The last unicorn: Und das Einhorn tanzt im Regen

Es gibt ja Menschen, denen liegt das Organisieren von Events im Blut. Das sind die geborenen Partymaker. Die mixen vier Cocktails gleichzeitig, legen die perfekte Mucke auf und reichen dabei anmutig lächelnd Hors d’Oeuvres, bei denen ich unweigerlich vor Entzücken mit den Ohren schlackere. Selbstverständlich sehen diese geborenen Gastgeber dabei noch umwerfend aus und sind so souverän und cool wie Daniel Craig bei seiner Film-Premiere. Ich gehöre nicht zu diesen Menschen. Ich gehöre vielmehr zu der Sorte von Leuten, die bereits sechs Monate vor einer Party, die sie selbst ausrichten müssen, anfangen an Schlafstörungen zu leiden und sich dann, wenn es soweit ist, am liebsten im Keller verstecken würden. Von mir veranstaltete Partys machen mich nervös.

Seit zwei Jahren Partyflaute

Und so blicke ich auf unruhige Zeiten zurück. Denn unsere Tochter wurde sich diesen Frühling der Tatsache bewusst, dass wir ihren Geburtstag coronabedingt die letzten zwei Jahre eher so im Sande verlaufen ließen. Zwar wurde sie von den betagteren Familienmitgliedern, allen voran Omas und Opas gebührend gefeiert, allerdings blieb aufgrund steigender Inzidenzen der ersehnte Kindergeburtstag aus. Ich gebe es zu, für mich war dies einer der wenigen Lichtblicke, die die düstere Coronazeit bislang mit sich brachte. Ich konnte mich vor Kindergeburtstagen drücken. Allerdings eben nur so lange, bis unsere Tochter mich als Drückebergerin entlarvte. Die Entlarvung kam passenderweise pünktlich mit dem Erblühen erster Frühlingsblüten. Und mit ihr kam die Frage unserer Zweitgeborenen, wann wir denn gedächten, ihren vierten Geburtstag nachzufeiern. Dabei vertröstete ich sie immer wieder auf den 2. November, den Tag ihrer Geburt. Als Ablenkungsmanöver begann ich dann schon im Juni diversen Einhorn-Plunder für die große Party im Herbst einzukaufen. So begleitete uns die „Vision“ ihres bevorstehenden Wiegenfestes das ganze Jahr hindurch. Sogar so sehr, dass es unsere Tochter im Oktober nicht mehr aushielt und mich anflehte, doch nun endlich einen Monat vor ihrem fünften Geburtstag ihren vierten Geburtstag nachzufeiern. Eine grandiose Idee!

Wenn der Tortenschreck backt

Da ich, wie gesagt, eher zu den Menschen gehöre, denen das Ausrichten von Partys im Allgemeinen und das Organisieren von Kindergeburtstagen im Besonderen, nicht allzu viel Freude bereitet, bestellte ich mit ihr weiteren Einhorn-Schnickschnack. Und mein Plan ging auf. Mit dem Eintreffen des an Kitsch kaum zu überbietenden Einhorn-Traums vergaß meine Tochter den Gedanken an eine Nachfeier und freute sich nun nur noch auf die Party, die zu Ehren ihres fünften Geburtstages bald stattfinden sollte. Um die Vorfreude noch zu steigern, begannen wir bereits im September an der Gästeliste zu feilen. Auch das Einhorn-Tortenrezept lag bereits seit August bei mir in der Küche herum und bereitete mir Bauchschmerzen. Obwohl ich aus einer Konditoren-Familie stamme, zählt das Backen nicht gerade zu meinen Stärken. Brennkuchen oder Kuchen, die in Form und Konsistenz große Ähnlichkeit zu einem Leberkäs‘ haben, sind dabei meine Spezialität. Ich bin quasi das Pendant zur Tortenfee, nämlich der personifizierte Tortenschreck. Zum Glück steht mir mein Freund Dr. Oetker verlässlich bei Geburtstagen zur Seite. Allerdings stößt auch er bei Einhorn-Torten an seine Grenzen. Und trotzdem war ich wild entschlossen, keine Torte zu kaufen, sondern sie selbst zu machen. So als Liebesbeweis. Meiner Backunfähigkeit zum Trotz rückte der große Tag immer näher. Um mich warm zu backen, versuchte ich es für die kleine Party im Kindergarten zunächst mit Einhorn-Cupcakes. Das Ergebnis war ernüchternd und wurde von unserer Tochter mit folgenden Worten kommentiert: „Die esse ich lieber nicht, Mami, die sehen nicht gut aus!“ Leider musste ich ihr zustimmen. Der Arbeitstitel zu meinem Backwerk schien zu lauten: „The last unicorn“ Aufgrund meiner Ungeduld hatte ich die Buttercreme auf die noch warmen Törtchen geklatscht und die gezwirbelten Fondant-Einhörner dann in die herunterlaufende Buttercreme gematscht. Ein fataler Fehler, wie sich schnell herausstellte. Aus den strammen Einhörnern wurden innerhalb einer Nacht schlaffe, krumme Gurken und die Buttercreme floss an den Cupcakes herunter als sei sie vor mir auf der Flucht. Wahrscheinlich zu Recht.

Und die Torte glänzt im Nieselregen

Doch die Cupcakes waren in der heißen Phase der Partyvorbereitung mein geringstes Problem. Eine viel größere Herausforderung war die Tatsache, dass wir unsere Gästeliste aufgrund steigernder Inzidenzen schrumpfen lassen mussten, während meine Nervosität stieg. Ich hatte mir alles so schön vorgestellt: Die Deko im Wohnzimmer, die Spiele im trauten, warmen Heim. Während ich immer wieder die perfekte Einhorn-Party gedanklich durchspielte, fragte mich unsere Tochter jeden Tag mindestens vier Mal, wie oft sie denn noch schlafen müsse, bis sie ihren Gästen auf ihrem neuen Einhorn entgegenreiten dürfe. Undenkbar, dass ich dem Rat der Kinderärztin folgen und die Party kurzerhand absagen sollte. Das konnte ich dieser kleinen, zarten Kinderseele nicht antun, nach zwei nicht gefeierten Geburtstagen. Daher entschlossen wir uns, der Wettervorhersage zum Trotz, den Kindergeburtstag ins Freie zu verlegen. Das Einhorn hatte ja Fell. Dabei beschäftigten mich so existenzielle Fragen wie: Gibt es Regencapes für Einhorntorten? Oder: Sollte eine Feuerschalle bei einem Kindergeburtstag zum Einsatz kommen? Außerdem legte ich mir noch sicherheitshalber einen Vorrat an Schnelltests zu.

Zu Gast bei der spanischen Inquisition

Unter erschwerten Bedingungen war der große Tag dann irgendwann gekommen. Um 14:30 Uhr sollte die Party beginnen. Schön, dass pünktlich zum Start des Festes ein dickes Regenband den rosaroten Einhornhimmel verdunkeln sollte. Also wurde erneut alles umgeschmissen. Dass mittlerweile kein Shitstorm über mich hereinbrach, als ich die digitale Geburtstagsgruppe schon wieder um eine kleine Umdisponierung bat, verwunderte mich zutiefst. Dick eingemummelt und kaum zu erkennen, trafen die feierwilligen Kinder, die in der Zahl stark reduziert waren, also bereits um 13 Uhr bei uns ein. Dabei kam ich mir im Vorfeld vor, wie bei der spanischen Inquisition. Keiner, der nicht vorher den negativen Schnelltest eingereicht hatte, durfte die Pforte zum pastellfarbenen Glück passieren. Einem Vater rannte ich sogar mit Schnelltest entgegen, bevor er mir sein Kind übergab. Gastfreundschaft schaut anders aus. Und auch das Setting der Party erinnerte mehr an einen Gruselfilm. Kurz vor Eintreffen der Gäste blies Petrus die gesamte Deko vom Terrassentisch und die an den Hauswänden festgenagelten Helium-Einhörner entschlossen sich, mit dem Wind davonzureiten. Dabei wurde ich sehr demütig und hätte vor Freude beinahe Purzelbäume geschlagen und dass nur, weil wir die Torte und Cupcakes lediglich im Sprühregen verzehren durften.

Von der Einhorn-Sause zur Ghetto-Party

Allerdings hatte ich mich zu Früh gefreut. Denn die Wettervorhersage entpuppte sich als hervorragend präzise. Pünktlich zur Schatzsuche setzte dann Starkregen ein. Und beim Sackhüpfen und Eierlaufen durften die Kinder dann witterungsbedingt die genauen Abmaße unserer Garage kennenlernen. Es fehlten eigentlich nur noch die brennenden Mülltonnen, dann hätten wir den Bogen von der blümeranten Einhorn-Sause zur Ghetto-Party erfolgreich gespannt. Den Kindern schien der Regen und die mit zwei Girlanden und drei Luftballons etwas kümmerlich dekorierte Garage als Party-Setting nichts auszumachen. Sie freuten sich an den mittlerweile großzügig von mir verteilten Süßigkeiten (irgendwie muss man den Nachmittag ja rumkriegen), meinen stümperhaften Versuchen des Ententanzes und lauwarmer Hotdogs. Doch das eigentliche Highlight kam zum Ende der Party. Unter maximalen Glucose-Einfluss fingen die kleinen Party-People an, mit großem Elan, unsere Garage auszukehren. Kein Krümel blieb verschont. Anschließend wurde dann im Regen zum Lied „Ich bin ein Einhorn“ gerockt, während das Helium-Einhorn über unseren Köpfen mit den Sturmböen tanzte.

Ein Plädoyer für mehr herbstliches Rumhocken

Ich war ein paar Tage im Krankenhaus. Nichts Ernstes, aber doch so ernst, dass ich mich auf das Wegatmen meiner Schmerzen konzentrierte. Und das war es auch schon: ein- und ausatmen und die richtige Position im Bett finden. Ab und zu schlappte ich die langen Krankenhausflure entlang und sann über das Leben nach. Dabei sog ich verwundert diese eigenartige Ruhe in mich ein. Eine Ruhe, die ich so gar nicht kannte. Wo war der Lärm? Wo waren die Menschen? Die Welt war draußen. Weit weg. Ich schlurfte und atmete und versuchte, als rohes Ei nicht zu fallen. Bloß keinen Sprung bekommen. Und während ich konzentriert einen Fuß vor den anderen setzte, staunte ich über diese Stille, die so kraftvoll in der Luft lag. Wow. Das hier haute mich um, in seiner ganzen Einfachheit.


Und plötzlich ganz allein

Ich war der einzige Mensch auf den Fluren. Auch wenn sich hinter den großen Türen andere Leben verbargen. Während ich auf und ab schlappte, atmeten sie wohl alle so leise, dass ich nur mit mir selber war. Und das war schön. Keine Termine, kein Laptop, keine Emails, kein Haushalt, kein gar nichts, noch nicht mal Selbstoptimierung. Einfach nur die Stille und das Wegatmen der Schmerzen.

Schlafen am helllichten Tag

Nach vier Tagen fragte mich eine Freundin, wann ich denn Heim dürfe. Ich entgegnete ihr, ihre Frage sei vollkommen falsch gestellt und müsste viel mehr lauten. „Wann ich denn Heim müsse?“ Denn ich weiß nicht, wann mich das Leben das letzte Mal so runtergeschraubt und auf winziger Flamme hatte flackern lassen. Und wie einmalig war es, dieses kleine leise Licht zu sein, von dem man nichts erwartete. Keinen Plan zu haben, nur atmen zu müssen. Bei meinem Hin- und Hergeschlurfe auf den verwaisten Fluren fand ich einen Band mit Kurzgeschichten. Nach einer Geschichte, die mich an das funkelnde Grau des Meeres brachte, schlief ich ein. Tief und fest. Zwei Stunden und das mitten am Tag. Beim Aufwachen überlegte ich mir, den Chefarzt zu bestechen, meinen Aufenthalt irgendwie noch etwas auszuweiten, so lange bis ich wieder bereit wäre für das Draußen, bis die Langeweile an mir hochkröche und mich schüttele. So lange bis mir die Anrufe fürsorglicher Freunde, die sich zum Besuch ankündigen wollten, nicht mehr als Drohung erschienen und ich mich auf mein bisweilen chaotisches Leben zu Hause wieder freute.

Schlanke Auszeiten statt schlanke Hintern

Ich verstehe meine Freundin, sie will für ein paar Tage in ein Kloster. Nicht in ein Wellnesshotel. In ein Kloster! Kein Schwimmen, kein Geschwätz, kein Programm, kein Schnickschnack. Nur Stille und man selbst sitzt mitten drin mit seinen Gedanken in dieser raumausfüllenden Ruhe. Keine Ablenkung. Vielleicht ist es das, was wir diesen Herbst brauchen: Keine Massagen und Facials, keine Body Workouts für schlanke Hintern, sondern schlanke Auszeiten, die nicht vollgepackt sind mit Höhepunkten, die uns müde und morsch machen. Kein Zudröhnen mit Aktivitäten. Kein Vollpacken des Lebens bis in die hinterste Ritze, sodass es plötzlich kippt.

Muße, verloren im Alltagstrubel

Verstehen sie mich nicht falsch, ich reise für mein Leben gerne und liebe Abenteuer. Aber diese ständige Suche nach dem nächsten Kick, der uns ablenkt und zerstreut und uns wegbringt von uns selbst. So viel Lärm um nichts, selbst im Urlaub. “Wir waren wandern, biken, shoppen, haben Städte besichtigt und sind auf Berge geklettert, waren schwimmen, schnorcheln und tauchen, und haben abends so lange geschlemmt, dass wir am nächsten Morgen den Bauch wieder wegtrainieren mussten.“ Wo ist sie geblieben, die Muße und vielleicht auch ein bisschen Askese? Wir haben sie scheinbar im Alltag verloren und finden sie auch im Urlaub nicht mehr. Mit ihr kann man  auch keinen Blumentopf gewinnen, höchstens ein bisschen Frieden. Aber das ist ja auch schon allerhand.

Zeit ist Geld – auch im Urlaub

Umso bedauerlicher, dass wir das Nichtstun verlernt haben. Wir brauchen überall und immer einen produktiven Output, sogar im Urlaub. Und wenn es sich nur um schillernde Erinnerungen handelt. Zeit ist Geld und das Leben ist kurz. Bevor ich sterbe, sollte ich noch so einiges erleben. Zu atmen und Flure entlangschlurfen, davon kann ich im Alter nicht zehren. Das habe ich später noch genug. Vielleicht ist es diese elementare Angst, die uns umtreibt und selbst in unserer Freizeit zum blinden Aktionismus verdonnert. Mir hat die Zwangspause im Krankenhaus jedenfalls gutgetan. Und plötzlich verstehe ich meine Tochter, die mir an einem sonnenbeschienenen Samstag in den Bergen entgegen jammerte: „Mama, ich möchte nur nach Hause und einfach so rumhocken.“

 

Auf Tauchstation

Ich stehe auf der Straße und stecke kopfüber in unserer Mülltonne, während ich verzweifelt nach einem Haifischzahn suche. Es ist abstrus, ich weiß! Wie gut, dass ich manche Dinge vor der Mutterschaft nicht wusste und auch nie in Erwägung gezogen hatte. Sonst hätte ich es mir mit dem Mamasein vielleicht doch nochmal anders überlegt. Nein, hätte ich nicht! Warum ich bis über beide Ohren im Müll stecke? Weil ich des Stenzes selbst gebastelte Haifischzahn-Kette irgendwo versteckt habe. Ich weiß bloß nicht mehr wo und würde auch nicht mit 100%iger Sicherheit ausschließen wollen, dass ich sie in meinem Zorn entsorgt habe. Deshalb durchwühle ich nun den Müll während neben mir ein tobender Stenz steht, was die Suche für mich nicht unbedingt einfacher gestaltet. Wo habe ich sie bloß hin?

Gefahr in Verzug

Dass ich die Kette versteckt habe, musste sein. Denn der Stenz jagte am Wochenende seine kleine Schwester mit der Spitze seines gefährlichen Halsschmucks quer durch den Garten. Und zwar so lange, bis sich unsere Zweitgeborene unter lautem Gebrüll nicht mehr zu helfen wusste und sogar einen beherzten Sprung in unseren Koi-Teich als einzige Rettung in Erwägung zog. Dabei ist sie bislang noch bekennende Nichtschwimmerin. Das zeigt, welche Qualen sie bei ihrer Flucht vor dem scharfen Reißzahn (der wohlgemerkt aus Kunststoff bestand) ausgestanden haben muss. Es war also richtig, dass ich die blöde Kette versteckte, beschwichtige ich mich selbst, während der Stenz in resignierte Schluchzer übergeht. Mein Problem ist einfach, dass mein Hirn, um bei der Meeresbiologie zu bleiben, zunehmend einem löchrigen Fischernetz ähnelt. Da schlüpfen beim Fischen schon mal die ein oder anderen Ozeanbewohner durch.

Die Suche nach dem heiligen Gral

Oder anders ausgedrückt, durch mein stetiges Bestreben Dinge vor meinen Kindern zu verstecken, schrumpft unser häusliches Inventar. Was ich so verstecke? Mit Vorliebe elektronisches Gerät. Scharfe Zähne werden zugegebenermaßen, außer für die Zahnfee, selten an mysteriösen Orten hinterlegt. Alte iphones, ipads oder Fernbedienungen gehen bei uns hingegen häufiger auf Tauchstation. So lebten wir kürzlich vollkommen mattscheibenfrei, weil ich vergaß, an welchem geheimen Ort ich die Fernsehschalter vor unseren Kindern verborgen hielt. Nach ca. zwei Wochen machte der Mann dann einen Zufallsfund. Und zwar bevor das Popcorn in der Mikrowelle zu knallen begann. Hatte ich die Fernbedienungen doch tatsächlich in der Mikrowelle versteckt. Die Freude bei den Kindern und beim Mann war enorm. Schwieriger gestaltete sich die Suche nach dem Täschchen mit ipads und Co, die wir über Monate vermissten. Selbst Handy-Ortungen schlugen fehl. Nach den langen Wintermonaten beglückte uns auch hier wieder ein Zufallsfund. Fanden wir das gesamte Apple Produkt-Portfolio in der Badetasche tief vergraben unter den Schwimmflügeln, Schnorcheln und Taucherbrillen. Da klopfte ich mir innerlich schon ein bisschen auf die Schulter. Ich bin zwar vergesslich aber absolut kreativ beim Auffinden der perfekten Verstecke. Allerdings lehrte mich das wochenlange Herumirren und das detektivische Fahnden im Haus, dazu überzugehen, mir eine Notiz zu schreiben, wo ich denn die ein oder andere Kleinigkeit vor unserem Nachwuchs verbarg. Leider fand ich bei der letzten „Versteck-Mission“ meine Notiz nicht mehr, was eher ungeschickt war.

Geschenkt ist geschenkt wiederholen ist gestohlen!

Ganz anderes tickt unsere Tochter, die Sachen ungern aus der Hand gibt. So waren wir unlängst auf einem Kindergeburtstag eingeladen. Voller Freude und Euphorie half sie mir beim Verpacken des Einhorn-Malbuchs. Dabei gestand sie mir, wie sehr sie ihre eigenen Einhorn-Malbücher liebe. Und so hätten mich ihre starken Liebesbekundungen hinsichtlich des zu verpackenden Geschenks schon etwas misstrauisch machen sollen. Machten sie aber nicht. Auf der B-Day-Party angekommen, riss sie mit großem Elan, zusammen mit dem Geburtstagskind, das Geschenkpapier von unserem Mitbringsel herunter. Um es dann nicht mehr aus der Hand zu legen. Auch während der Spiele war sie kaum davon zu überzeugen, das Malbuch beiseite zu legen. Dabei verkündete sie überall frohgemut, dass das Geburtstagskind damit einverstanden wäre, dass sie das mitgebrachte Geschenk wieder mitnähme. Ich hielt das für einen schlechten Scherz. Doch die Party neigte sich dem Ende zu und Lou klaubte das Malbuch tatsächlich zusammen. Sogar den Luftballon, den wir der Jubilarin als Zeichen unserer Freude zu ihrem Ehrentag überreichten, wollte sie unbedingt wieder einsacken. Dabei flüsterte ich meiner Tochter unaufhörlich ins Ohr, dass man Geschenke nicht wieder mitnähme. Das wäre unhöflich. So bestünde quasi der tiefere Sinn eines Geschenkes darin, beim Beschenkten dauerhaft zu verbleiben und ihm Freude zu bereiten. Ein Umstand, den unsere Tochter vollkommen unsinnig fand und daher negierte. Sie war fest entschlossen, lediglich die Geburtstagskarte bei ihrer Freundin zu belassen. Wie großzügig! Nur unter Einsatz größtmöglicher Phantasie gelang es mir, ein gekonntes Ablenkungs-Manöver zu starten. O.k. ich gebe es zu, ein bisschen Bestechung war auch dabei: denn ich versprach ihr, dass sie dasselbe Einhorn-Buch erhalte, wenn sie ihr Mitbringsel  bei ihrer Freundin beließe. Es klappte. Allerdings war der Lernerfolg bei dieser Bestechungs-Aktion gleich null. Denn beim nächsten Playdate setzte Lou noch eins drauf und knackte zunächst das Sparschwein ihrer Freundin, um dann den Inhalt in ihre Taschen zu stopfen und glücklich zu verkünden, dass ihre Freundin, ihr gerne ihr Geld überließe.

Was sind wir doch für ein  formidables Team! Ich verlege unseren Hausstand und Lou sorgt für Nachschub. Hervorragend.

Wann ist denn endlich wieder Wunschmond?

Diese Frage stellte mir kürzlich meine Tochter. Und sie meinte damit, wann denn endlich wieder Vollmond sei. Denn bei Vollmond wünschen wir uns immer so ein bis zehn Kleinigkeiten – eben das, was uns so einfällt. O.k., manchmal sind es auch zwanzig Kleinigkeiten. Und sie hat Recht, es wäre tatsächlich schön, wenn es bald wieder soweit wäre. Denn ich brauche dringend Urlaub, den ich mir jetzt gerne auf der Stelle wünschen würde.

Reif für die Insel

Warum mir der Sinn so nach Urlaub steht? Ach, da fallen mir viele Gründe ein. Zunächst einmal die Tatsache, dass wir ein Haus bauen und sich der Spruch „Bauen ist Grauen“ quasi täglich bewahrheitet. Dann wäre da noch die Petitesse, dass mein heiß geliebtes Uralt-Auto am Wochenende unter borstigem Gehoppel und miefigen Gestankseinlagen seinen Geist aufgab und ich mich nun mit Pferdestärken und Kraftstoffverbrauch etwaiger Neuwägen herumschlagen muss. Grauenvoll. Ach ja, und Corona, diese miese Socke, die mich zum Multitasker werden ließ, gibt es ja auch. Und last but not least wäre da noch der Geburtstag des Stenzes als Grund für meine Urlaubsreife.

In der Feier-Hölle

Ich befinde mich nämlich gerade mittendrin in einem scheinbar nicht enden wollenden Feierzyklus. Als Auftakt der Festlichkeiten kündigten sich letzte Woche beide Großeltern-Paare (vollkommen geimpft wohlgemerkt) zu Besuch an. Und ich fühlte mich im Vorfeld wie der Chefkoch einer Großküche. Leider nur ohne Sous-Chef, Küchenjunge oder sonstiger Küchen-Crew. Es gab da nur die Küche und mich. Eine nicht wirklich erquickliche Kombination. Doch ich meisterte die Herausforderung bravourös und wirbelte mit Töpfen, Pfannen und Kuchenblechen so virtuos umher, dass es mir tatsächlich gelang, vier ansehnliche Kuchen und drei würzige Hauptgerichte aus meinem nicht vorhandenen Küchen-Repertoire an nur einem Tag hervorzuzaubern. Ich kam mir vor wie ein Magier und staunte selbst über diesen faszinierenden kulinarischen Output, den ich an dieser Stelle nochmals wiederholen muss: Drei Kuchen und vier Hauptgerichte an nur einem Tag! So etwas hätte ich mir, dem vollkommen unambitionierten und untalentierten Küchen-Zombie, für den das Zubereiten eines Salates bereits höchste Kochkunst darstellt, nie und nimmer zugetraut. Allerdings erschöpfte mich dieses gastronomische Herumwirbeln so sehr, dass mir schon vor den Feierlichkeiten die Puste ausging und mir der Sinn nach einem einjährigen Erholungsschlaf stand. Eine Verschnaufpause war aber leider auch nach Verlassen der Großfamilie nicht in Sicht.

Let’s Mini-Party

Im Gegenteil. Stattdessen stand erst einmal eine der vielen kleinen Mini-B-Day-Partys auf dem Programm. Denn zu Corona-Zeiten hat Frau das Vergnügen, nicht nur eine Geburtstagsparty, sondern unendlich viele Ehrentags-Festlichkeiten für den geliebten Nachwuchs zu zelebrieren. Welch eine Freude, welch ein Genuss! So kamen heute die ersten beiden guten Freunde des Stenzes zu Besuch. Ein eingespieltes Trio bezaubernder junger Männer, die mit ihren Hover-Boards durch die Straßen fegten und ihre selbst bemalten Tatoos stolz zur Schau trugen. Glücklich servierte ich am Abend mit den Worten, „Jungs es gibt Essen!“ eine große Vielfalt an vitaminarmen Hot-Dogs. Allerdings hielt sich die Euphorie am dargebotenen Mahl in Grenzen. Der Grund dafür war wohl nicht nur die vorangegangene Kuchenschlacht, sondern auch etliche Fruchtgummis und Schoko-Riegel, die den Glucose-Spiegel der drei Feiernden in schwindelerregende Höhen schellen ließ. „Ich habe eigentlich gar nicht mehr so viel Hunger“ verkündete mir einer der beiden Partygäste etwas bleichgesichtig. „Ach komm, ich habe für jeden von Euch mindestens drei Hot Dogs, das schafft ihr doch locker.“ entgegnete ich motivierend. Mitnichten, nach einem war Schluss. „Aber so ein kleines Mohrenkopf-Wettessen, das bekommt ihr noch hin, oder? „Ja“, antworteten mir alle drei unisono aber doch etwas müde lächelnd. Anschließend stürzten sie ihre Nasen mit dem ihnen verbliebenen Pathos in die weiße Schaumschicht. Nach drei Minuten hatten sie es vollbracht und ihre Teller waren leergefegt. Allerdings fiel einer der drei bis zum Hals Tätowierten anschließend sackartig vom Stuhl und legte sich bäuchlings auf unseren Fußboden und jammerte „Oh mir ist so schlecht. Ich habe gerade meinen Rülps verschluckt und jetzt tut mir mein Bauch so weh.“ Man lernt nie aus. Ich musste 43 Jahre alt werden, um zu erfahren, dass man einen Rülps versehentlich verschlucken kann und anschließend von schlimmen Bauchkrämpfen geplagt wird.

Die Blitz-Genesung

Der Mann flüsterte mir beim Anblick des maladen Patygastes ins Ohr „Oh Gott, hoffentlich kotzt er uns nicht gleich ins Wohnzimmer, er wird doch in 10 Minuten abgeholt, er soll zu Hause kotzen.“ Den Jungs rief er ermunternd entgegen „Ach, das wird schon wieder, geht doch ein bisschen raus an die frische Luft. Setzt Euch auf die Terrassen-Bank und genießt die schöne Abendstimmung.“ Dabei lachte er verschmitzt der dunkelblauen Gewitterwolke entgegen, deren schwarzer Bruder uns vor zehn Minuten noch mit einem erfrischenden Hagelschauer und starken Windböen verzückte. „Nein, bei dem Wetter gehen wir nicht raus.“ ließ der Stenz mit entschiedener Miene verlauten. „Wir lassen das Turbo-Auto die Kellertreppe runterflitzen.“ Das hörte sich für uns ebenfalls vielversprechend an – denn auch hier galt die Devise: Aus den Augen aus dem Sinn. Mit diesem Gedanken biss ich selig lächelnd in das wabbelige Weizenmehl-Brötchen. Sogar der magenkranke Freund trabte in gebückter Haltung gen Untergrund, um das ferngesteuerte Supervehikel in lautstarker Aktion zu erleben. Ich wertete dies als gutes Zeichen für seine schnelle Genesung.

Ohnmächtig im Keller

Doch wurde ich bald eines Besseren belehrt. Denn gerade mittendrin im genüsslichen Hot-Dog Intermezzo brüllten mir zwei der drei Jungs atemlos den bedeutungsschwangeren Satz entgegen: „Mama, komm schnell, er liegt ohnmächtig im Keller.“ Und schwupp war er weg, der leise Anflug guter Laune und meine Freude darüber, dass ich mich auf der Zielgeraden befand und das Ende der heutigen Festlichkeiten zum Greifen nah war. Denkste, dachte das Schicksal und lachte sich ins Fäustchen. Die erdbebengleichen Buchstaben „OHNMÄCHTIG“ hatten sich noch kaum zu einem Wort in meinem Kopf formiert und schon war ich mit sausendem Herzen, jeweils zwei Treppenstufen auf einmal hinunterspringend, im Keller-Bad angelangt. Und tatsächlich, dort lag er regungslos. Der eben noch so muntere kleine Geselle. Ich war gerade eine Haaresbreite davor, bei diesem jämmerlichen Anblick ebenfalls zu Boden zu sinken als mir ein schallendes Gelächter des Trios-Infernale entgegenschallte. Ich sah nur ihre furchterregenden Tätowierungen und dachte: „Was für eine Teufelsbrut! Wann ist denn endlich wieder Wunschmond?“

Dem Glück auf der Spur

Der Stenz will einen Hund. Gleichzeitig weiht er seine Neugier seit geraumer Zeit dem Wunder des Internets. Und so taucht er immer wieder ab in die Tiefen des Worldwidewebs. Diese Tauchgänge, verbunden mit dem innig gehegten Wunsch, endlich Hundebesitzer zu werden, stellen allerdings eine fatale Kombination dar. So stürmte Lou vor ein paar Tagen abends zu mir ins Bad und rief mir atemlos entgegen: „Stenz bestellt Hund im Puter (Computer)!“ Wahrscheinlich waren Neidgefühle der Treiber ihrer Denunziation. Denn nachdem sie sich selbst kürzlich meines Handys mit den Worten bemächtigte: „Hab‘ Handy, wo kann ich bestellen Fähd (Pferd)? wartet sie bis heute vergeblich auf die Gaul-Lieferung. Warum sollte ihr Bruder also mehr Glück haben?

Hilfe, familiärer Neuzugang aus Osteuropa!

Und tatsächlich, nachdem ich mein  Abschminken aufgrund Lous Ankündigung abrupt verkürzte, entdeckte ich unseren Sohn vor Papas Computer. Er war gerade dabei, sich unsterblich in eine slowakische Hundewelpe zu verlieben. „Oh Mama, schau mal, die ist so süß!“ Das nenn‘ ich perfektes Timing. Ich kam gerade rechtzeitig, um den familiären Neuzugang aus Osteuropa noch zu stoppen. Allerdings war nur ich von diesem Timing begeistert. Dabei bin ich der Meinung, man muss Kindern im Leben auch Ziele setzen. So sieht der Stenz seinem Erwachsenwerden nun mit noch größerer Freude und Ungeduld entgegen. „Das Erste, was ich mache, wenn ich von zu Hause ausgezogen bin, ich kaufe mir einen Hund!“ entgegnete er mir mit einer Entschlossenheit, die ich wohl durch das Drücken der Escape-Taste und dem plötzlichen Erlöschen seiner vierbeinigen Liebe, auslöste.

A Sackerl für’s Kackerl – Och nö!

Finde ich super, soll er machen, so ein bisschen Motivation braucht man ja auch, um zu wachsen. Ich bin auf jeden Fall heilfroh, dass meine beiden Kinder endlich stubenrein sind. Nach ca. sechs Jahren des Windelwechselns habe ich es geschafft. Mein Leben ist windelfrei. Nach diesem großartigen Fäkal-Erfolg werde ich nun doch nicht anfangen, in meiner kostbar bemessenen Freizeit mit einem roten Sackerl fürs Kackerl durch die Lande zu ziehen. Ich bin doch nicht wahnsinnig. An dieser Stelle werden nun alle Hundebesitzer, allen voran mein Bruder, dessen größte Liebe sein Hund ist, lauthals und vehement rebellieren. Man könne doch das Verhältnis zu einem Hund nicht auf solche Nichtigkeiten reduzieren, wo ein Hund einem doch so viel Treue und Geborgenheit schenke. Und ich stimme diesen Stimmen auch bedingt zu. Daher werde ich mich in zehn Jahren, wenn der Stenz dann auszieht, auch voller Enthusiasmus hin und wieder zum Sitten seiner vierbeinigen Liebe bereit erklären. Aber bis dahin ist es endlich an der Zeit, dass nicht nur der Stenz, sondern auch ich meine Ziele wieder stringent verfolge.

Versuch’s mal mit Beharrlichkeit

Ich habe vor ein paar Wochen mal reingehört, so ganz kurz in den Clubhouse Talk „Pursuit of Happiness“. Ich weiß, das ist ein bisschen peinlich, aber irgendwie war es auch ein bisschen erkenntnisreich. Laut des Oberredners liegt das Glück nämlich im Näherkommen eines persönlichen Ziels begründet. Ach so, so ist das also mit dem Glück. Seither beschäftigt mich das mit den Zielen irgendwie. Es lässt mich sogar nicht mehr los. Und scheinbar kennt und verfolgt jeder um mich herum ganz genau seine Ziele. Selbst ein flüchtiger Bekannter schickte mir vor ein paar Wochen eine dezidierte Liste seiner Lebensmissionen. Interessant. Und auch ich habe irgendwie so das Gefühl, es ist jetzt vielleicht an der Zeit, die mutigeren Ziele, die ich mir zu Jahresbeginn noch voller Tatendrang vorgenommen habe, auch während des Jahres zu verfolgen. Da bin ich nämlich irgendwann, so zwischen dem 3. Januar und Ende Februar ein wenig erschlafft. Vielleicht sollte ich mich mehr von der Mars Expedition „Perseverence“ inspirieren lassen. Die hat ja auch nicht mitten im Landeanflug auf den roten Planeten aufgehört und die Hymne „Versuch’s mal mit Gemütlichkeit“ angestimmt. Dabei kommen meine abendlichen Dankeslisten gerade sehr bescheiden daher. Ich glaube, ich muss mich wieder an den wagemutigeren Zielen versuchen. Aber genau dieser Vorsatz ist als Mama manchmal gar nicht so einfach und man verliert sich allzu leicht in den kleinen Alltagstriumphen: “Yeah, wieder eine Spülmaschine ausgeräumt!” Dabei bin ich mir ziemlich sicher, ich bin eher nicht so der Typ, dem das Glück bei ausgeräumter Spülmaschine plötzlich jubelnd ins Gesicht springt. Ich möchte sogar ganz unbescheiden behaupten, da müssen größere Triumphe her, die mich zum Fliegen bringen.

Ein Hoch auf unsere Haus-Elfe

A propos fliegen. Direkt auf Platz zwei der Stenz’schen Wunschliste steht ein Hoverboard. Und wild ist er entschlossen, seinem zweitsehnlichsten Ziel, endlich mit Karacho auf seinem speedy Board durch unsere Straße zu fetzen, näherzukommen. Er ist wirklich zu allem bereit. Und wenn ich schreibe zu allem, dann meine ich auch zu allem. Selbst zum regelmäßigen Kehren unter unserem Tisch. Zum Laub aufsammeln in unserem Garten. Ja, sogar zum Staubsaugen unseres Hauses. So scheint es mir, dass er schon in jungen Jahren, die Macht des Zauberwortes „Beharrlichkeit“ für sich entdeckt hat. Chapeau! Aus meinem Jungen wird mal was. Jeden Morgen richtet er als erstes das Wort an seine beste Freundin Alexa, wie viel Tage er denn noch habe, bis an seinem Geburtstag sein Traum vom Hoverboard-Fliegen endlich Realität wird. Derzeit sind es noch 75 Tage. 75 Tage, in denen uns der Stenz noch tatkräftig, ja beinahe sklavisch zur Hand gehen wird. Denn während der Wunsch nach einem Hoverboard in ihm plötzlich eine Seite der grenzenlosen Hilfsbereitschaft freigelegt hat, habe ich die grenzenlose Kraft der Erpressung entdeckt. Ich weiß, das ist kein schöner Zug. Und bevor ich Kinder bekam, verurteilte ich jegliche Form erpresserischen Handelns zutiefst. Wie entrüstet war ich damals als mir mein bester Freund resigniert erzählte, dass seine gesamte Erziehung lediglich auf Erpressung beruhe. Und wie bemitleidete ich ihn doch für sein pädagogisches Versagen. Beinahe acht Jahre später hat sich meine Einstellung etwas geändert und ich nutze tatsächlich jede Gelegenheit, um meine Kinder zu hilfsbereiten Wesen zu erziehen. Ganz nach Machiavelli, nach dem der Zweck die Mittel heiligt. Und so werde ich mich die nächsten 75 Tage am Eifer unserer emsigen Haus-Elfe erfreuen. Dank seines unermüdlichen Engagements habe ich endlich Zeit, meine eigenen Ziele wieder konzentriert zu verfolgen. Und auch meine Tochter scheint in Sachen persönlicher Ziel-Realisierung dieses Jahr die Nase ganz weit vorne zu haben. So verkündete sie mir heute morgen mit ihrem unwiderstehlichen Lachen im Gesicht: „Mama, wenn ich groß bin, dann kümmere ich mich auf Dich!“

 

 

Ohhhhm!

„Ich lebe in Fülle.“ Schön, dass mich dieser Satz nun jeden Morgen quietschfidel aus dem Badezimmerspiegel anlacht. Und auch mein Mann grinst mich heute morgen im Bad liebevoll mit den Worten an: „Besser in Saus und Braus als in Fülle leben!“ Er scheint meine Selbst-Affirmationen, mit denen ich mich in Pandemie-Zeiten ein bisschen selbst bescheißen will, nicht ganz ernst zu nehmen. Aber irgendwie muss man ja versuchen, den Mangel an Reisen, Restaurantbesuchen und Freunde treffen zu überwinden. Und ich versuche es eben mit ein bisschen Esoterik. Eigentlich klappt das gar nicht mal so schlecht. Denn anstatt auf das zu schauen, was mir gerade in Corona-Zeiten so fehlt, sollte ich lieber die Dinge im Blick haben, die mich wortwörtlich in Hülle und Fülle umgeben. Da wäre zum Beispiel meine Familie. Von ihr habe ich momentan so richtig viel. Man könnte sogar von Überfluss sprechen. Sie verfolgt mich quasi auf Schritt und Tritt. Und manchmal habe ich gar das Gefühl,  dass wir regelrecht miteinander verschmelzen und  langsam aber sicher zu einem homogenen Klumpen werden. Und das ist kein Wunder, denn wenn man das mal so hochrechnet, sind wir seit knapp drei Monaten nonstop zusammen. Das sind dann beinahe mehr als 90 Tage oder 2.160 Stunden. Wenn das mal keine Fülle ist. Mehr geht kaum. Großartig!

Ein Mangel kann so schön sein!

Wobei so ein kleines bisschen Mangelempfinden kann ja auch ganz nett sein. Einfach mal ein paar Tage Auszeit von der Kernfamilie. Wie sich das wohl anfühlen mag, alleine? Wahrscheinlich ziemlich öde und langweilig. Man hätte gar nichts mehr zu lachen. Und man müsste auch keine Lösungen für Probleme finden, die man ohne die Kernfamilie nicht hätte. Dabei denke ich gerade an eine gute Freundin, die wirklich in der Klemme sitzt.

Winterschlaf, so hält man sich die Familie in Corona-Zeiten vom Leib

Denn meine Freundin hat nicht nur zwei Kids und einen Mann, sondern auch noch einen Hermann. Allerdings ist Hermann seit ein paar Wochen ziemlich ruhig, da er es sich im Kühlschrank bequem gemacht hat. Dabei ist hier nicht die Rede vom ätzenden Hermann-Teig, einem ekligen Sauerteig aus Hefe und Weizenmehl, der seine besten Tage in den 90ern hatte. Nein, bei Hermann handelt es sich um eine Landschildkröte, die seit einigen Jahren das Leben unserer Freunde auf wundervolle Art bereichert. Nur momentan eben nicht. Denn Hermann hält im Kühlschrank Winterschlaf. Eine, wie ich finde, recht diplomatische Art, um sich die Familie in Corona-Zeiten vom Leib zu halten. Vielleicht sollte ich mir das auch überlegen. Allerdings würde ich, anstatt des Kühlschranks eher die Karibik als Ort meines hivernalen Rückzugs wählen. Aber egal. Meine Freundin hat jetzt jedenfalls ganz andere Probleme als von einem stillen Örtchen für sich selbst zu träumen.

Wie reanimiert man eine Landschildkröte?

Sie sollte eher einen Reanimationskurs für Landschildkröten besuchen. Denn das Thermometer von Hermanns Winterdomizil zeigte, zu ihrem großen Entsetzen, Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. So scheinen -2° Celsius für die Gesundheit einer Landschildkröte im Winterschlaf nicht gerade förderlich zu sein. Jedenfalls erschien ihr, der sonst so unternehmungslustige Hermann, der gerne auch mal auf Solo-Exkursionen die bayerische Landidylle jenseits der eigenen Gartenmauern erkundet, plötzlich nicht mehr ganz so munter. Im Gegenteil, er wirkte eher steif und reglos. Zum Glück wusste der Mann meiner Freundin Rat. Und er verwöhnt Hermann derzeit mit einer ausgiebigen Infrarot-Strahlentherapie, die wohl auch Früchte trägt. So stehen die Zeichen auf Entwarnung und es sieht ganz so aus, dass das gutmütige Reptil es den Tiefkühlerbsen nachmacht und wieder auftaut. Denn unter dem müden Panzer wurden tatsächlich erste behäbige Bewegungen gesichtet.

Kein Bedarf an Hermann II

Dabei hatten wir uns schon so wunderschöne Lösungs-Szenarien überlegt: Szenario eins sah zum Beispiel vor, auf dem schnellst möglichen Wege Hermann II zu beschaffen, der dann so unauffällig wie möglich in die Fußstapfen seines wackeren Vorfahrs treten sollte. Auch die Akquise eines munteren Fischleins stand kurzweilig zur Diskussion. Dabei fand die Diskussion in absoluter Verschwiegenheit statt, um den Seelenfrieden der Kinder meiner Freundin nicht unnötig zu belasten. Dass sich Hermann I wohl aber in absehbarer Zeit um keinen Nachfolger sorgen muss und hoffentlich bald wieder ganz der Alte ist, das nenn‘ ich mal ein Happy End! Und zwar auch für unsere Familie. Denn so wie es ausschaut, werde ich bald in noch mehr Fülle leben. Der Sohn meiner Freundin plant nämlich, auch uns zum Stenz’schen Geburtstag, mit einem Hermann zu beglücken. Wie Wundervoll!

 

Die besten Beschäftigungs-Strategien zum Überleben im Lockdown

Mit der rechten Hand ziehe ich meine Tochter wie einen kleinen, bockigen Esel hinter mir her, während ich mit meiner linken Körperhälfte versuche, mich gegen die brachiale Naturgewalt, die sich mir mit voller Wucht entgegenstemmt, zur Wehr zu setzen. Denn um uns herum tobt ein ohrenbetäubender Sturm, der mir mit einer Windstärke von gefühlten 200 Stundenkilometern ins Gesicht peitscht. Dabei ist mein linkes Ohr am Erfrieren und mein rechtes Ohr beinahe taub. Denn der kleine bockige Esel gibt alles, um im akustischen Wettstreit gegen den heulenden Wind zu gewinnen. Und sie hat tatsächlich die Nase ganz weit vorn. Ihr lauthalses Gebrüll wird lediglich von ihrem Jammer-Staccato unterbrochen: „Mama, ich fühle Kälte auf der Haut. Mamaaa, ich brauche Fell im Gesicht.“ Und sie hat Recht. Auch ich hätte gerade nichts gegen eine kleine Fellschicht an Stirn und Wangen einzuwenden. Auch Ohropax wären nicht schlecht. Denn nun setzt ihr markerschüttterndes Geschrei wieder ein. Das Herrchen, das mit seinem fidelen Dackel an mir vorbeiläuft, schaut mich mitleidig an.

Strategie 1: Spaziergänge – Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur schlechte Kleidung!

Vielleicht ist das stoische Festhalten an meinem Plan, im Lockdown bei jedem Wetter vor die Tür zu gehen, doch etwas überambitioniert? Ehrlich gesagt, hielt ich die klugscheißerische Phrase „Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur schlechte Kleidung.“ seit jeher für bekloppt. Aber wir lassen uns doch von Corona und so einem kleinen Windchen nicht unterkriegen, oder vielleicht doch? Kurzzeitig bin ich geneigt, mein schreiendes Kind einfach stehen zu lassen und weiterzulaufen. „Gehört der bockige Esel mit dem fehlenden Fell im Gesicht etwa zu mir? Ich glaube nicht.“

Strategie 2: Märchen – Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute

Aber ich bin ja keine Rabenmutter. Und so drehe ich nach drei Schritten ohne meine Tochter wieder um und versuche den Heimweg mit Beschäftigungs-Strategie Nr. 2 zu verkürzen: „Komm mein Engel, ich erzähle dir ein schönes Märchen und dabei laufen wir ganz schnell nach Hause. Also, es war einmal eine Prinzessin. Sie lebte mit ihrem glitzernden Einhorn und ihrem Prinzen zusammen auf einem wunderschönen Schloss.“ „Nein!“ schreit mir meine Tochter, die ein großes Faible für Einhörner und Prinzessinnen pflegt, mit Furor entgegen. „Kein Prinz! Die Prinzessin lebt nur mit Einhorn auf Schloss!“ O.k., unsere Tochter scheint keine guten Erfahrungen mit Prinzen gemacht zu haben. Auf meine Frage, warum sich die Prinzessin denn in keuscher Einsamkeit in ihrem Prachtbau verlustieren solle, antwortet mir Lou kurz und präzise: „Prinzen sind blöd und hässlich.“ Das finde ich eine großartige Erklärung. Ich bin mir sicher, dass unser Mädchen mit einer solch realitätsnahen Attitude vor der ein oder anderen Enttäuschung im Leben bewahrt wird. Also setze ich meine Geschichte ohne Prinzen fort und ich muss in aller Bescheidenheit zugeben, sie nimmt ein ganz fabelhaftes Ende. Ja, das Märchen ohne Prinz verläuft sogar richtig charmant und so komplikationslos.

Strategie 3: Phantasie – Wer braucht schon Prinzen, wenn man Diener haben kann?

Am Abend erzähle ich dem Stenz von Lous Aversion gegen Prinzen. Dieser zeigt sich wenig erstaunt und gibt zu bedenken: „Ich finde, Lou ist zu verwöhnt.“ Daraufhin entfährt dem Mann und mir unisono ein neugieriges „Warum?“ Und der Stenz ist um eine Erkrlärung nicht verlegen. Im Gegenteil, er begründet sein Urteil damit, dass seine kleine Schwester allmorgendlich nicht nur ihr Geschmeide, sondern auch ihr wallendes, weißes Sommerkleid anzöge und sich mit stolz geschwellter Brust eine Krone auf ihr scheinbar royales Haupt setze, um ihm dann mit gebieterischer Miene zu erklären, er sei nun ihr Diener. Eine aus emanzipatorischer Sicht wiederum nicht ganz schlechte Einstellung. Was braucht Frau einen Prinzen, wenn sie doch eigentlich viel besser mit einem Diener auskommt? Eine Logik, die sich mir auf Anhieb voll und ganz erschließt. Bravo! Und auch die Freundinnen unserer Tochter scheinen sehr emanzipiert. Während eines Playdates, das noch vor der Pandemie stattfand, flüsterte mir ein Freund des Stenzes, der ebenfalls ein großer Bruder ist, unter vorgehaltener Hand entgegen: „Ich fürchte mich vor meiner Schwester“. Dann lief er tonlos weg und sperrte sich in unserer Gäste-Toilette ein, während ihm seine zwei Jahre jüngere Schwester, die zeitgleich bei uns weilte, dicht auf den Fersen war. Zwar fürchtet der Stenz seine kleine Schwester nicht, aber eine andere Angst nahm kürzlich abends von ihm Besitz. Diese artikulierte er wie folgt: „Mama, gehst Du heute Abend auch nicht weg?“ „Nein, mein Engel, in Bayern herrscht strikter Lockdown mit Ausgangssperre. Daher gehe ich nirgendwohin.“ entgegnete ich besänftigend. Woraufhin mir der Stenz seine tiefsten Befürchtungen darlegte: „Ach Mama, ich habe so Angst, dass Du vor uns fliehst.“ Was habe ich doch für einen empathischen Sohn!

Strategie 4: Farbe – Mach Dein Leben bunt!

Dabei kann das Leben sogar im Lockdown wirklich schön sein. Vor allem, wenn sich die Kinder, während man selbst noch schläft, so herrlich selbst beschäftigen. Kürzlich legte sich der Stenz morgens in aller Herrgottsfrühe eine wahrlich authentische Verkleidung zu. Seinen Aussagen zu Folge, wollte er sich einmal im Leben wie ein Hund fühlen. Was ihn dazu bewegte, sich aus der gesamten Karnevalsschminke eine orangene Brühe anzurühren (es ist an dieser Stelle überflüssig zu erwähnen, dass die Spuren dieser Brühe seitdem unser gesamtes Haus zieren) und sich das scheußliche Gemisch auf seinen kompletten Oberkörper zu schmieren. Circa eine Stunde mussten wir ihn anschließend schrubben mit dem Ergebnis, dass noch Wochen nach seiner Hunde-Aktion orange-braune Farbe hinter seinen Ohren und an seinem Nacken haftete. Da lobe ich mir unserer Tochter, die zurzeit nicht sich selbst, sondern viel lieber ihren besten Freund schminkt. Mit den verheißungsvollen Worten: „Du bekommst blaue Schminke, weil Du ein Junge bist“ klatschte Lou ihrem „Best Buddy“ unlängst aquamarin-blauen Lidschatten quer über Stirn, Kinn und Wangen und kürte das glorreiche Make-Up noch mit einem grün-glitzernden Lippenstift, der unterhalb seiner Lippen vielversprechend funkelte. Wirklich viril! Farbe braucht der Mann. Und wer weiß, vielleicht wird der blaugrüne Frosch ja schließlich doch noch zum Prinzen?

Lockdown 2.0: Es werde Licht

Ich sitze sprichwörtlich im Dunkeln. Denn seit geraumer Zeit fliegt bei uns regelmäßig im Wohnzimmer die Sicherung raus und ich starre in die Finsternis. Dabei überlege ich mir jeden Nachmittag, ob die mich umgebende Dunkelheit eventuell allegorisch zu betrachten ist. Denn finster schaut es auch haartechnisch bei uns aus. Lou hat mittlerweile Haare, die selbst einen eingefleischten Sikh zum Staunen bringen würden. Ich befürchte sogar, dass sie bald die magische Marke der in dem südchinesischen Dorf Huangluo lebenden Frauen knackt. Dort brachen die stolzen Chinesinnen mit einer durchschnittlichen Haarlänge von 1,40 Meter alle Rekorde.

Mein sechster Nebenjob: Friseurin

So ist zu befürchten, dass die Haare unserer Tochter bald ihre Körpergröße einholen. Es ist also höchste Zeit endlich zu handeln, bevor Lous Haarpracht mit einem triumphalen Paukenschlag das Rennen gegen ihre Statur gewinnt. Und auch auf meinem Haupt schaut es finster aus. Ein Friseurbesuch wäre in normalen Zeiten unausweichlich. In normalen Zeiten wohlgemerkt. Nicht im Lockdown. Daher versuche ich mich nun neben meinen Tätigkeiten als Köchin, Putzfrau, Entertainer, Lehrerin, Krankenschwester auch als Friseurin. Das ist doch kein Problem. So schwer kann das ja nicht sein!

Mama, Du bist ein Patsch!

Während ich entschlossen zur Nagelschere greife und dabei sämtliche Tiegelchen und Töpfchen vom Waschbecken fege, kommentiert meine Tochter meine Ungeschicktheit trocken mit den Worten: „Mama, Du bist ein Patsch (Tollpatsch).“ Ein gelungener Auftakt für den goldenen Schnitt, den ich gleich bravourös an den Tag legen werde. Schade nur, dass beide Kinder just in dem Moment als ich die Schere ansetze, lauthals um eine sofortige Rodelpartie bitten. Egal, was getan werden muss, muss getan werden. Dann beeile ich mich eben. Schnipp Schnapp.

Schnipp Schnapp – Das Haar ist ab

„Au weh, so viel wollte ich eigentlich nicht abschneiden. Ich wollte doch erstmal ganz sachte beginnen. Jetzt ist es allerdings zu spät. Jetzt gibt es kein Zurück mehr“, denke ich so bei mir, versuche allerdings Ruhe zu bewahren und mir nichts anmerken zu lassen. „Bist Du fertig? Mama, das hat ja gar nicht weh getan“ konstatiert meine Tochter, die sich bislang vehement gegen einen Haarschnitt wehrte, da sie die damit verbundenen Schmerzen scheute. „Ja, die eine Seite ist schon mal ziemlich kurz geworden“ antworte ich ihr mit gespielter Selbstsicherheit. „Darf ich sehen?“ kommt es neugierig zurück. „Nein, noch nicht, gleich mein Engel.“ Erneutes schnipp schnapp meinerseits gefolgt von folgender innerer Zwiesprache: „Hmm, irgendwie ist es auf dieser Seite noch ein bisschen länger. Mal schauen. Da muss ich wohl noch etwas nachjustieren. Oh, Gott, jetzt ist es links viel kürzer, viel zu kurz, ja wirklich viel zu kurz. Oh Gott. Oh Gott. Oh Gott. Oh Gott!“

Bob, die neue Trendfrisur im Lockdown

Ich habe es verdorben. Nun bloß nicht panisch werden. Und ich darf auf keinen Fall nochmal nachschneiden, wenn ich vermeiden will, dass unsere Zweitgeborene gleich einen Bob trägt. „Mamaaaa, ich will Schlitten fahren!“ schreit der Stenz. „Mama, ist es fertig? Es tut immer noch nicht weh,“ frohlockt Lou. Egal. Mut zur Lücke. Nach gefühlten vier Minuten erachte ich mein Werk als vollendet. Mein Ausflug in die Welt der Star-Coiffeure war kurz, schmerzlos und mit sehr wohlwollendem Auge betrachtet, sogar von Erfolg gekrönt. Die Haare sind auf jeden Fall deutlich kürzer. Ich habe meine Tochter gerade davor bewahrt, sich beim Stolpern über ihre eigene Mähne ein Bein zu brechen. Ich darf also ruhig ein bisschen stolz auf mich sein. Und ich rede mir sogar ein, dass ich beim Schneiden gleich auf Anhieb ein „Advanced Level“ an den Tag gelegt habe. Die Unregelmäßigkeiten sind nämlich gar keine.  Das sind Stufen. Ha! Das Haar fällt dadurch einfach viel voluminöser. Das war gewollt, pure Absicht. Im Lockdown muss man sich selbst auch mal gut zureden und ermutigen. Das macht ja sonst keiner.

Ich, der Halb-Tausendsassa

Ich bin einfach der geborene Multitasker. Ich rock‘ das alles. Von wegen verzagen. Das bisschen Homeschooling, das bisschen Kochen, das bisschen Putzen und das bisschen Haare schneiden, das macht sich wirklich von ganz alleine. Schwupp und schon sind die Haare weg. Und der Stenz ist noch jung und hat keine Ahnung. Unlängst fragte er mich nämlich: „Mama, was ist ein Tausendsassa?“ „Das ist jemand, der einfach alles kann.“ entgegnete ich wie immer schlagfertig. „Aha, dann ist Papa ein Tausendsassa“ erwiderte der Stenz zu meinem großen Erstaunen. „Warum denn Papa? Und was bin ich?“ fragte ich ihn mit einer gewissen Gereiztheit in der Stimme „Du bist ein „Halb-Tausendsassa.“ Aha. Na, dann. Wenig später wollte ich sicher gehen, dass meine Tochter auf jeden Fall einmal ein Tausendsassa und kein Halb-Tausendsassa wie ich werde und fragte sie, was sie denn einmal später, gedenke zu werden. Beruflich meine ich. Sie lächelte und beugte sich liebevoll zu mir und raunte mir weise dreinblickend zu: „Mama, wenn Du tot bist und im Graben liegst, flüstere ich dir ins Ohr, was ich geworden bin.“ Na, dann. Ich muss einfach nur warten, bis ich irgendwann einmal nach dem Lockdown, in ca. 100 Jahren, im Graben liege. Bis dahin, sollte ich meine Zeit aber sinnvoll nutzen und noch ein bisschen Licht auch auf meinen Kopf zaubern. Etwas, was ich noch nie getan habe. Wünschen Sie mir Glück!

Let’s dance in the rain

Manchmal frage ich mich, was ich tun würde, wenn ich keine Kinder hätte? Was würde ich mit all der freien Zeit bloß anfangen? Eine Frage, die wahrscheinlich alle Eltern irgendwann umtreibt. Eines ist gewiss, ich würde am Wochenende bis nachmittags schlafen, anstatt Samstag morgens um 6:30 Uhr lautstark von Pumuckls hämischen Gelächter geweckt zu werden. Ich würde lesen, Musik hören und vielleicht einfach mal gar nichts tun. So gar nichts. Ich weiß, dass hört sich ziemlich keck, wenn nicht sogar verwegen an. Wie geht das überhaupt? Kann ich das noch? Ich erinnere mich vage, dass ich früher ziemlich gut darin war, gerade im Herbst. Da bin ich einfach nur so rumgelegen, tagelang. Ich war quasi ein Meister im Rumliegen. 

Ein Hoch auf authentische Halloween-Verkleidungen!

Das ist Jahrzehnte her. Und gerade jetzt, wo mein Leben irgendwie Loopings dreht, wäre so ein bisschen faules Rumliegen wirklich verlockend. Stattdessen finde ich mich im Treppenhaus der Privatwohnung unserer Kinderärztin wieder. Sie leuchtet gerade mit einer Stehlampe die Stenz’sche Stirn aus und knetet dabei auf hartgefrorenem Kleber rum. Auch eine Beschäftigung für einen Freitag-Abend. Andere feiern, ich schließe mich der Ärztin an und walke gemeinsam mit ihr auf der mittlerweile vierten Klebertube herum. Der Kleber scheint vertrocknet zu sein, was sehr schade ist, soll er doch eigentlich das Loch im Kopf unseres Sohnes wieder zusammenkitten. Einfach nur rumliegen, wie wäre das jetzt schön! Ich träume davon, während ich meinem Kind das Blut aus der Stirn tupfe und den Riss fachmännisch zusammendrücke, sodass aus der klaffenden Wunde wieder die zauberhafte Stirn unseres Kindes wird. Zu meinem eigenen Erstaunen bin ich auch ziemlich gut im Zusammendrücken, ganz so als würde ich den lieben langen Tag nichts anderes machen. Ich muss mich da jetzt auch mal selber loben. Aber auch den Stenz muss ich preisen. Hat er sich doch „just in time“ kurz vor Allerheiligen, durch einen waghalsigen Sprung vom Fensterbrett auf die Couchgarnitur unserer Freunde, eine wahrlich authentische Halloween-Verkleidung zugelegt. Das ist ihm wirklich phantastisch gelungen – und das alles so kostengünstig. Seine Haare sind mittlerweile blutverschmiert, genau wie seine Stirn und auch sein Gesichtsausdruck könnte nicht gruseliger sein. Aber er ist selbst jetzt die personifizierte Tapferkeit.

Bayerische Askese

Schade, dass er morgen so nicht Süßigkeiten sammeln darf. Denn momentan darf man ja leider gar nichts. Und schon gar keine Wellnessreise unternehmen. Während mir all meine Freunde aus dem hohen Norden noch Anfang Oktober beneidenswerte Fotos aus ihren verschiedenen herbstlichen Ferien-Destinationen schickten, sind die Bayern einfach asketische Streber und lassen ihre Herbstferien pünktlich zum Lockdown beginnen. Solche Anfänger!

Mein Secret Escape: Das Sanitärfachgeschäft

Aber das ist nicht schlimm. Wie gut, dass ich mich nach dem Umzug und unseren Hausbauplanungen so erfrischt und erquickt fühle wie lange nicht mehr. Und wenn mich dann doch ein leichter Hauch von Erschöpfung umweht, weiß ich Rat: Ich suche einfach diverse Bad-Ausstellungen auf und mache sie zu meinem Secret Escape. Gerade das Probeliegen in einer freistehenden Badewanne entbehrt nicht einem gewissen Erholungsfaktor, wie ich gestern erfahren durfte. Ich war sogar kurzzeitig geneigt, die freundliche Verkäuferin zu bitten, das Licht zu dimmen und die atmosphärischen Deko-Kerzen anzuzünden. Leider hielt mich mein Mann davon ab. Und auch beim Küchen-Schreiner lässt sich sicher noch der ein oder andere magische Relax-Moment zelebrieren. Ich werde einfach um ein bis zwei Gläser Rotwein bitten. Dann wird das mindestens so erholsam wie die Wellness-Auszeiten, die ich ursprünglich für diesen November geplant hatte. Mit ein bisschen Phantasie und viel Wein, trinkt man sich die Corona Herbst-Ferien einfach schön.

Rumliegen wird überbewertet

Abwechslungsreich war der erste Ferientag auf jeden Fall: vormittags belebte mich das „Beinahe-Nickerchen“ in der Badewanne des Sanitärfachgeschäftes. Während ich nachmittags dem Abriss unseres Hauses mit Spannung beiwohnen durfte. Was ein Spektakel! Wer braucht da noch Kino oder Theater? So ein Hausabriss sorgt für perfekte Unterhaltung in Corona-Zeiten. Der Baggerfahrer war auch ganz beschämt über den schallenden Applaus, der ihm nach der ersten sanften, ja beinahe liebevollen Zertrümmerung unseres ehemaligen Bades zuteil wurde. Ja, richtiggehend genant wurde er. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass ein Baggerfahrer so viel Zartgefühl besitzt. Und so hatte er den Beifall unserer gesamten Nachbarschaft mehr als verdient. Ja, und dann am Abend wurde ich mit der gruseligen und sehr gekonnten Showeinlage des Stenzes zum Halloween-Auftakt ebenfalls reich beschenkt. Wenn die Herbstferien so kurzweilig weiter gehen, werde ich dem öden Rumliegen sicherlich keine Träne hinterherweinen. Ganz nach dem Motto: „Manche spazieren im Regen, andere werden einfach nur nass.“ In diesem Sinne, werde ich im Herbstregen tanzen! Denn nichts tun, kann ich auch später noch.

 

Einmal magic Mushrooms, bitte!

Emetophobie. Ein großes Wort für eine große Angst. Fast hätte ich vergessen, dass ich unter ihr leide. Was habe ich doch für bezaubernde Kinder, die auf meine Brech-Phobie Rücksicht nehmen und so gut wie nie spucken. Und wenn doch, dann in übersichtlich-bescheidenen Maßen. Meist bei längeren, serpentinreichen Autofahrten bei denen ich nur wortlos eine Tüte nach hinten reiche, die der Mann, zu meiner großen Freude, ohne Murren entsorgt. Denn die Aufgaben wurden bei uns schon vor der Elternschaft klar verteilt. Der Mann ist für Kotze zuständig! Hört sich unromantisch an, ist es auch, vereinfacht in Ausnahmesituationen allerdings Vieles. Zum Glück neigt unsere Familie im Allgemeinen eher zu Hals- und Rachen-Katharren als zu Magen-Darm-Malaisen. Und so ergehe ich mich in Dankbarkeit, dass ich trotz Kindern und einer veritablen Brech-Angst bisher gut überlebt habe.

Armer, adipöser Koi

Jedenfalls bis zu jenem denkwürdigen Dienstag vergangener Woche, an dem meine Brech-Phobie plötzlich Gelegenheit bekam, wie Phoenix aus der Asche aufzusteigen. Aber der Reihe nach. Wir hatten Besuch. Nicht nur vom besten Freund unseres Sohnes, sondern auch von der neuen besten Freundin unserer Tochter. Außerdem gesellte sich noch meine Freundin und ihr Sohn zu uns, sodass unsere Bude, wie fast immer, voll war. Dabei sprangen die Mädchen wie ausgelassene Böckchen im Garten umher, immer dicht gefolgt von mir, der Böckchen-Mama, die hechelnd zu verhindern suchte, dass der weibliche Nichtschwimmer-Nachwuchs in den Zierteich fiel. Außerdem galt es, die Gesundheit unseres neuen Familienmitglieds, eines stolzen Kois, zu verteidigen. Der arme Kerl schien seit unserem Einzug, durch die immerwährende Fütterung bereits deutlich an Gewicht zugelegt zu haben. Ein klarer Fall von ungewollt aufoktroyierter Adipositas. Doch der asiatische Zierkarpfen konnte aufatmen, die Mädchen entfernten sich, um in stummer Zwiesprache mit dem grünen Gras zu versinken. Was meiner Freundin und mir eine kleine Verschnaufpause gestattete. Diese wurde allerdings jäh unterbrochen als die zauberhafte kleine Nachbarin mich plötzlich mit prall gefüllten Hamsterbacken anblickte. „Oh, was hast Du denn da im Mund? Spuck das bitte sofort wieder aus!“ begegnete ich der sonderbaren Vorratshaltung von Lou’s Freundin, die scheinbar für die kalte Jahreszeit vorzusorgen gedachte. Leider schüttelte sie daraufhin nur vehement ihr Köpfchen, sodass ich mich plötzlich in deutlicherem Befehlston an sie wandte. Und siehe da, es wirkte. Sie spuckte etwas Undefinierbares aus, mit dem ich mich nicht weiter beschäftigte, sondern stattdessen die schnelle Umsiedlung der Mädchen vom Garten ins Haus anordnete.

Gefährliche Gras-Observierung

Denn Puzzlen schien mir plötzlich deutlich ungefährlicher als ein Aufenthalt im Garten mit ominösem Frischluft-Snack. Und so war ich doch ziemlich erstaunt, als ich auf einmal einen markerschütternden Schrei der apokalyptischen Sorte vernahm. In höchster Alarmbereitschaft setzte ich zu einem rekordverdächtigen Sprint in Richtung des tinitösen Gebrülls an. Dort erblickte ich unsere Tochter, die in einer Art Schockstarre auf ihre neue beste Freundin zeigte. Ein kurzer Blick auf die Kleine genügte, und die Schockstarre sprang auch auf mich über, während aus unserer kleinen Besucherin ebenfalls so einiges heraussprang und schwappte. Es war furchtbar! Sie würgte und spie und je mehr sie würgte und spie, desto apathischer und paralysierter wurde ich. Mein spontaner erster Gedanke: Flucht. Egal wohin, Hauptsache auf und davon. Aber so was kann man bzw. Frau ja schlecht machen. Blöd nur, dass ausgerechnet jetzt, der Mann unterwegs war. Mein Retter in Kotz-Angelegenheiten glänzte mit Abwesenheit. Anstatt mütterlich und fürsorglich zu helfen, stimmte ich in das allgemeine Wehklagen mit ein und blickte vollkommen entgeistert meine Freundin mit der beunruhigten Frage an: „Was soll ich bloß tun?“ Sie war ebenso perplex und es half wenig, dass sich gefühlte 20 Jungs um das brechende, arme Kind versammelten und die Stimmung mit ihren „Iiii“- und „Bääääää“-Rufen, „die hat bestimmt Corona“ noch aufheizten. Die Freundin, deren Mann einmal zu ihr sagte: „Wenn eines unserer Kinder jemals in unser Auto kotzt, lassen wir es stehen und kaufen ein neues“ wusste erstaunlicherweise Rat. Sie empfahl mir mit zittriger Stimme: „Lauf und hol‘ Handtücher.“

Kampf an vorderster Front

Eine Aufforderung, die mir sehr gelegen kam, gab sie mir doch die Möglichkeit, den chaotischen Tatort kurzfristig zu verlassen und mich in den Tiefen  unseres Kellers zu verlieren. Dort versuchte ich dann weite Teile meines Körpers in den gelben Putzhandschuhen zu versenken, was mir nur bedingt gelang. Kurzfristig überlegte ich mir sogar, mir eine Wäscheklammer zwecks Geruchseliminierung an die Nase zu heften. Eine Wäscheklammer, die ich übrigens von meiner besten Freundin vor der Stenz’schen Geburt mit den Worten überreicht bekam: „Auf dass Du die Zeit mit Kind trotz Kotz-Phobie überlebst.“ Ich ließ es dann aber doch bleiben und schnappte mir aus dem Gästebad  circa 50 Handtücher mit denen ich den Ort des Unglücks großflächig abdeckte. Zum Glück nahm sich meine Freundin, der magenkranken Nachbarin liebevoll an und versorgte sie fachmännisch, während ich an vorderster Front mit geschlossenen Augen und angehaltenem Atem gegen das Ertrinken in diversen Brechlachen kämpfte. Es war schauerlich. Selbst für Menschen, die dem Brechen eher indifferent gegenüberstehen. Nebenbei vernahm ich  wie in Trance, dass sich unsere Tochter zu allem Überfluss auch noch lautstark weigerte, ihrer armen Freundin temporär rosa Socken zu leihen. Daraufhin machte ich mir eine mentale Notiz, sie in Empathie und Altruismus besser zu schulen. Wobei ich an diesem verheißungsvollen Tag auch nicht gerade ein schillerndes Vorbild in Sachen Mitgefühl darstellte.  Ich war vielmehr ein  „Anti-Held“. Was ein grotesker Nachmittag zu dem sich nun noch eine weitere Freundin  bei uns einfand. Sie kam,  um sämtliche Jungs unseres Haushaltes zum Tennis abzuholen und mir dabei den Rat zu geben, doch anstatt einer Nasenklammer besser einen Mund- und Nasenschutz überzuziehen.  Dabei überkam mich selbst mit Maske eine nie dagewesene Welle der Übelkeit. Einzig und allein der Gang zur Mülltonne, in die ich unseren gesamten Handtuch-Bestand stopfte, brachte kurzzeitig Erleichterung.

Pilzchen, schenk‘ mir ein halluzinogenes Träumchen!

Währenddessen ging meine Freundin mit detektivischem Eifer der Frage nach, ob es sich nun um einen fiesen Magen-Darm-Virus handele, der uns in Kürze alle dahinraffe oder doch um etwas anderes? Und plötzlich stand die schreckliche, etwas laienhafte Diagnose „Pilzvergiftung“ im Raum. Was hatte die Kleine vorhin nochmal ausgespuckt? Und tatsächlich, es war scheinbar ein „Schwammerl“, den unsere Besucherin als typisch bajuwarischen Imbiss in unserem Garten einwarf. Und so gesellte sich zu meiner Übelkeit plötzlich auch noch eine akute Panik-Attacke. Wies das bisher Erlebte noch Spuren einer schlechten Komödie auf, so war auf einmal Schluss mit lustig. Und ich schwor mir, zukünftig bei Playdates  eine stasihafte Komplett-Überwachung an den Tag zu legen. Mit diesem Vorsatz, meinem schlechten Gewissen und der Freundin unserer Tochter unter dem Arm, schleppte ich mich zu unserer Nachbarin. Ich überreichte ihr nicht nur ihr Kind, sondern auch die Überbleibsel des vertilgten Pilzes. Zum Glück wurde dieser schnell als harmloser Wiesen-Champion entlarvt. Und auch die Tatsache, dass das kleine Böckchen wieder zu Sprüngen im heimischen Garten ansetzte, ließ mich etwas aufatmen. Trotzdem befiel mich am Abend, als ich nach stundenlangem Putzen in den Weiten eines duftenden Schaumbades verschwand, eine seltsame Sehnsucht: die Sehnsucht nach einem feinen, kleinen Pilzchen, der mir half, die Schrecken des Nachmittags im halluzinogenen Rausch zu vergessen.