Die Tücken des Urlaubs

Ferien am Meer

In unserem Ferienhaus am Meer lebt ein Spatzenpaar. Es hat ein Nest mit vielen kleinen Spatzen über unserem Esstisch auf der Terrasse. Die Spatzenbabys schreien von fünf Uhr morgens bis 23 Uhr am Abend. Manchmal ertappe ich die Spatzenmama dabei, wie sie nur eine Handbreit von meinem Teller entfernt, einnickt. Sie scheint so unendlich erschöpft. Ich fühle eine Woge der mütterlichen Solidarität mit diesem Spatz als ich heute Nacht bei gefühlten 40 Grad mit meiner Familie das lustige Spielchen „die Reise nach Jerusalem“ vollführe. Nur dass wir, anstatt Stühle wechseln, in unserem Ferienhaus wie eine Horde Wahnsinniger von einem Zimmer ins nächste ziehen. Und zwar nicht einfach nur so, sondern mit zwei Kinderbetten, Wasserfläschchen, Spucktüchern und drei gigantischen Mückennetzen bewaffnet. Denn so macht das Ganze noch mehr Spaß! Dabei wird dieses groteske Spektakel akustisch von lautstarkem Schreien des Babys und mürrischer Schlaftrunkenheit des Stenzes begleitet.

Ich, der Milch gebende Gecko unter dem Ventilator

Nach zwölf Tagen herrlichstem Wetter und süßem Nichtstun hat sich der Wettergott in dieser Nacht dazu entschlossen, uns mit maximaler Hitze und einem ohrenbetäubenden Sturm zu erfreuen. Dabei wird unser sonst so wunderbar durchwehtes Schlafzimmer oberhalb des Meeres zu einem kochenden Hexenkessel. Während vor unseren Fenstern der Sturm lauthals über das Meer peitscht, brodelt und wabert in unserem mediterranen Schlafgemach eine drückende Hitze, die sämtliche Moskitos der Insel anzieht. Aber nur die Moskitos mit einem hohen IQ. Denn sie haben es allesamt geschafft, sich unter unsere Mückennetze zu schleichen, um uns mit lautem Gesurre um die Ohren zu fliegen. Dabei wacht das Baby im Halbstundentakt auf und möchte gestillt werden. So liege ich die erste Hälfte der Nacht in Schockstarre wie ein Milch gebender Gecko unter dem Ventilator.

Auf der Flucht vor sengender Hitze, Meerestosen und schlauen Moskitos

Doch nun wird es mir zu blöd und ich fordere meinen Mann dazu auf, umgehend den Hexenkessel mit seinen hinterlistigen Moskitos zu verlassen. Der Mann brummt mit den Schnaken im Duett, stimmt mir allerdings zu und wir beginnen mit eingangs erwähntem Spiel, der Reise nach Jerusalem. Dabei erweist sich der Aufbau von zwei wackeligen Kinderbetten, die die 10. Generation von italienischen Kleinkindern bereits im Schlaf aufwachsen sah, als echte Herausforderung. Denn die Kinderbetten passen selbstverständlich durch keine Türe ohne zuvor fachmännisch eingeklappt und dann in einem der vielen anderen Schlafgemächer des Hauses ebenso fachmännisch wieder aufgeklappt zu werden. Leider fehlt für dieses Unterfangen in unserer Familie das Fachmännische. Und so befinden sich mein Mann und ich gegen 4:30 Uhr immer noch schweißgebadet im Nahkampf mit den Kinderbetten. Gegen sechs Uhr kapitulieren wir offiziell und gestehen uns unsere Niederlage ein. Das Ergebnis: gegen 6:30 Uhr schlafen wir endlich alle vier in einem sehr übersichtlichen italienischen Doppelbett ein. Die schlauen Moskitos sind auch in diesem Zimmer wieder mit von der Partie. Genau wie die sengende Hitze. Lediglich der Wind, der über das Meer tost ist noch als leises Säuseln zu hören. Aber dafür vernehmen wir aus diesem Schlafzimmer den grandiosen Morgengesang unseres italienischen Nachbarn umso intensiver. Punkt 7:30 Uhr dröhnt uns sein vollmundiges „O sole mio“ aus seiner Dusche entgegen.

Mülltrennungs-Fanatismus in seiner Reinform

Dabei wurde diese glorreiche Mittelmeer-Nacht bereits von einem fulminanten Abend eingeläutet. So muss man wissen, dass sich mein patenter Mann bereits Tage vor unserer Abreise zu einem veritablen Müllexperten mausert. Denn die letzten Jahre haben uns gelehrt, dass man es auf Sardinien mit der Mülltrennung sehr genau nimmt. Während der Nachbar unter der Dusche sein Liedchen trällert werde ich immer wieder Zeuge wie mein Mann als morgendliches Mantra die wöchentliche Mülltrennungsagenda meditativ vor sich hin murmelt: „Umido, Plastica und Secco“ sind die magischen Worte, mit denen mein Mann unsere Urlaubstage in Sardinien veredelt. Doch trotz seines gesteigerten Umweltbewusstseins in unserem Feriendomizil kommt es zum Eklat: Jeden Abend bekommen wir nämlich Besuch von Luciano, dem pedantischen Hüter über den sardischen Müll, der uns mit seiner flotten Ape vom häuslichen Unrat befreit. Allerdings zeigt uns Luciano an diesem lauen Sommerabend, in seinem gesteigerten Mülltrennungs-Fanatismus sein wahrhaft mephistophelisches Gesicht. Ich lümmele gerade glückselig in meinem Liegestuhl und vernehme plötzlich das angstvolle Weinen des Stenzes, der sich mit folgenden Worten auf mich stürzt: „Mami, der Müllmann verprügelt glaube ich gleich den Papa.“ Und tatsächlich Luciano, alias Lucifer steht brüllend und tobend vor meinem verdatterten Mann, der nur noch eingeschüchtert „Umido“ wispert. Er tut mir so leid. Seit Wochen ist er mit ungebremstem Eifer um die korrekte Mülltrennung besorgt und er hätte sich so über ein anerkennendes Lob von Luciano gefreut. Doch von Lobes-Hymnen ist dieser weit entfernt. Erst das laute Weinen des Stenzes gebietet Lucifer Einhalt und er besinnt sich wieder seiner eigentlichen Mission: Mit vernichtenden Worten pfeffert er meinem perplex dreinblickenden Mann den Plastica-Sack um die Ohren und rauscht mit quietschenden Reifen von dannen. Wie herzlos von ihm!

Mit dem Lastwagen zum Einkauf

Doch das Gros der Italiener hat viel Herz. Das bemerken wir als wir am Tag nach dem nächtlichen Umzugs-Debakel mit Entsetzen feststellen, dass sich unsere Wasser-Vorräte auf klägliche fünf Mini-Tropfen reduziert haben. Denn die schweißtreibende Kinderbetten-Aktion hat mich, den Milch gebenden Gecko, zu einem noch größeren Wasserkonsumenten gemacht. So setzt sich meine Familie bei 40 Grad im Schatten in unserem Mietauto gen Supermarkt in Bewegung. Doch wir kommen nicht weit. Das kleine Sack-Gässchen, das sich kurz vor unserem Ferienhaus befindet und uns mit der Außenwelt verbindet, hat sich nämlich über Nacht in ein großes schwarzes Loch verwandelt, das alles zu verschlingen droht. Denn der Straßenbelag hat sich wohl im Laufe der Zeit verdünnisiert und wird nun nach italienischer Manier grunderneuert. Doch bevor wir mit Karacho in unser Unheil plumpsen kommt ein braun gebrannter Bauarbeiter aus dem Gebüsch gehüpft und lässt uns wild gestikulierend abrupt anhalten. „Hier ist für den Rest des Tages kein Durchkommen“ gibt er uns wortgewaltig auf italienisch zu verstehen. Ich halte diese Aussage für einen Scherz oder ein Missverständnis, das sich aufgrund meiner kargen Italienischkenntnisse eingeschlichen hat. Mitnichten, wie wir eine halbe Stunde später, immer noch vor dem Loch verharrend, feststellen müssen. Mittlerweile hat sich allerdings unser Gemütszustand aufgrund der defizitären Schlafbilanz der vergangenen Nacht und wegen eines starken Durstgefühls drastisch verschlechtert. Ein Blick auf das transpirierende Baby und den bleichen Stenz treibt mir spontan die Tränen in die Augen. Wir brauchen Wasser und zwar schnell. „Acqua, acqua for our kids!“ versuche ich stümperhaft unserem kollektiven Durstgefühl Ausdruck zu verleihen. Da zeigt der Chef-Bauarbeiter plötzlich Erbarmen und bietet uns spontan seine Hilfe an. Allerdings besteht diese nicht wie erwartet darin, uns einen geheimen Schleichweg aus der Misere zu zeigen oder das Loch in Windeseile zu stopfen. Oh nein, die Lösung des Problems liegt im nahe gelegenen Lastwagen. Und so fährt ein braungebrannter Bauarbeiter mittags um 13 Uhr während seiner Siesta den Stenz, das Baby, den Mann und mich zum Supermarkt, um mit uns fröhlich den Wochen-Einkauf zu erledigen. Das nenne ich einmal lösungsorientierte Völkerverständigung! Lucifer, nimm Dir ein Beispiel!

Flugreisen mit Kindern – großartig!

Flugreisen mit Kindern

Mein Mann liebt vieles. Frühes Aufstehen liebt er nicht. Man könnte sogar sagen, dass er das frühe Aufstehen fürchtet wie einen Cholerabefall. Und da der Flug nach Cagliari letztes Jahr mit frühem, ja sogar sehr frühem Aufstehen verbunden gewesen wäre, hatte sich mein zu Optimierungen neigender Mann überlegt, unsere sommerliche Urlaubsreise unter das Motto „Aus kurz mach lang“ zu stellen.

Denn um frühes Aufstehen zu vermeiden, optimierte er unsere Reiseroute dahingehend, dass wir nicht nonstop 90 Minuten von München nach Cagliari flogen, sondern mehrmaliges Umsteigen und Aufenthalte an verschieden Flughäfen eingeplant wurden. Ganz nach der Devise „Der Weg ist das Ziel“. Denn wer will schon einen Non-Stop Flug, wenn man sogar für weniger Geld und spätes Aufstehen die Schönheiten des Flughafen Roms bewundern kann. Dabei durfte ich das Duty Free Erlebnis am Airport von Rom als hochschwangere Wurstpelle auf zwei Beinen antreten. Und zwar als schlecht gelaunte Wurstpelle. Denn bei 30 Grad im Schatten wurde ich dank Thrombosestrumpfhosen immerzu von klaustrophobischen Attacken heimgesucht. Schon allein das Anziehen dieser Nylon-Ungetüme kam einer Folterung gleich und ließ mich an der gesamten Reise zweifeln.

Geplatztes Trommelfell – ideale Voraussetzungen für einen reibungslosen Flug

Auch dieses Jahr steht unsere Reise zu unserem sardischen Strand-Häuschen unter keinem guten Stern. Auch wenn es diesmal dank Direktflug ganz andere Herausforderungen zu bezwingen gilt. Das Baby ist geschlüpft und mit ihm eine enorme Anzahl an Säuglings-Utensilien. Schon Tage zuvor bin ich maximal nervös ob der bevorstehenden Alpentraverse mit zwei Kleinkindern. Denn das Baby überraschte uns eine Woche vor Reisebeginn mit so etwas Absonderlichem wie einem geplatzten Trommelfell. Auch wenn die Kinderärztin, um mein äußerst sensibles Naturell wissend, diese Diagnose etwas euphemistischer mit den Worten stellte: „ja, da kam es wohl zu einem kleinen Löchlein im Trommelfell“, schrillten bei mir alle mütterlichen Alarmglocken. Denn nicht nur das Baby, auch der Stenz und ich waren bis über beide Ohren verschnupft. Ausgestattet mit allem, was die Nase freimacht, betraten wir letztendlich trotz aller Malaisen frohen Mutes den Münchner Flughafen.

Defekte Toiletten und Rolltreppen am Flughafen, wunderbar!

Doch die gute Laune verflüchtigte sich, als wir mit gefühlten hundert Handgepäckstücken, einem Auto-Kindersitz, einem sperrigen Kinderwagen samt Maxi Cosi und zwei Kleinkindern der Tatsache gewahr wurden, dass der Fahrstuhl, der uns ins Untergeschoss zu unserem Gate fahren sollte, streikte. Ich erwog kurzzeitig unsere gesamte Bagage einfach die Rolltreppe hinunterzuwerfen. Stattdessen nahm ich dann aber doch das Baby, einen Rollkoffer und des Stenzes Mini-Rucksack und fuhr damit treppabwärts, während der Mann unter lautem Ächzen den Kinderwagen zusammenzuklappte und mir samt zweitem Rollköfferchen folgte. Im Schweinsgalopp ging es dann zum Gate, da unser Familiennamen schon durch den Lautsprecher hallte. Erst hier merkten wir, dass wir im Eifer des Gefechts irgend etwas Elementares vergessen hatten. Oh Gott, der Stenz fehlte! Er stand schreiend oben auf der Rolltreppe. Als Landkind war ihm die Fortbewegung auf fahrenden Stufen wohl suspekt. Um unsere Reise auch für unsere Mitmenschen interessant zu gestalten, ließen wir sie einfach an unserem Italien-Trip partizipieren. So auch an des Stenzes Rolltreppen-Intermezzo. Ein beherzter Rentner schnappte sich nämlich unseren Stenz und meine Handtasche, die ich schlauerweise ebenfalls im oberen Stockwerk vergessen hatte, und bot beiden feierlich sein Geleit nach unten an. Doch nun folgte das nächste Abenteuer. Der Stenz musste Pipi und zwar dringend! Schade, dass keine einzige Toilette im unteren Stockwerk funktionierte. Mittlerweile schallte unser Familienname bereits zum zweiten Mal durch die Weiten des Airports. Herrlich! Ich wieder mit dem Stenz die Rolltreppe nach oben gespurtet. Nun bekam auch das kleine Landei Routine bei dieser modernen Stockwerk-Bezwingung. Aber auch hier oben schienen die Toiletten in einem Radius von 2 km außer Betrieb. Irgendwie schafften wir es dann doch noch rechtzeitig des Stenzes Blase zu entleeren und kurz vor Abflug alle Familienangehörigen mit dem lebensnotwendigen Sprühstoß der verschiedensten Nasentropfen zu bedenken und dann ging es endlich mit lautem Getöse ab in die Luft.

Busenblitzer über den Wolken

Auch hier boten wir unseren Mitreisenden einiges zum Staunen. Denn das Baby, das vom HNO-Arzt strengstens dazu verdonnert wurde, bei Start und Landung zu trinken, wollte alles bloß keine Milch. Wie sollte man sich an Mamas Brust erfreuen, wenn es doch so viel Interessanteres zu entdecken gab. Dabei hatten es dem Baby vor allem die Spucktüten an unseren Vordersitzen angetan. Ich konnte mich barbusig so viel wenden und drehen wie ich wollte, keine Chance, das Baby wollte die Spucktüte und nicht die Brust! Dafür kamen aber sämtliche Passagiere in den Genuss, meinen freizügigen Tanz mitanzusehen, den ich um die Aufmerksamkeit des Babys zu erhaschen, linkisch vollführte. Allen voran, der Stewart und der stieläugige Rentner schräg vor mir. Allerdings zeigte sich letzterer nach der Landung für meinen kleinen Striptease erkenntlich. Denn als der Stenz nach einer kurzen Besichtigung des Cockpits aus dem Flugzeug stürzte, vergaß ich bei dem Versuch ihn einzufangen mal wieder die Hälfte. Wenigstens hatte ich diesmal keines meiner Kinder vergessen. Mein im Flugzeug noch geduldig wartender Mann war allerdings mit der Masse unseres Handgepäcks heillos überfordert und haute in seiner Verzweiflung den betagten Busen-Voyeur um seine tragende Hilfe mit Köfferchen und Co an.

Müll-Weitwurf in der Autovermietung

Nachdem wir bei glühender Hitze an der Gepäckausgabe auch die weiteren zehn Tonnen Reise-Bagage in Empfang genommen hatten, enterten wir euphorisch die Autovermietung. Denn der Stenz war im Glück, dass er seiner Ziel-Destination bald näher kommen sollte. Schon seit Tagen befragte er uns jeden Abend, wie oft er denn noch schlafen müsse, bis wir endlich nach Sardinien aufbrachen. Hier in der Autovermietung wähnte er sich allerdings immer noch irgendwie in heimischen Gefilden. Denn er erzählte mir vollkommen aufgeregt, wie sehr er sich doch freue, endlich bald nach Sardinien zu kommen. Für ihn schien wohl nur unser Häuschen am Meer auf sardischem Terrain zu liegen. Vollkommen aufgedreht dachte sich der Stenz in der einstündigen Wartezeit bis zur Schlüsselübergabe zahlreiche Spielchen aus. Seine Gefährten waren pausbäckige, blond beschopfte Kinder, die genauso außer Rand und Band schienen wie er. Eines der Spiele hieß „Müll weit werfen“. Erst musste jeder Dreck auf dem Boden, der nicht allzu reinlichen Autovermietung ausfindig gemacht werden, um anschließend mit Pauken und Trompeten soweit und hoch wie möglich in die Luft geschleudert zu werden. Ein weiteres lustiges Spielchen, das sich der kreative Stenz überlegte hieß: „ramme unseren haushoch gestapelten Gepäckwagen in die Hacken unseres Vordermannes in der Schlange!“ Doch bevor wir des Platzes verwiesen werden konnten, war es endlich so weit, wir konnten die finale Reise nach Sardinien in unserem Auto antreten.

Über Stock und Stein zum Haus am Meer

Allerdings nahmen wir, wie jedes Jahr nicht den direkten Weg zu unserem Häuschen. Das wäre zu einfach und wider unser Pfadfinder-Naturell. Nachdem der Stenz vor drei Jahren nämlich über die kurvige Küstenstraße an jeden sardischen Oleander kübelte, war für uns oberste Prämisse jegliche Serpentinen zu vermeiden. So ging es dann durch das sardische Hinterland. Und dies im wahrsten Sinne des Wortes. Zunächst führte uns das vollkommen umnachtete Navigationsgerät auf das Militärgelände, das die Start- und Landebahn des Flughafens umgab. Nachdem wir diese Sehenswürdigkeit unfreiwilligerweise eine halbe Stunde umrundet hatten, führte uns eine „Einbahnstraße der Hölle“ nach weiteren 45 Minuten endlich auf die gewünschte Autobahnauffahrt. Während dieses Horror-Trips kamen uns kilometerlang Autos mit einem Abstand von ca. 3 cm entgegen, sodass ich irgendwann die Augen schloss um nicht mehr mit ansehen zu müssen, wie wir sämtliche Kakteen Sardiniens entwurzelten und den ein oder anderen italienischen Kleinwagen streiften. Allerdings konnte ich auch mit geschlossenen Augen das Baby schreien und den Stenz jammern hören „Mami, mir ist so schlecht.“ Nachdem ich dem Stenz eine Spucktüten gereicht und des Babys Schweißperlen getrocknet hatte, kamen wir doch tatsächlich an in unserem Häuschen am Meer. Welch‘ eine Odyssee! Doch jede Minute dieser unterhaltsamen Reise hatte sich gelohnt! Denn tatsächlich angekommen in Sardinien, genossen wir eine unbeschreiblich schöne Zeit in unserem zweiten Zuhause.

Es lebe das Chaos!

Ich bin ein ordentlicher Mensch. Man könnte sogar sagen, ich neige zur Pedanterie. Ich bin ein Mensch, der gerne die beiden blau karierten Kissen mittig auf dem Eck-Sofa platziert und das blau rosa gemusterte Kissen kunstvoll als „Topping“ darauf drapiert. Da bin ich eigen. Das mit meinem Ordnungssinn und der Couch ist kompliziert. Ich habe ein ästhetisches Auge, das über die Raumordnung unseres Wohnzimmers wacht. Jedenfalls tat es das, bevor wir Kinder hatten. Jetzt, nachdem zwei Messies unser Haus belagern, kapituliert mein ästhetisches Auge allerdings regelmäßig.

Probates Mittel gegen Husten: Durchfall-Saft

Mein Ordnungssinn wird dabei kurz vor einer Reise besonders auf die Probe gestellt. Denn dann verwandelt sich unser Haus in das personalisierte Chaos. Der Grund ist, dass nicht nur unsere beiden Ordnungsbanausen im edlen Wettstreit um die maximale Unordnung antreten, sondern auch mein Mann und ich. Während sich mein Mann um so elementare Bestandteile des Kofferinhaltes wie Schwimmflossen und Schnorchel-Brille für das sieben Monate alte Baby kümmert, überlege ich mir, in unserer Urlaubsdestination eine Apotheke mit deutscher Markenware zu eröffnen. Denn meine medizinischen Vorräte sind mehr als ausreichend, um ein ganzes sardisches Dorf für mindestens ein halbes Jahr bei allen gesundheitlichen Notfällen zu versorgen. Nach DEM Horrorvirus, der uns vor zwei Wochen heimsuchte kommt nun jedes Familienmitglied sicherheitshalber in den Genuss eines eigenen Reise-Antibiotikums. Ich bin gewappnet und froh, in diesem Jahr hoffentlich nicht mit Händen und Füßen bei der italienischen Vollblut-Apothekerin, die nur ihrer Muttersprache mächtig war, vorzusprechen. So waren meine Pantomime-Künste vor einem Jahr wohl so miserabel, dass ich anstatt des gewünschten Hustensaftes, ein Mittel gegen Durchfall überreicht bekam. Dabei liefern sich mein Mann und ich beim Packen gefühlsschwangere Wortduelle.

Wild-Ragout – des Babys liebste Speise?

Denn mein Mann hat sich selbst zum Wächter wider das Übergepäck ernannt und wacht beim Packen akribisch über jedes Kilo. Mein eigentlich nicht zu Hysterie neigender Mann fängt an zu toben als ich versuche, meinen geliebten Pari-Boy, das Inhalationsgerät, in die Weiten meines Koffers hinein zu schmuggeln. So feilschen wir um jedes Teil, vor allem bei den Baby-Gläschen. Denn was Baby-Kost im Ausland anbelangt, bin ich misstrauisch geworden. So wurde unser Sohn während seines ersten Urlaubs auf Elba wider Willen dazu verdonnert, Kaninchen und Wildschwein Ragout zu verspeisen, denn etwas Anderes gaben die von uns aufgesuchten Insel-Supermärkte als kommerzielle Kleinkind-Kost nicht her. Der Stenz, der seit jeher bei seiner Nahrungsmittelaufnahme zu kapriziösem Ess-Verhalten neigt, verschmähte natürlich das edle Gläschen-Wild und ernährte sich auf besagter Reise ausschließlich von Blaubeeren und Milch.

Ein Hoch auf 10 Grad und Nieselregen!

Dabei beglückwünschten wir uns beim Packen immer wieder, dass seit heute zum Glück nicht mehr so eine Affenhitze in Deutschland herrschte. Das war ja kaum auszuhalten. Wie gut, dass in unserer Urlaubsdestination heiße 40 Grad vorausgesagt wurden. Besonders schön, wenn man mit einem babyspeckigen Säugling verreist, der zu starker Transpiration neigt.

Piraten ahoi – der Stenz reist mit schwerem Gepäck

Während mein Mann und ich uns noch um die richtige Zusammensetzung unseres Gepäckes stritten, hatte der Stenz seine Reisevorbereitungen abgeschlossen. Er war mit sich und seinem Kofferinhalt im Reinen. Der Stenz saß zufrieden inmitten unzähliger Uno Karten, bunt gefächerter Malstifte und einer Millionenstadt aus Legomännchen. Doch all dies sollte nicht mit in den Urlaub. Denn diesem bizarren Spiele-Konglomerat kam ein anderes Schicksal zuteil: ihm war beschieden, weiterhin unser heimisches Wohnzimmer zu verschönern. Stattdessen zeigte der Stenz voller Stolz auf seinen Reise-Rucksack. Beim ersten Anheben fiel mir spontan auf, dass dieses kleine Handgepäck im Begriff war, locker die Gewichtsgrenze unseres Hauptgepäcks zu sprengen. Denn mit nach Sardinien sollte nicht nur das gesamte sehr ansehnliche Stöcke Arsenal des Stenzes, sondern auch die schönsten und größten Wackersteine, die der Stenz in den letzten drei Jahren auftreiben konnte. „Dieser Piratenschatz muss unbedingt mit!“ Da gab es kein Pardon.

Freie Fernsicht für das Baby

Seine Schwester, das Baby hingegen sollte mit verhältnismäßig leichtem Mini-Rucksäckchen gen Süden fliegen und zwar mit des Stenzes kleinem Fernrohr. So war das Baby als ich kam gerade dabei gegen seinen Willen, einen Fernrohr- Seh- Lehrgang beim Stenz zu absolvieren. Was allerdings in großem Geschrei endete. „Ich will doch unserem Baby was lernen!“ wiederholte der Stenz voller Verzweiflung und mit jeder Menge lehrmeisterlichem Pathos. Aber das Baby war nicht wissbegierig und wollte von seinem Bruder nichts lernen. Vor allem dann nicht, wenn der Lernvorgang darin bestand, ein Fernrohr feste aufs Auge gedrückt zu bekommen. Na ja, wenn das kollektive Geschrei ein Ende hat, sollte es morgen gen Süden gehen. Mit im Gepäck: Babygläschen, Schwimmflossen, Wackersteine und ein Mini Fernrohr, aber ohne den Pari-Boy!

Stillen im Vierfüßlerstand

Ich bin ein bescheidener Mensch. Leute, die mich kennen würden bestätigen, dass ich selten behaupte, über etwas besonders gut Bescheid zu wissen oder etwas gar hervorragend zu können. Außer vielleicht am See sitzen. Doch ich übertreibe nicht, wenn ich keck in den Raum stelle, so einiges über das Stillen zu wissen. Jedenfalls in der Theorie.  

Doch von vorne. Ich wuchs mit dem Bewusstsein auf, dass das Schmerzvollste im Leben einer Frau nicht die Geburt, sondern eine Brustentzündung ist. Sobald ich das erste Mal schwanger war, riet mir die beste aller Mütter unbedingt ein Stillseminar zu besuchen, um die höllischen Qualen und das Fieber-Delirium, das sie aufgrund einer Mastitis mit mir im Wochenbett erlebte, tunlichst zu vermeiden. Auch die intensive Lektüre von Stillratgebern wurde mir von Freundinnen ans Herz gelegt. So ließ ich mich, in Anbetracht der nahenden Gefahr nicht lumpen und lernte in einem ersten und drei Jahre später sogar in einem zweiten Stillseminar alles, was es über korrektes Anlegen und Saugen, wunde Mamillen und Stillhütchen zu wissen gibt. Ich sah mich vor der Niederkunft des zweiten Babys also bestens gewappnet. In der Theorie. Die Praxis lehrte mich eines Besseren.

Brüste, die den Tag bestimmen

Ab dem 2. November 2016 diktierten dann urplötzlich wieder meine Brüste den Tagesablauf. Körperteile, die 38 Jahre lang so gut wie keine Rolle spielten, weil so gut wie nicht existent. Und das war gut so! Ich gehöre wohl zu den wenigen Frauen, die den Hype um große Brüste niemals nachvollziehen können. Ich würde jederzeit nicht-existente Brüste dem prallen Stillbusen vorziehen. Letztere übernahmen jedenfalls schlagartig das Kommando und ihnen wurde eine vorher nicht gekannte Aufmerksamkeit zuteil.

Auf einmal wurden sie ausgestrichen, abgepumpt, massiert und in kalte Kohlwickel gehüllt. Nachdem sich mein Mann nach eingehender Beratung durch die Frau am Obst- und Gemüsestand für den perfekten Kohl entschied und diesen dann nach Hause schleppte. Überhaupt legte mein Mann unglaubliches Geschick in Sachen Brustpflege an den Tag. Denn als trotz aller Vorkehrungen eine Brustentzündung drohte, wurde er zum Weltmeister im Quark Wraps wickeln. Dabei ließ er sich in diese hohe Kunst von unserem Nachbarn einführen. Ich belauschte die beiden dabei, wie sie im Garten über die richtige Wickeltechnik und den korrekten Ausschnitt in Brustform fachsimpelten und sich gegenseitig anspornten.

Schlaff-stinkende Kohlblätter quillen aus meinem Dekolleté

Doch es half alles nichts, meine linke Brust hatte sich dazu entschlossen, ein purpur rotes Gewand überzustreifen und mir abscheuliche Schmerzen zu bereiten. Nachdem ich mit dem Baby eine Nacht um die Wette gejammert hatte und kurz davor war Amok zu laufen, verfrachtete mich mein Mann samt greinenden Baby ins Auto und fuhr mich zur Gynäkologin. Während der Fahrt verschlechterte sich mein psychischer und physischer Zustand dramatisch: Mein Äußeres war mir plötzlich vollkommen Schnuppe. Anders waren die Quarkflecken, die sich auf meinem säuerlich vor sich hin müffelnden Oberteil abzeichneten nicht zu erklären. Auch hätte mir vor dem Arztbesuch eine Haarwäsche und ein wenig Make Up gutgetan. Aber für solche Trivialitäten hatte ich in meinem erbärmlichen Zustand einfach keinen Sinn. Mir ging es dreckig und das sollte ruhig jeder sehen. Und das tat die Vertretung meiner Frauenärztin dann auch. Und zwar mit größtmöglicher Abscheu! Als ich ihr meine wehe Brust zeigen wollte, blätterten zu meinem Leidwesen hunderte von schlaff-stinkenden Kohlblättern von mir ab und platschten mit Schmackes auf das fein gebohnerte Fischgrätenparkett. Eine erneute Heul-Salve meinerseits war die Folge. Die Frauenärztin rümpfte die Nase. Ob dieses Naserümpfen der Tatsache geschuldet war, dass der Gestank meiner lätschernen Kohlblätter den feinen Raumduft zu übertünchen drohte oder dem jämmerlichen Zustand meiner Brust, mag ich heute nicht mehr zu beurteilen. Nach einem kurzen Ultraschall empfahl mir die Frauenärztin eine elektronische Brustpumpe und eine Therapeutin. Außerdem sollte ich mir schnellst möglich professionelle Unterstützung für die Kinderbetreuung zulegen, da ich ja heillos überfordert wäre. Einfühlsam geht anders. Sogar mein Mann schrak aufgrund ihrer Schroffheit zusammen und riet mir, diese Vertretung besser nicht mehr aufzusuchen. Es geht doch nichts über männliche Verbundenheit in Krisensituationen.

Stillen im Vierfüßlerstand, ein Highlight meiner persönlichen Stillbiographie

Doch dachte ich, dass dieser Besuch den Tiefpunkt meiner persönlichen Stillbiographie markierte, so irrte ich. Schlimmer geht immer, überlegte sich das Schicksal und ließ mich einen Tag später im Vierfüßlerstand das Baby stillen. Denn die Lösung meines Problems lag ganz sicher nicht in einer elektronischen Milchpumpe, wie es mir die Frauenärztin weiß machen wollte. Nein. Die beste aller Hebammen und meine Retterin im Wochenbett erklärte mir auf liebevolle und tröstende Weise, dass mich nur das Baby aus diesem Schlamassel retten könne. Es sollte den Milchstau einfach wegsaugen. Ausschlaggebend war dabei die Stillposition. Des Babys Kiefer musste dafür am Quell alles Bösen andocken.  Da das Baby ein prächtiges ist und nicht zu den mageren Leichtgewichten gehört fiel es mir schwer, es mal eben so über die Schulter zu werfen, sodass es mir den Milchstau auf dem Kopf stehend wegzuzelte. Daher begab ich mich gezwungener Maßen auf alle Viere, positionierte des Babys Kiefer an die Stelle meines Ungemachs und feuerte es unter den Augen gleich zweier Hebammen an, den Karren für mich aus dem Dreck zu ziehen. Insgeheim versprach ich dem Baby bei gelungener Mission ein flottes kleines Autochen zum 18. Geburtstag. Und nach drei Tagen eines wahrlich authentischen Melkgefühls war der Knoten im wahrsten Sinne des Wortes geplatzt. Das Baby hatte es geschafft und ich werde mein Versprechen in achtzehn Jahren einlösen. Großes Ehrenwort!