompatibles Potenzial als Comedian zum Einsatz bringen. Hierbei ist wichtig, dass ich einen Dutt auf dem Kopf trage. Der kann ruhig schlampig gemacht sein. Das Baby nimmt es nicht so genau. Perfekt für mich, denn ein schlampiger Dutt gehört zurzeit quasi zu meiner Arbeitsuniform. Das Mahlzeiten – Spektakel beginnt dann so: Das Baby sieht mich mit dem nahenden Breichen und presst seine Lippen fest zusammen. Ich versuche, den üppig orange beladenen Löffel zwischen des Babys Lippen zu manövrieren. Keine Chance, dieser Punkt geht an das Baby. Ich verwandele mich in einen Wackel Dackel und lasse meinen Kopf-Dutt hopsen. Das Baby lacht und schwupps, die Löffel-Ladung in den halb geöffneten Mund geschüttet. Ein Punkt für mich. Das Baby prustet los und orangene Klümpchen fliegen mit Karacho durch die Luft. Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Zu früh gefreut. Zwei zu null für das Baby. Mein Ehrgeiz ist geweckt. Die Kopf-Dutt Nummer wiederhole ich in Dauerschleife bis sich das Baby vor Lachen schüttelt und das Mäulchen dabei weit aufreißt. Und potzblitz hinein mit der Beta-Carotin-Bombe. Yeah, jetzt tanze ich wirklich Chignon hüpfend durchs Esszimmer. Das Baby ist so perplex und schluckt. Doch das war’s dann auch. Die zweiprozentige Erfolgsquote ist erfüllt und das Baby erklärt seine Mahlzeit für beendet. Deutliche Signale hierfür: Andauerndes Kopf schütteln. Außerdem wird der Inhalt jedes weiteren Löffelchens zwischen dem Kiefer wieder kunstvoll herausgequetscht und mit beiden Händen, manchmal sogar Füßen irgendwo verteilt. Ob Spielsachen, Wände, Kleider, Teppiche oder das eigene Haar – auch hier ist das Baby nicht wählerisch. Was ich jeden Tag hautnah miterleben darf ist das Gegenteil von freudvoller Kulinarik.

Schlaf Kindlein schlaf

Im Anschluss an das karge Mahl wirft sich das Baby inbrünstig an meine Brust. „Endlich hast Du verstanden Mama, ich will nix anderes.“ Hier möchte das Baby nun am liebsten für unbegrenzte Zeit verweilen. Denn geschlafen wird seit zwei Wochen am liebsten nur bei Mama auf dem Arm. Ich gestatte es dem Baby und lege es, nachdem ich lange, wirklich sehr lange abgewartet habe, wie ein rohes Ei behutsam in sein Bettchen. Ein Aufschrei des Schreckens. „Schhhhhhhhh.“ Hand feste auf den Bauch gelegt, liebevoll über die Schläfen gestrichen. Das Baby atmet daraufhin sanft. Ich denke, „ich hab’s geschafft“ und schleiche mich auf leisen Sohlen zur Tür. Erneutes Aufbäumen und klägliches Weinen. Das kann doch nicht wahr sein! Wenn ich wüsste, wie man aus der Haut fährt, ich würde meine Haut abstreifen und davonfliegen. Also nochmal von vorne mit dem Schhhhhh – Gedöns. Zu meiner großen Verwunderung klappt’s diesmal! Geschafft, ich renne an den Schreibtisch zu meiner To Do Liste.

Mein Tagwerk kann beginnen

Ich arbeite mich langsam ein. Lese E-Mails und fange an, die erste E-Mail zu beantworten. Was war das? Der Stenz kommt kreischend die Treppe hoch. „Mama, Papa, ich will mit Euch spielen!“ Der Papa sitzt eingeschlossen in seinem Sandloch. Daher bin ich des Stenzes Ansprechpartner Nummer eins. Blöd auch, dass sich mein „offenes Büro“ genau vor der Baby-Schlafstätte befindet. Denn der Stenz ist auf Krawall gebürstet. Das spüre ich schon am trampelnden Treppe hoch rennen. Es kommt wie es kommen muss: Nach 10 Minuten flüchtigster Schreibtischarbeit schreit das Baby spitz. Ich stehe kurz davor hochfrequent mit einzustimmen. Was macht eigentlich mein Mann? Ach ja, der kuriert gerade seinen Männerschnupfen.

Aber ich habe eine Deadline. Daher wird das Baby, Schlaf hin oder her, hinter mich und meinen Schreibtischstuhl gelegt – seitlich ist leider kein Platz. Glucksend freut es sich über die vielen Spielsachen auf der Krabbeldecke. Na wenigstens etwas. Der Stenz hat sich auch wieder beruhigt und drollt sich, Lego sei Dank, in Richtung Wohnzimmer. Perfekt. Auf zur Deadline!

Gefühlte zehn Minuten später drehe ich mich um und sehe, wie das Baby dabei ist, die Flip Flops meines Mannes zu verspeisen. Ich wusste es, es hatte doch noch Hunger. Von unten im Wohnzimmer vernehme ich dumpfes Geklapper und Wasserrauschen. Ich eile mit dem Baby treppab und erstarre: Der Stenz hat die Wasserspiele von Schloss Versailles in unserem heimischen Wohnzimmer nachgebaut. „Oh, What a day!“

Kindergarten-Eingewöhnung ein Klacks?

Als ich noch kinderlos war, hörte ich immer wieder von Eltern, die ihre Sprösslinge schon im zarten Säuglingsalter in die Kita gaben. „Die brauchen das zur Entwicklung ihrer Sozialkompetenz“. „Klar“, dachte ich mir. „Die haben recht“. Und war den Eltern sehr dankbar, dass auf diese Weise eine neue Generation an empathischen und im sozialen Miteinander bestens geschulte Menschen heranreiften.

Und auch später als wir stolze Eltern des Stenzes wurden, verschwendeten wir an etwaige Eingewöhnungs-Procedere keinen einzigen Gedanken. Das würde schon irgendwie ruckizucki über die Bühne gehen. Dass bei unseren Kindern irgendwie so gar nichts ruckizucki über die Bühne geht, daran dachte ich erst als ich mich auf einem Miniatur-Stühlchen an der Türschwelle zum Eingang des „Bienenstocks“ wiederfand und ein schreiender Stenz sich an mein Bein klammerte, um sirenenhaft mit den Worten aufzuheulen: „Mami, lass mich hier bloß nicht alleine zurück“. Für Außenstehende hatte diese Szene etwas Skurriles. Das Gebaren unseres Stenzes hätte den Eindruck vermitteln können, dass ich ihn so mir nichts dir nichts in die Obhut wilder Kannibalen geben wollte. Doch mitnichten. Behutsamer als wir hätte man sich kaum an das Thema „Kinderbetreuung“ heranpirschen können. So gönnten wir dem Stenz eine quasi dreijährige Akklimatisierung an diese Welt. Nicht, dass wir es nicht schon mit 16 Monaten versucht hätten, ihn in einer Kita das ach so wichtige Sozialverhalten zu lehren. Doch just nach der ersten Woche der Eingewöhnung schnappte sich der Stenz etwas ganz Fieses auf, wodurch wir uns gezwungenermaßen plötzlich mit einem 14tägigen Krankenhausaufenthalt konfrontiert sahen. Das Projekt Kita war somit kläglich gescheitert. Und als Freiberufler konnten wir es uns glücklicherweise erlauben, für die ersten drei Jahre im Leben unseres Stenzes die Nummer eins zu sein.

Jetzt ist Schluss mit lustig

Doch nun war Schluss mit täglich organisierten vormittäglichen Playdates und häuslicher Kinderbespaßung rund um die Uhr. Drei Jahre waren genug. Als Kindergarten hatten wir uns, wie wir fanden, den entzückendsten Ort von allen ausgesucht. Waldtage, Kutschfahrten, Projektwochen, hier spielte sich „Edutainment“ auf allerhöchstem Niveau und liebevollster Kleingruppenbetreuung ab. Ganz großes Kinderkino also. Der Ansturm war dementsprechend enorm. Um die Chancen für die Aufnahme in diesen kleinen elitären Kreis der glückseligen Kinder zu erhöhen, erstellte ich sogar ein mehrseitiges Bewerbungs-Dossier, das der Anwartschaft für einen mittleren Management-Posten alle Ehre gemacht hätte. Als wir dann die Nachricht der Aufnahme in diesem „Place to be“ für alle Drei- bis Sechsjährigen erhielten, lagen wir uns freudestrahlend in den Armen. So begannen wir dem Stenz vom Leben als Kindergartenkind vorzuschwärmen. Und da wir seinen zukünftig neuen Alltag in den schillerndsten Farben ausmalten, sahen wir die einzige Herausforderung für die kommenden drei Jahre im frühen Aufstehen begründet. Denn mit zwei Langschläfer-Kindern gesegnet und als Selbständige, erschien uns ein Wake Up Call um 8 Uhr als wahre „Challenge“. Doch das frühe Aufstehen als einzigen Stolperstein zu sehen, war eine optimistische Fehleinschätzung.

Der Mann, der beste Freund des Stenz

Der Mann verkündete überall in unserem Freundeskreis, dass er die Eingewöhnung seines Sprösslings selbst in die Hand nehmen wolle. Seiner hochschwangeren Frau wolle er das frühe Aufstehen nicht zumuten. Wie äußerst chevaleresque, dachte nicht nur ich, sondern auch all meine Freundinnen. Und ich wurde wieder einmal darin bestätigt, dass ich mir den feinsten aller Männer als Vater meiner Kinder ausgesucht hatte. Anfang September war es dann so weit: voller Elan und mit geballtem Enthusiasmus verabschiedeten sich der große und der kleine Mann Richtung Kindergarten. Die ersten drei Tage konnte man mit viel Wohlwollen dann durchaus als Erfolg verbuchen. Denn man hatte sich ja schon auf ein Schatten-Dasein des kleinen Stenzes eingestellt. Solange mein Mann also in unmittelbarer Nähe höchstens 20 cm rechts, links oder hinter ihm weilte, empfand der Stenz seine neue Spiel-Destination als großartigen Spaß. Doch wehe, mein Mann erlaubte sich, sich beim benachbarten Bäcker zu stärken. Dann brach Geschrei aus. Am vierten Tag der Eingewöhnung unterstellte man unserem Stenz so viel Mut, dass mein Mann die Erlaubnis erhielt, sich vor den Kindergartentoren ein wenig die Beine zu vertreten. Er lief hin und her, her und hin und beglückwünschte sich nach vier Tagen Kindergarten-Haft zu seinem Freigang. Als er dann wieder die Herberge bunter Perlen, Stofftierchen und Puppenecken betrat, wartete dort nicht nur ein vollkommen aufgelöster und weinender Stenz, sondern auch eine von einer anderen Mutter alarmierte Kindergärtnerin. So wurde der Mann, der das Haus nie ohne seine schwarze Umhängetasche verließ, von einer verantwortungsbewussten Mutter, als höchst suspektes Objekt eingestuft. Besagte Mama hatte meinen Mann wohl bei seinem wirren Hin und Herlaufen am Eingang des Kindergartens observiert und als irren Sittenstrolch mit schwarzer Tasche entlarvt. Schon etwas missmutiger als die Tage zuvor, ob der hanebüchenen Verdächtigung kamen mein Mann und der Stenz von ihrer Kindergarten-Mission nach Hause. Auf meine freudige Frage „Und mein Engel, wer war denn heute im Kindergarten dein bester Freund?“ antwortete der Stenz wie schon Anfang der Woche etwas einsilbig „Der Papa“. Doch wie sich herausstellte, sollte die Stimmung am Ende der Woche noch tiefer in den Keller sinken. So war für Freitag ein unterhaltsamer Ausflug auf den Kartoffelacker geplant. Wieder mit seiner schwarzen Umhängetasche bewaffnet zogen der Mann und der Stenz von dannen gen Knollenwurzelfeld. Die Begeisterung meines Mannes hielt sich schon im Vorfeld in Grenzen. Nachdem beide Männer mit einer zweistündigen Abwesenheit zu Hause geglänzt hatten, kehrte der eine brüllend und der andere im höchsten Maße griesgrämig von ihrer misslungenen Agrar-Exkursion heim. Der eine griesgrämig, weil er viel zu lange zum Rumstehen auf dem Kartoffelacker verdammt wurde, der andere brüllend, weil er noch viel länger aber nicht ohne Begleitung seines Lieblingsfreundes auf dem Kartoffelacker rumstehen wollte.

Mach Dich unsichtbar!

Nach diesem Fiasko, entschied ich mich, 38. Schwangerschaftswoche hin oder her, das Projekt Kindergarten-Eingewöhnung selbst in die Hand zu nehmen. In der Retrospektive betrachtet, bezwang ich diese Mammut-Aufgabe mit der folgenden dominanten Strategie: Steigerung des kindlichen Sicherheitsbewusstseins durch stufenweisen mütterlichen Rückzug. Dabei wurde letzterer vor allem räumlich gesehen. Außerdem sollte mein Stenz bei der Eingewöhnung tatkräftig von seinen Stofftier-Kumpanen Bella und dem Hasen emotional begleitet werden. Während ich also die ersten Tage, sozusagen noch in Stufe eins des Projektes, als hochschwangerer Walross ins Puppeneck gequetscht imaginären Tee an des Stenzes Kuscheltier-Zoo ausschenkte, versuchte ich mich später soweit es als Frau mit gigantischem Bauchumfang ging, unsichtbar zu machen. Daher fand ich mich in Phase 2 an der Türschwelle des Bienenstocks auf besagtem Miniaturstühlchen wider. Natürlich war der Übergang vom Puppeneck ins „Vor die Tür Exil“ mit lauthalsem Protest des Stenzes begleitet. Doch unterstützt von den Erzieherinnen, die das ein oder andere hormonelle Tief von mir hautnah miterleben durften, folgte ich der Strategie mit großer Stringenz. Und yippie, nach nur zwei Wochen saß ich dann in meinem finalen Versteck, dem dunklen und leider sehr kalten Kindergartenbüro. Von hier durfte ich mit knurrendem Magen durch die Türspalte neidvoll zusehen, wie täglich eines der kleinen Bienenstock-Bewohner mit Muffins, Törtchen und Kuchen und schallendem Gesang als Geburtstagskind gefeiert wurde. Während dieser Hungerattacken sann ich meinen perfiden Fluchtplan aus. Denn ich war die mitleidigen Blicke all der anderen Mütter allmählich leid. Ich beneidete nämlich nicht nur die Kinder um ihre Smarties-verzierten Cup-Cakes, sondern auch die anderen Mamis, die ihren Nachwuchs nach einer halbstündigen Eingewöhnung erfolgreich in der Obhut der Erzieherinnen ließen. Dabei kann Neid, wie ich merkte, eine sehr gute Antriebsfeder für blühende Phantasie sein. So bestand mein Flucht-Plan in einem kurzen Schauspiel aus zwei Akten:

Akt 1: ich stürme aufgelöst aus meinem Versteck zum Stenz und berichte ihm panisch, dass eine Politesse gerade dabei ist mein Auto abzuschleppen. Dabei staunte nicht nur der Stenz, sondern der gesamte Bienenstock über mein theatralisch vorgetragenes Ansinnen.

Akt 2: ich brenne zur Rettung meines Vehikels durch und eile von dannen.

Die rettende Verkehrswidrigkeit

Dieses Schauspiel wiederholte ich nun jeden Tag und machte den Stenz schon beim Einparken darauf aufmerksam, dass ich heute leider wieder im absoluten Halteverbot stünde und auf seine Mithilfe angewiesen sei. Denn ohne seine Erlaubnis mich aus dem Kindergarten zu entfernen, drohe ein böser, böser Strafzettel, der uns in den finanziellen Ruin treiben würde. Und mein Plan ging auf. Bis auf eine kleine Panne. Denn bevor ich mit Akt 1 begann, unterrichtete ich eine der Kindergärtnerinnen von der bevorstehenden Tragödie, die ich gleich im Begriff war, zu inszenieren. Leider war hierbei ein anderes Kindergartenkind, nämlich die Spionin Sophie, anwesend. Man sollte nie die Solidarität und das konspirative Bewusstsein von Kindergartenkindern unterschätzen. Denn die kleine Denunziantin verpetzte mich umgehend beim Stenz noch bevor ich mein schauspielerisches Können unter Beweis stellen konnte. Doch dieser Fehler passierte nur ein einziges Mal und nach vier Wochen des Mama- und Papagartens war der Stenz eingewöhnt. Seither schwebt er mit großer Begeisterung als kleine Biene gen Bienenstock.

Der Weihnachtsmann zu Gast an Ostern oder es lebe die genderneutrale Verkleidung

Nikolaus

Der Stenz hat seit jeher eine Vorliebe für Verkleidungen im Allgemeinen und weihnachtliche Kostümierungen im Besonderen. Diese Präferenz zeigte sich bereits im zarten Alter von sechs Monaten. Denn unserer Familientradition folgend steckten wir ihn schon vor seinem ersten Weihnachtsfest in ein Nikolaus-Kostüm, um feierlich für das Familien-Foto zu posieren. Und der Stenz lächelte, lächelte und lächelte. Unser Kind war selig.

Mit eineinhalb Jahren äußerte er sein Wohlgefallen an dem Nikolauskostüm in der Art, dass er es nicht mehr ablegen wollte. Er schlief darin, begrüßte unsere Gäste damit und verreiste mit dem Kostüm. Er ging sogar soweit, dass er in einem von uns getesteten Hotel mit dem Nikolaus-Kostüm eincheckte. Wir konnten ihn auch nicht mit dem Argument davon abhalten, dass jetzt im April doch schon der Osterhase um die Ecke spähe und von ihm, dem kleinen Weihnachtsmann, vollkommen eingeschüchtert verjagt würde. Papperlapp, Schokoeier hin oder her. Nein, er lege sein Weihnachtsmannkostüm keinesfalls ab. Das Ergebnis: wir ernteten beim Check-In mit unserem Miniatur-Nikolaus kurz vor Ostern im Stubaitaler Wellnesshotel amüsierte bis mitleidige Blicke. Aber der Stenz ist stur. Heimlich musste ich den kleinen Körper vom roten Filz im Schlaf befreien, um das Weihnachtsmann-Mäntelchen wenigstens einmal pro Woche zu waschen.

Der Stenz, ein gerupfter Cherub

Erst zu seinem dritten Weihnachtsfest ließ die Faszination am Nikolaus-Kostüm nach. Aber nur, um einem neuen, anderen Fetisch zu weichen. Denn nachdem das Christkind bei uns an Weihnachten feierlich durch die Wohnzimmer-Luft schwebte und ein sanftes Glockengeläut als akustische Spur hinterließ, streng versteckt hinter weißen Tüchern versteht sich, war der Stenz vom „Engel-Fieber“ gepackt. Die Tatsache, dass ich ihn, ich weiß – Schande über mich – auch in der Öffentlichkeit mit „mein Engel“ titulierte, mag neben der Faszination am Christkind ein weiterer Grund für seine plötzliche „Cherubin -Besessenheit“ gewesen sein. Sei’s drum, von nun an war der Stenz nur noch mit Engelsflügeln, die dank dem world wide web ihren Weg vom fernen China bis zu uns nach Bayern gefunden hatten, anzutreffen. Die ersten Worte nach jedem Kindergarten-Tag waren von nun an „Wo sind meine Engelsflügel?“ Und wehe, die irdischen Heerscharen legten dem Himmels-Gesandten nicht sogleich das gewünschte Flug-Utensil zu Füßen. Dann setzte es ein ohrenbetäubendes Geschrei. Dabei hatte der Stenz seltsamerweise ganz konkrete Vorstellungen von der Optik eines Engels. Das Engelshaar musste von lieblichen Zöpfchen geschmückt sein, ein Engel musste einen weißen Punkt auf der Nase und einen gelben Streifen am Hals und eben wunderschöne, befederte Flügel besitzen. Um also sein Outfit zu komplettieren durfte ich von nun an jeden Tag Zöpfchen ins kurze Deckhaar meines Sohnes einarbeiten und ihm sein chinesisches Federkleid überziehen. Dieses erwies sich als billiges Fabrikat, denn es ließ schon nach wenigen Tagen etliche Federn, sodass er bald wie ein gerupfter Cherub aussah. Als der kleine Engel dann plötzlich auf das Lackieren seiner Fingernägel bestand und auch dem Auftragen eines Lipglosses nicht abgeneigt zu sein schien, reichte es dem Engelsvater. Allerdings erst das Anlegen fluoreszierender Ohrringe, die der Stenz in einem der vielen Geburtstagstütchen mit nach Hause schleppte, brachte das emotionale Fass im Oberstübchen meines Mannes zum Überlaufen. Das sei doch nicht normal wetterte der Mann erregt, dass sich der Stenz immerzu als Engel verkleide. Ein „gescheites“ Kostüm müsse her, denn sonst sehe der Mann die Fortsetzung unserer Familien-Dynastie ernstlich in Gefahr.

Ein Polizisten-Kostüm muss her!

Noch weiß befedert beäugten der Mann und der Stenz im größten weltweiten Online-Shop diverse männliche Verkleidungs-Optionen. Dabei gefiel dem Mann die Vorstellung einen kleinen Polizisten unter seinem Dach zu beherbergen besonders gut. Und auch der Stenz legte großen Enthusiasmus bei der Vorstellung an den Tag, ab morgen mit Kelle, Handschellen und einer Pistole bewaffnet auf seinem Mini-Polizeimotorrad in unserem Wohnzimmer umherzurasen und das Baby festzunehmen. Ja, Sie haben richtig gelesen, auch eine Spielzeug-Pistole sollte her. Ich geriet in absolute Rage als ich von dieser Online-Bestellung erfuhr. So zog die Bestellung der Spielzeugpistole schwere eheliche Turbulenzen nach sich. In meinem Zorn machte ich meinen Mann darauf aufmerksam, dass wir in einer absolut pazifistischen Nachbarschaft lebten, in der schon das Spiel mit Stöcken im Kindergarten als wilde Kriegshandlung angesehen wurde. Ob denn der Mann den Stenz zum gesellschaftlichen Paria machen wolle? Als Horror-Szenario sah ich schon mein geliebtes Kind von allen gemieden einzig und allein weil sein Vater auf eine Kostümierung mit Testosteron-getriebene Requisiten bestünde. Wie konnte er nur? Mein Mann hörte meinen Ausführungen aufmerksam zu und war ernsthaft an einer Problemlösung interessiert. „Du hast Recht, es ist nicht gut, wenn der Stenz der einzige ist, der mit einer Waffe imaginär um sich ballert, auch die anderen Kinder sollten das Vergnügen haben mitzuknallen. Ich bestelle gleich mehrere Plastik-Pistolen, die können wir dann zu den Kinder-Geburtstagen verschenken“ Ich schaute meinen Mann völlig entgeistert ob dieser abstrusen Idee an. Nun ist er beim Propagieren des Mottos „Waffen für alle!“ vollkommen übergeschnappt. Ich holte nach Luft, begab mich stante pede ins Internet und suchte nach einer genderneutralen Verkleidung. Seit diesem Tag sieht man den Stenz als grünen Frosch in unserem Garten umherhopsen!

Garten-Idylle mit Kindern Fehlanzeige

Traktor im Garten

Als ich noch keine Kinder hatte, habe ich mir das Leben mit Kindern immer als etwas abstrakt Idyllisches vorgestellt: Kuchenduft, Kinderlachen, Gänseblümchen, Sonnenschein, Faulenzen und jede Menge glücklicher Gefühle im Bauch – so hatte ein Sommertag mit Kindern auszusehen.

Die Realität lehrte mich diesen Mai mal wieder sehr konkret etwas Anderes: Wolkenloser Himmel, Vogelgezwitscher, Grillenzirpen und warme 25 Grad – die äußeren Umstände waren perfekt und schrien uns förmlich entgegen „Kommt sofort raus und macht es Euch im Garten gemütlich.“ Als kinderloses Paar war Faulenzen so einfach: Man legte sich in den zugegebenermaßen spärlichen Halbschatten unseres persönlichen Kleinods und las ein gutes Buch. Der kleine Sonnenbrand am Anfang jeden Sommers würde schon nach einer kurzen Hautpelle einer angenehmen Bräune weichen. Ein Eiskaffee und einige Nickerchen später zündete man am Abend gemütlich den Grill an und lud unkompliziert ein paar kinderlose Paare zu sich ein und stieß mit einem Glas Rosé auf das eigene wunderbare Leben an. Sommer ohne Kinder im Garten war so einfach.

Der ganz normale Garten-Wahnsinn

Sommer mit Kindern im Garten ist anstrengend. Natürlich folgten wir dem Ruf dieses herrlichen Sonnentages und stürmten nach draußen. Aber nicht, ohne gewisse Vorkehrungen zu treffen: Der Mann fing hektisch an, einen Sonnschirm nach dem anderen zu platzieren und wortreich aufzustellen. Liegen wurden aufgebaut, mit Bezügen eingedeckt, Krabbeldecken auf die Wiese gelegt. Diverses Spielzeug für das Baby rausgeschleppt. Die Wippe aus dem Haus in den Garten getragen, Breichen für das Baby, Wassermelonen und Getränke für den Stenz aus der Küche geholt. Ach ja, man selbst hatte irgendwie auch Durst und auch schon etwas Hunger. Schnell nochmal ein paar Pfannkuchen gebacken und ebenfalls in den Garten geschleppt. Mist, die ersten Mücken! Und irgendwie scheint es dem Stenz im Schatten der Sonnenschirme nicht so recht zu gefallen. Mückenspray und Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 50+ im Bad ausfindig gemacht. Kinder unter lautem Geschrei ausgezogen und unter Aufbringung der besten Argumente eingecremt und mit Anti-Mücken-Spray eingesprüht. Ach ja, und wo waren nochmal die Sonnenhüte? Erster kleiner Schwächeanfall meinerseits. Erster mittelgroßer Tobsuchtsanfall des Stenzes, der versucht, seinen sperrigen Riesentraktor über unsere hügelige Wiese zu treten. Leider vergeblich. Erstes launisches Gemurre meines Mannes „Ich möchte doch nur in Frieden mein Buch lesen.“ Ablenkungsmanöver für den Stenz eingeleitet: „Komm wir spielen Federball!“ Das Baby schreit. Ach ja, das hatte ja vor einer Stunde schon Hunger. Der Stenz spielt mit sich selber Federball. Jedenfalls für zwei Minuten. Erneutes Gebrüll, weil Federball alleine eben nicht glücklich macht. „Stenz, schau doch mal in die Gartenhütte, da sind doch so viele Spielsachen.“ Gesagt getan. Alle Kräne, Lastwagen, Eimerchen, Kinderrasenmäher, Drachen, Fußbälle, Tennisschläger, Frisbees und Wasserpistolen ausgeräumt und den Rasen damit bunt und plastikreich verziert. Erneutes Gebrüll vom Stenz: „Mir ist sooo langweilig.“ Die zündende Idee: „Warum machst Du hinter unserer Gartenhütte nicht Deine berühmt berüchtigte Matschsuppe für uns?“ „Ja, Mami, das ist eine super Idee!“ Puh, Glück gehabt. Endlich lege ich mich in die Hängematte auf die kleine Terrasse unserer Gartenhütte.

Das Gartenhäuschen, unser ganzer Stolz

Diesen Rolls Royce unter den Gartenlauben haben wir uns übrigens vor zwei Jahren von einem Schreiner maßanfertigen lassen. Nachdem unsere alte Gartenhütte irgendwann auf das Grundstück unserer Nachbarn geflogen war. Ich kam damals nach Hause und dachte so bei mir, wie komisch leer unser Grundstück aussah, irgendwie verwaist. Etwas fehlte. Ich ging in die Küche und machte mir einen Kaffee und plötzlich merkte ich es, die Gartenlaube war weg! Andere Leute lassen Drachen steigen, wir ließen unser Hüttchen steigen. Nach dem ersten Schreck entwarfen wir dann einfach die zweite Generation eines hölzernen Rückzugsparadieses, das wir seitdem hegen, pflegen und mit viel Liebe zum Detail dekorieren. So à la Country Living: Windspiele, Hängematten, mediterrane Kissen und Oleander so weit das Auge reicht.

Gefährliche Ruhe

Und genau jetzt hier in der Hängematte stille ich das Baby und genieße die plötzliche und unerwartete Ruhe. So schlecht ist so ein Sommertag mit Kindern gar nicht. Das Baby ist an meiner Brust selig eingeschlafen und ich beiße genüsslich von meiner süßen Wassermelone ab und erfreue mich an den Gänseblümchen im Garten. Es fehlt zwar noch der Kuchenduft, aber glückliche Gefühle im Bauch habe ich trotzdem. Vielleicht war meine Vorstellung von damals als ich noch kinderlos war, doch gar nicht so weit gefehlt. 20 Minuten später herrscht immer noch diese unglaublich friedvolle Stille, die lediglich vom Muhen der Kühe auf der Nachbarwiese und dem Grillenzirpen akustisch untermalt wird. Der Mann ist sogar kurz eingenickt und schnarcht leise. „Stenz?“ rufe ich, „lebst Du noch?“ „Ja, Mami“ vernehme ich dumpf die Antwort meines Kindes, das sich immer noch hinter der Gartenlaube verlustiert. „Was machst Du?“ keine Antwort. Ich wecke den Mann, weil es für mich gerade zu umständlich wäre, mich mit dem schlafenden Baby aus der Hängematte zu schälen und bitte ihn, nach dem Stenz zu schauen. Klagvolles sonores Schimpfen ist seine Antwort. Ich bettle ihn an. Er erbarmt sich und schlurft hinter die Gartenhütte. Eine Minute vollkommene Ruhe. Dann ein ohrenbetäubendes Geschrei meines Mannes. Der sonst relativ besonnene Mann fängt an zu fluchen und wird immer lauter. Der Stenz heult. Ich vernehme folgenden Satz meines Mannes „Das gibt es doch nicht, er hat hinter die Hütte gekackt und verziert damit die Wände unserer Laube. Mir reicht es, ich gehe rein. Lasst mich bloß alle in Ruhe“. Schluss mit der Gemütlichkeit, Ende mit der Sommer-Idylle im Garten. Das Baby ist aufgewacht und brüllt. Ich brülle und lasse meinen Sommertag mit Putzeimer und Lappen bewaffnet beim Kacke abwischen der Hütte ausklingen. Das kommt davon, wenn man mal 20 Minuten mit Kindern faulenzen will. Aber vielleicht hatten wir ja noch Glück. Meine Schwägerin erzählte mir kürzlich, dass meine Nichte ihr nun als großes Schulmädchen anvertraut hat, dass ihre beste Freundin damals im Kindergarten einmal ihr Kacka probiert habe. Herr, schmeiß Hirn vom Himmel und hilf mir den nächsten Sommertag im Garten mit ganz viel Humor zu überstehen.

„Mama, Dein Essen stinkt“

Wir gehören leider nicht zu den Familien, die in sich ruhen. Die stets besonnen sind und in Stress-Situationen einen kühlen Kopf bewahren. Die unendliche Geduld bei der Kindererziehung und dem partnerschaftlichen Miteinander beweisen und einfach nie aus der Haut fahren. Leider. Wir sind alle irgendwie aufbrausend und stürmisch. Ich sage es ungern, die Contenance wohnt nebenan. Bei uns wird hin und wieder, zugegeben auch mal öfter, gebrüllt, geschimpft und geflucht.

Ich glaube nicht unbedingt an Sternzeichen, aber die, die daran glauben, mögen vielleicht den Grund in unserem kollektiv erzürnenden Temperament darin sehen, dass wir alle astrologisch gesehen Hörnertiere sind – bis auf das Baby, aber das hat einen Stachel. Und so lebt es sich als Widder, Stier und Skorpion öfter mal laut und rebellisch unter einem Dach.

Der Pari-Boy mein heimlicher Geliebter

Dabei bringen manche Tage, unsere Gemüter ganz besonders in Wallung. Tage, an denen schon morgens die Spüle überläuft und die Küche unter Wasser steht, während das Baby mit Bronchitis darniederliegt und schon aufgrund seines elenden Gesundheitszustandes zum Weinen neigt. Tage, an denen ich vor dem Inhalationsgerät zu finden bin. Der Pari-Boy ist mittlerweile mein heimlicher Geliebter! Mit ihm verbringe ich vor allem im Winter kuschelige Momente und betrachte mit ihm stundenlang das schlafende Baby. Mit einer bleiernden Müdigkeit in den Knochen und selbst vollkommen angeschlagen. Da bringt mich die Botschaft meines Mannes mit „Die Küche steht unter Wasser“ zum Heulen. Doch dem nicht genug. Denn wenn sich in unserem Heim technische Malaisen einstellen, dann nicht vereinzelt, sondern zuhauf, im Konglomerat sozusagen. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass dem Ruf über die morgendliche Überflutung am Nachmittag die Mitteilung folgt: „Unsere Abwasserpumpe gibt den Geist auf und unser Garten wird gerade zu einer Kloake.“ Ich entnehme der Stimme meines Mannes eine gewisse Hysterie und eine Neigung zum Fluchen. Und auch mein Geduldsfaden zerrreißt vollends nach dem der Stenz mein Essen erblickt und erschnüffelt. Mit den Worten: „Mama, Dein Essen stinkt. Das kannst Du selber essen“. lockt er mein hässliches und schimpfendes Ich aus der Reserve. Es lauerte schon den gesamten Vormittag unter meinem dünnen, fast transparenten Nervenkostüm, das gerade von mir wie staubiger Putz abzubröckeln droht. Wie gut, dass Schwiegermama mich rettet und den Stenz zum Spielen abholt.

Der bärbeißige Stenz

Doch Tage wie diese enden nicht einfach mit angeblich stinkendem Essen. Oh nein, Tage wie diese haben noch einige Trümpfe im Ärmel. Einen dieser Joker ziehe ich gerade als ich mit der Mutter des Stenzens besten Freundes telefoniere und in einem Nebensatz erfahre, dass mein Sohn heute im Kindergarten seinen Busenfreund gebissen hat. Mir fällt vor Schreck fast der Hörer aus der Hand. Diese Nachricht trifft mich wie ein Schlag, da ich durch die vorhergehenden Hiobsbotschaften schon emotional am Straucheln war. Ich kann es nicht glauben, dass mein kleines Engelchen zu so einer Tat fähig ist. Die Recherche im Internet über den wankelnden Gemütszustand beißender Dreijähriger ist höchst beunruhigend und lässt mich fast panisch über die Konsequenzen sinnieren. Ich versuche das Thema mit meinem Mann, der gerade mit beiden Beinen in der Garten-Kloake steht zu diskutieren, was sich als vollkommen falsche Strategie erweist.

Laus-Alarm!

Denn neben unserem Abwasser-Problem, einem beißenden Stenz und einem hustenden Baby droht diese Diskussion einen weiteren Kriegsschauplatz zu eröffnen und einen veritablen Ehestreit zu entfachen. So bringt mich die schmallippige Antwort meines Mannes auf die Nachricht, dass man im Umgang mit unserem Kind bald eine Tetanus-Spritze benötigt vollends auf die Palme. Mit seiner Antwort „Ja mei, da hat unser Stenz wohl mal Bärenjunges gespielt“ hat sich mein Mann in Erziehungsfragen leider vollkommen disqualifiziert. Nach der Lektüre etlicher Erziehungsratgeber sehe ich mich gewappnet meinem bärbeißigen Sprössling mit geeigneten Sanktionen am Abend entgegenzutreten und öffne ihm und der Oma streng dreinblickend die Türe. Ich will gerade mit meiner Strafpredigt beginnen, während ich dem Stenz die Mütze vom Kopf ziehe. Verstumme allerdings schlagartig. Denn das Haupt unseres Kindes gleicht in der Tat dem eines Raubtieres und zwar eines Raubieres, das zu mangelnder Körperhygiene neigt. Es ist übersät mit schwarzen Pünktchen! Sofort läuten bei mir sämtliche Alarmglocken und das Kindergarten-Pamphlet, das bei mir morgens noch auf vollkommene Gleichgültigkeit stieß, leuchtete plötzlich grell und bedrohlich vor meinem inneren Auge: „Der Bienenstock hat Läuse“. All das Ungemach des Tages erschien mir plötzlich in Anbetracht dieser gewaltigen Nachricht wie nichtige Kinkerlitzchen. Ich schrie gen oberes Stockwerk: „Der Stenz hat Läuse, fahr sofort los und hole Laus-Shampoo.“ Doch wie konnte es anders sein, fiel die Laus-Diagnose schon zu später Stunde kurz vor Ladenschluss. Doch unter Aufbringung seines gesamten Charmes gelang es meinem Mann im Telefonat mit einer Apothekerin, dass diese versprach noch ein Viertelstündchen länger zu bleiben und auf den Vater des Laus-Befallenen zu warten. Mit quietschenden Reifen setzte sich der Mann, der sonst eigentlich eher zu keinen überstürzten Handlungen neigt, in Bewegung. Der Abend kulminierte dann in einem Läuse-Massaker auf des Stenzes Haupt. Welch ein passendes Ende für einen desaströsen Tag! Kurioserweise entpuppte sich die Laus-Hysterie ein Tag später als vollkommen unnötig. Am anderen Morgen unter der Lupe betrachtet, erwiesen sich die schwarzen Pünktchen nämlich als lebloser Dreck. Viel Aufregung um nichts, darin sind wir meisterhaft!

Ich, die tote Taube

„Bist Du eher der frühe Vogel oder die Nachteule?“
„Ich habe Kinder, ich bin die kaputte Taube.“

Ja, genauso fühle ich mich heute, wie die kaputte Taube. In den letzten 14 Tagen habe ich 20 Zäpfchen in zwei kleine Popos geschoben – Popos, die keine Lust auf Zäpfchen hatten und diese sofort wieder loswerden wollten. Daher durfte ich nach den diversen Schmerzmittel-Gaben in Kacka-Windeln fahnden und falls ich auf schleimige Zäpfchen-Spuren stieß erneut ein „Zöfpchen“ wie es der Stenz nennt, einschieben. Außerdem habe ich Fieber gemessen, Waden gewickelt, Schleim abgesaugt, mich selbst und meine Kinder von Erbrochenem befreit und dabei keine Sekunde geschlafen. Eigentlich fühle ich mich eher wie eine tote Taube.

DER Virus, der unser Leben veränderte

Aber der Reihe nach: heute vor zwei Wochen suchte uns DER Virus heim. Es war nicht einfach irgendein Virus, es war ein Höllen-Virus, der unsere gesamte Familie lahmlegte. Es fing alles recht harmlos an, mit einem schlafenden Stenz. Ich freute mich sogar bei Ansicht dieses ersten Symptoms, da der Stenz am Tag doch nie schläft. Lieber würde er freiwillig aus dem Fenster springen als sich einfach so aufs Ohr zu hauen. Doch er schlief am Esstisch, plumps und schwuppdiwupp, einfach so ein. Und da auch das Baby schlief, genoss ich doch in meiner Naivität tatsächlich die Vorboten eines der verheerendsten Viren-Wirbelstürme, der über unsere Familie peitschte.

Ich, kurz vor der „Zöpfchen-Überdosis“

Hier einige Highlights aus meiner ganz persönlichen Krankheits-Hölle der letzten Tage: Der Stenz versteckt sich mit letzter Kraft unter dem Wäscheständer, um einer erneuten „Zöpfchen-Zufuhr“ zu entkommen und bekommt im Fieber-Wahn einen Wein-und Wutanfall. Auch das nächtliche Brüllen meines Mannes „Komm, sofort, er hat gekotzt“ gehört ganz sicher zu meinen Krankheits-Höhepunkten. Das heimische Lazarett verließ ich lediglich für Arztfahrten und Apotheken-Besuche. Und ich schwöre, noch einen Tag länger und ich hätte mir selbst eine Zöpfchen-Überdosis verabreicht.

Beruhigungs-Zäpfchen, die mich in Ekstase versetzten

Haben mich in meinen kinderlosen Zeiten Kleider, Jeans und Oberteile in Shopping-Ekstase versetzt, so ist der Höhepunkt meines Einkaufs-Zeremoniells heute der Kauf einer Mixtur aus Globuli und Schüssler-Salzen gegen Schnupfen. Meine Augen beginnen regelrecht zu funkeln, meine Hände zu zittern und mein Herz macht erregte Hüpfer als die Apothekerin mir außerdem auch noch ein Wunderzäpfchen gegen Unruhe bei Säuglingen überreicht. Mein halbes Monatseinkommen schleppe ich seit zwei Wochen in die Apotheke meines Vertrauens. Diverse Haarkuren, Wasserbälle und eine neue Freundschaft mit der Apothekerin sind der Dank für dieses finanzielle Groß-Investment.

Diese Krankheit und der damit verbundene Schlafmangel verändern meine Persönlichkeit. Und zwar nicht zum Positiven. Ich kann mich selber kaum noch leiden. Ich bin zu einem opportunistischen Zombie mutiert, der auf offener Straße wildfremden Passanten die Hucke voll heult. Auf die Frage von Opa Herbert, dem Vater einer Kindergatenbekannten, den ich flüchtig von einer Kindergeburtstags-Party kannte, breche ich schluchzend zusammen und falle ihm, ob er will oder nicht, in die Arme. Worauf er mir huldvoll einige Taschentücher reicht und mich mit den Worten „Du siehst arg mitgenommen aus, Mädchen“ zu trösten versucht.

Die Kinderärztin – meine beste Freundin!

Außerdem bin ich zu einem wankenden Fähnchen im Wind mutiert, da ich mich mit gleich zwei privaten Kinderärztinnen gut zu stellen versuche. Ich ertappe mich dabei, wie ich sie mit Blumen und Konfekt besteche und mit Komplimenten überhäufe, um die Gunst der beiden Pädiater auch zukünftig zu sichern. Denn meine Kinder erkranken bevorzugt an Feiertagen wie in diesem Fall an Pfingsten. Ich merke auch, dass ich Panikattacken bekomme, sobald der nächste mehrtägige Wellnessaufenthalt oder gar Urlaub ins Haus steht und ich mich erneut auf eine Reise begeben muss, bei der ich weiß, dass weder die eine noch die andere Ärztin physisch greifbar sein wird. Auch wenn beide mittlerweile hervorragend telefonische Ferndiagnosen stellen können.

Nix mit rausschlawinern

Eine meiner besten Freundinnen ist sich, was die Kinderplanung anbelangt noch unsicher. Sie meinte kürzlich, dass Sie sich gerne mal aus anstrengenden Situationen heraus schlawinert. Und dass das ja irgendwie mit Kindern schwierig sei. Als mich das Baby im hohen Bogen fontänenartig ankotzt und sie sich wie ein glühender Feuerball an meiner Brust anfühlt, weil sie auch am vierten Tag der Krankheit wieder über 40 Grad fiebert, muss ich an diese beste Freundin denken. Genau jetzt, in diesem Moment würde ich mich auch gerne aus der Situation herausschlawinern. Ich würde sogar alles dafür geben, einfach nicht mehr verantwortlich zu sein. Die Türe hinter mir zu schließen, peng und abzuhauen. Das wär’s jetzt. Aber meine Freundin hat leider recht, rausschlawinern ist nicht mehr. Und so stehe ich meinem Baby auch weiterhin bei. Ich wache Tag und Nacht neben seinem Bettchen und bete, dass der Virus bald vorbeiziehen werde.

Mein Leben mit einem Brustwarzenbeißer

Dabei entpuppt sich das Baby gegen Ende seiner Krankheit als eine ganz besondere Spezies der Brustwarzenbeißer aus der Gattung der Nachttrinker. Das Baby hat nämlich seit einer Woche einen einzigen kleinen Zahn. Dass man mit einem einzigen kleinen Zahn so kräftig zubeißen kann, hätte ich nie für möglich gehalten. Dabei hat sie sich, seit sie stolze Besitzerin dieses weiß-blitzenden Beißerchen ist, darauf spezialisiert am Tage zu beißen und nur in der Nacht zu trinken und zwar ständig. Oh weh, was passiert wohl bei der nächsten Krankheit? Werden wir dann alle zu Werwölfen?