40 Jahr’ gelbes Haar

Friseurbesuch der zum Alptraum wird

Ich schaue in den Spiegel und sehe eine Mischung aus übernächtigtem Panda und alterndem struppigen Langhaardackel. Auch das Mitleid erregende Lachen dieser irren Kreatur da im Spiegel kann nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass ein Friseur-Besuch dringend nötig ist und keinerlei weiteren Aufschub erduldet. Job und Kids hin oder her! Allerdings schaffe ich es diese Woche keinesfalls mehr in die große, weite Stadt – so gerne ich auch zum Friseur meines Vertrauens gehen würde. Doch das Baby haftet zurzeit wie ein siamesischer Zwilling an mir. Ob der Grund dafür die sprießenden Backenzähne, ein Hüftschnupfen (ja, so etwas gibt es tatsächlich wie ich in der Ambulanz des örtlichen Krankenhauses unlängst erfahren durfte) oder ein Wachstumsschub ist, ist ja eigentlich zweitrangig. Fakt ist, dass das Baby schon bei kurzer Abstinenz meinerseits derzeit gewalttätige Neigungen entwickelt. Bewarf es doch erst gestern in absolutem Furor meine Schwiegermutter mit Brezel. Nur weil diese versuchte, das sirenenhafte Geheul unserer Tochter mit leckeren Laugengebäck zu besänftigen. Um weitere Handgreiflichkeiten des Babys zu verhindern, plane ich daher einen schnellen Friseur-Besuch in der Provinz.

 Freigang für struppigen Langhaardackel

Guten Mutes, ob des geplanten zweistündigen „Freigangs“, lasse ich das Baby glücklich in der Obhut des Mannes und setze mich gen Kleinstadt-Friseur in Bewegung. Auch beim Eintreten in den Salon sehe ich optimistisch dem Ende meiner struppigem Langhaardackel-Existenz entgegen. Während ich bei Piloten ein gewisses Alter, souveränes Auftreten und die selbstbewusste Ansage aus dem Cockpit: „Hier spricht Ihr Kapitän Hansen“ schätze, fühle ich mich bei Friseurinnen mit relativ konservativ gestalteter Haarpracht in guten Händen. Und da die Dame, die mich hier gerade erwartet weder über eine „pfiffige“ Kurzhaarfrisur mit Landpomeranzen-Strähnchen noch über trendige Türkis-Haar-Kolorierungen in Kombination mit Gesichtspiercings verfügt, sondern sehr ansehnlich wirkt, vertraue ich ihr auf Anhieb. Ich erkläre ihr kurz und knapp mein Begehr, nämlich, dass ich den Status temporärer Verwahrlosung gerne beenden würde. Auch wenn dieses Verlangen drastisch klingt, so schätze ich den Schwierigkeitsgrad dieser Forderung, Schere und Farbe sei Dank, nicht allzu schwer ein.

Ein Hoch auf die Boulevard-Presse

Ich wähne mich also gerade in absoluter Sicherheit und es entspinnt sich ein sympathisches Gespräch mit der Dame, die meinen Oberkopf wie eine Folienkartoffel einwickelt. Ich erfahre beispielsweise, dass ich meine schlaflosen Nächte mit Baby und Kleinkind unbedingt genießen soll! Denn Milchstau, Läuse-Alarm und einschießende Backenzähne seien ein Dreck gegen die Herausforderungen pubertierenden Nachwuchses. Hin und wieder ertappe ich mich dabei, dass ich gedanklich aus der Diskussion aussteige und mich über so elementare Dinge wie die Entlassungswelle diverser Köche am englischen Königshaus informiere. Auch dass Robbie Williams seine weinende Tochter vom Kindergarten in Adidas-Badelatschen abholt ist ja allerhand! Vertieft in solch freudvolle Lektüre wundere ich mich kurz, als ich mich nach einer zweiminütigen Einwirkzeit meiner Oberkopf-Strähnen mit folgender Aussage konfrontiert sehe: „Hmm, es soll ja nicht weiß werden, daher können wir jetzt gleich schon mit dem Auswaschen beginnen!“

„Es soll ja nicht weiß werden.“

Irgendwas hält mich zurück lauthals durch den Salon „Hääääähhh?????“ zu schreien. Was meint sie genau mit der Intro: „Es soll ja nicht weiß werden…“? Ich merke, wie meine Hände schwitzig werden und mein Puls unkontrolliert schneller schlägt. Perplex artikuliere ich meine schlagartig in mir hochsteigende Angst mit „Wie bitte?“ Doch auch die Wiederholung ihrer Aussage macht die Sache nicht besser und nun fange ich an, wirklich besorgt zu werden. „Also normalerweise habe ich relativ natürliche Farb-Strähnen, die mindestens eine halbe Stunde einwirken. Das Attribut mit dem ich die Farbgestaltung meiner Oberkopf-Strähnen in der Vergangenheit am besten beschreiben würde, wäre also: unauffällig-dezent.“, erläutere ich stotternd. Und mir wird plötzlich bewusst, dass ich diese signifikante Information vielleicht noch vor dem Studieren der Robbie-Williams Adidas-Latschen-Story hätte erwähnen sollen. „Ja, also ich habe Ihnen die Haare blondiert, das geht viel schneller und ist dann auch auffälliger. Drei Minuten Einwirkzeit und sie sind blond“. Ich bin neurotisch, hysterisch und wehleidig, aber in der Öffentlichkeit reiße ich mich meist zusammen. Das gelingt mir jetzt leider nicht und mir entfährt ein ernst gemeintes „Ja um Himmels Willen!“

„Haben Sie Flugzeug?“

Seltsamerweise kommt mir just in diesem Moment voller Dramatik eine andere Folienkartoffel entgegen und fragt mich in gebrochenem Deutsch: „Haben Sie Flugzeug?“ Oh man, ich bin in einem Alptraum gelandet. Was ist das denn jetzt? Ich verneine kurzerhand mit „Nein, ich habe kein Flugzeug“ und widme mich wieder den existenziellen Herausforderungen meines Lebens und diese lauten momentan „Wahnsinn, sie hat meine Haare blondiert!“ Der fragenden Folienkartoffel wird derweil ein Feuerzeug („Flugzeug“) gereicht, sodass sie als erstes rauchendes Knollengemüse zum Qualmen vor die Tür geht. Alle anderen Besucher des Salons zeigen sich weniger indifferent und lauschen dem Friseur-Tatort, der sich zwischen mir und der Friseurin abspielt. „Also mir war nicht an einem schnellen und auffälligen Ergebnis gelegen“ sage ich in einem für mich eher untypisch barschen und lauten Tonfall. Ich wollte einfach nur wieder einigermaßen o.k. aussehen, das ist doch keine allzu große Forderung?“ jammere ich. „Also wir waschen das mal schnell aus, und ich bin mir sicher, das Ergebnis wird Ihnen gefallen.“ Auch die Friseurladenbesitzerin beteuert mit ihrer geballten Expertise. „Also das ist ein toller Farbton, das sehe ich schon bei nassem Haar.“ Und die beiden Barbiere klopfen sich verbal gegenseitig auf die Schulter. Meine Hoffnung auf ein nicht weißes Haar steigt. Zu Recht, wie mir ein Blick in den Spiegel endlich verrät. Meine Haare sind nicht weiß, sondern gelb! Und mir schießen nun tatsächlich die Tränen in die Augen, während mir mein Mann gerade eine heitere Textnachricht mit den Worten schickt: „Genieß’ deinen Friseurbesuch, hier alles bestens, Baby schläft. Kannst Du den Stenz vom Kindergarten abholen?“ Wunderbar, der Stenz wartet also in 15 Minuten auf mich. Wie soll ich in 15 Minuten meine gelben Haare wieder loswerden? Genau diese Bedenken brechen nun schluchzend aus mir heraus. Im Friseursalon ist es totenstill, selbst die qualmende Flugzeug-suchende Folienkartoffel lauscht gespannt dem Haar-Desaster.

Ocker: die neue Trendfarbe der Wintersaison

„Kein Problem, wir klatschen Ihnen da jetzt einfach eine braune Tönung drüber und dann ist alles ganz dezent.“ Großartig,  „Tönung draufklatschen“, das wollte ich schon immer mal eine Friseurin im Zusammenhang mit meinem Besuch sagen hören. Alle Schleusen sind offen, ich heule ungehindert und übergebe mich ohnmächtig weiterhin den Händen dieses Dilettanten-Gespanns. Denn nun werkeln beide Coiffeure relativ hektisch an mir herum. Nach fünf Minuten sichte ich das Ergebnis, das einer missglückten Perücke ähnelt: ein glanzloses, mattes Ocker! Schon das Wort „Ocker“ ist grauenhaft.

Ich weiß, das Ganze ist so absolut lächerlich, es sind ja nur Haare! Aber trotzdem verlasse ich fluchtartig den Laden und schwöre mir, nie wieder zu wenig Zeit zu haben, um in die große, weite Stadt zu fahren – selbst wenn das Baby das nächste Mal mit ’nem Kürbis wirft.

Happy Auslauf

Yoga

Unser Baby ist nun zehn Monate alt und ich habe beschlossen, mal wieder was für mich zu tun. Denn nach zehn Monaten ist auch mal genug mit Altruismus und so. In den letzten Monaten beschlich mich hin und wieder das Gefühl, dass manch eine glückliche Freiland Henne bei uns hier auf dem Land mehr Auslauf am Abend hat als ich. Wer jetzt allerdings denkt, ich habe plötzlich beschlossen, die Korken knallen und die Sau rauszulassen, den muss ich leider enttäuschen. Ich gehe nur zum Sport. Nicht etwa weil ich Sport so liebe oder auch nur im entferntesten gerne mag.

Yoga gegen Rücken

Wer mich kennt weiß, dass ich eher nicht so der sportive Typ bin. Meine Idee zum Sport zu gehen ist eher aus der Not heraus geboren, weil ich in letzter Zeit ziemlich oft Rücken habe, ach was sage ich, ich hab’ Rücken, Nacken und Arme. Vor allem Arme hab‘ ich, aber so was von! Und weil ich es diesmal erst gar nicht so weit kommen lassen will wie damals beim Stenz, als mein Orthopäde schon befürchtete, ich würde ihn stalken und ich ein Dauer Abo beim Physiotherapeuten mein Eigen nennen durfte, gehe ich heute Abend das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit wieder zum Yoga. Dabei gehe ich nicht zu irgendeinem hippen Yoga-Kurs, der mega angesagt ist und bei dem die Sportkleidung minutiös und in stundenlanger Akribie zusammengestellt werden muss, damit man bei den unglaublich trendigen Mit-Yogis, nicht auffällt. Nein, ich gehe zum Yoga in unserem Dorf-Turnverein. Diese Gruppe habe ich, der Turn-Muffel mit ausgeprägter Sport-Phobie, mit großer Sorgfalt und Bedacht gewählt. Die Yoga Gruppe ist perfekt für mich. Zähle ich nämlich mit meinen knapp 40 Jahren zu den Jüngsten, kurioserweise allerdings auch zu den Unbeweglichsten.

Mein Stöhnen, der mahnende Begleiter jeder Yoga-Stunde

Selbst meine siebzigjährige Sitznachbarin mit Hüftleiden und Arthrose führt den Sonnengruß im Vergleich zu mir wie eine beschwingte Bewegungsgöttin und Luft-Akrobatin durch. Dabei habe ich das Gefühl, dass ich eine Art Motivator für all meine betagten Yoga-Mitstreiterinnen bin, denn durch mich, den unbeweglichen Jungspund, fühlen sie sich noch vitaler, energetischer und vor allem extrem sportlich. Ich bin sozusagen der Seelen-Tröster dieser Gruppe, der die Gesetze von Alter und Schwerkraft triumphal widerlegt. Denn ich beginne jede Stunde mit dem etwas verschämt vorgebrachten Satz: „Ich bin so schlapp und weiß noch nicht so genau, ob ich alle Übungen heute so voll in aller Intensität mitmachen kann.“ Daraufhin schauen mich ca. 18 Augenpaare teilweise mit grauem Star mitleidig, aber trotzdem aufmunternd an. „Puh, geschafft“, alle wissen Bescheid und sind vorbereitet als ich nach dem fünften Mal des imaginären acht in die Luft Zeichnens kraftlos und quietschend auf meine Yoga-Matte sinke. „Meine Arme sind einfach so matt“, stöhne ich. Und meine fidele, vorlaute und mir zutiefst sympathische Sitznachbarin Sylvie ruft mir augenzwinkernd zu: „Ach Petra, was habe ich dein Stöhnen vermisst!“ Da kann ich ihr noch so oft sagen, dass ich nicht Petra heiße, für Sylvie bleibe ich stets die stöhnende, schnaufende und motorisch etwas zurückgebliebene Petra.

Salamander auf Stein oder besser Salamander auf Kaktus

Und auch im Verlauf der weiteren Stunde breche ich noch zahlreiche Yoga-Übungen vorzeitig ab und sehne mich nach der entspannenden Abschluss-Meditation und dem kollektiven, Kraft bringenden Ohm zum krönenden Abschluss. Doch vor dem Ende der Stunde stehen noch diverse Partner-Übungen auf dem Programm. Dabei küre ich die Rücken-Einheit „Salamander auf Stein“ zu meinem ganz persönlichen Favoriten. Die lustige Sylvie, die trotz ihres Renten-Alters immer in stylisch- goldenen Ugg-Boots wandelt und auch die coolsten Leggings aller Zeiten ihr eigen nennt kommt fröhlich auf mich zu, da sie mich den Bewegungs-Gehandicapten zu ihrem glücklichen Partner auserkoren hat. „Los Petra, lass’ mich Dein Salamander sein“ wirft sie mir mit einem lauten Lachen krachend entgegen und setzt sich rücklings auf meinen Rücken, während ich bewegungslos in der Pose des „Kindes“ verharre und kaum zu atmen wage. Denn Sylvie ist zwar schlank, aber meine geschundene Wirbelsäule, die  durch das doch recht propere Baby ziemlich angeschlagen ist, verzeiht mir momentan leider keine überflüssigen Kilos, vor allem nicht, wenn diese unwirsch auf sie drauf plumpsen. „Oh mein Gott, Petra, Du hast ja so einen spitzen Rücken, bei dir müsste die Übung eher Salamander auf Kaktus heißen, das ist ja unerträglich! Ne, Petra, ich kann die Übung mit Dir nicht machen, da muss ich leider abbrechen!“ verkündet Sylvie lautstark in die  Gruppe hinein in meine Richtung und bittet die Yoga-Lehrerin ihr korrespondierender Stein zu werden. Wieder schauen mich ca. 18 Augenpaare voller Anteilnahme und Barmherzigkeit an. Zugegeben etwas betrübt, dass ich selbst als Stein nichts tauge zähle ich die verbleibende Zeit bis ich mich endlich schnarchend, im Kerzenschein umhüllt von Engelsduft, ins Land der Träume begeben kann. Vielleicht sollte ich das nächste Mal in meiner persönlichen Auszeit doch besser die Korken knallen lassen?

Audienz beim König

Mit Kindern im Schlosshotel

Ich schlendere das Frühstücksbuffet entlang und fühle mich gesegnet. Was ein großartiges Hotel! Weite, Freiheit, Natur wohin das Auge reicht. Oder doch nicht ganz? Mein Blick schweift an all den Schönheiten dieses außergewöhnlichen Retreats vorbei und bleibt unvermittelt an unserem Frühstückstisch hängen, an dem meine beiden Kinder in harmonischer Eintracht vereint, den Morgen freudvoll lukullisch starten sollten. Der Mann schiebt sich währenddessen ebenfalls an den Köstlichkeiten des üppigen Buffets vorbei. Ein seltsam gedämpftes Brummen und eine nicht enden wollende Lachsalve des Stenzes lässt mich inmitten dieser friedvollen Glückseligkeit inne halten und meine inneren Alarmglocken fangen unwillkürlich an zu schrillen. Zu Recht. Denn anstatt die überdimensionale Käsescheibe mit Genuss zu verzehren, klatscht sie der Stenz seiner Schwester frontal auf’s Gesicht. 

Das zarte Käseblümchen

Ich stelle mein Mango- und Himbeermousse mit ungewolltem Schmackes scheppernd zurück auf’s Tablett und lege einen morgendlichen Sprint zu unserem Tisch hin, um das Baby vorm sicheren Ersticken durch Alpenkäse zu bewahren. Doch trotz dieser eigentümlichen Gefahr und obwohl ich wirklich sauer sein sollte, muss auch ich lachen und zwar so richtig. Ich weiß, pädagogisch wieder einmal nicht wertvoll. Aber Unser Baby schaut echt komisch aus. Ein bisschen wie ein Käseblümchen. Würde ich das kleine Geschöpf auf einer der umliegenden Almen entdecken, könnte ich mir fast vorstellen, dass dieses holde Gouda-Pflänzchen eine revolutionäre Alternative für die friedvolle Gewinnung des calciumreichen holländischen Importschlagers ist. Sie könnte aber auch als Testimonial für den neuesten, bahnbrechenden Gesichtsmasken-Trend posieren.

Pandoras Büchse wird verteidigt

Nachdem ich unser Baby von der gelben Scheiblette befreie, sinniere ich kurz über das schwere Los der Zweitgeborenen. Aber papperlapapp. Das Baby scheint sich schnell von seinem Käse-Schock erholt zu haben und schleckt sich jauchzend die letzten Gouda-Reste aus den Mundwinkeln. Dabei hält es in seiner rechten Hand ein Nougat-Croissant und in der linken einen Pancake. Und zwar so fest umschlossen als handle es sich um die Schlüssel für Pandoras Büchse, die es mit geballten Kräften zu verteidigen gilt. Und weil man, mit zwei vollen Fäustchen nur schlecht die belgische Waffel greifen und zum Mund führen kann, beugt sich das Baby kurzerhand zur Tischplatte hinab und schlabbert die süße Delikatesse direkt vom feinen Tafelholz. Tischmanieren gehen anders. Aber egal. Mit zehn Monaten genießt man noch Welpenschutz, versuche ich mich selbst zu beruhigen. Überhaupt scheint das Baby heute morgen mit einem ordentlichen Appetit gesegnet. Da kam ihr das kleine Käse-Facial fast gelegen.

Das schwangere Baby

Plötzlich schreit der Stenz „Ich glaube unser Baby ist schwanger!“ Die Dame vom Nebentisch fängt nun auch an loszuprusten und erkundigt sich nach den Gründen dieser waghalsigen Vermutung. „Das ist doch ganz klar, unser Baby hat so viel Hunger, weil sie, wie meine Mama früher, für zwei isst. Außerdem hat meine Mama heute morgen zu meinem Papa gesagt: Louchen ist schwanger“. Ich verschlucke mich an meinem frisch gepressten Orangensaft und versuche für den Stenz und unsere sympathische Tischnachbarin Licht ins Dunkle dieser irren Morgen-Debatte zu bringen. „Stenz, ich habe gesagt, Julchen ist schwanger und nicht Louchen!“ Riesige Enttäuschung macht sich bei meinem Sohn aufgrund der erschütternden Zerschlagung des Nichten- bzw. Neffen-Zuwachses breit.  „Ach wie schade, ich habe mich schon so auf ein neues Baby gefreut,“ erklärt er Kopf senkend und schiebt seiner Schwester beherzt ein Stück Obazda-Brezel in den Mund.

Pferdchen lauf Galopp

Doch nun ist auch genug gefrühstückt. „Hopp, hopp“, treibe ich meine Familie an. „Es ist spät und Zeit für unsere Audienz beim König!“ Denn bei dem von uns getesteten Hotel handelt es sich um ein Schloss. Und da das letzte Gespräch mit einem Hotel-Direktor durch das Stenz’sche Schweine-Gegrunze nicht ganz so professionell und erquicklich wie erhofft verlief, habe ich dieses Mal verbale Vorkehrungen getroffen. Nämlich solcherart, dass ich den Stenz auf eine gesittete Audienz beim König vorbereitete. Und oh Wunder, die Ankündigung zeigt Wirkung. Der Stenz scheint sichtlich beeindruckt und schwört im Rahmen des höfischen Tête à Têtes gutes Benehmen. Dabei gestaltet sich die erste halbe Stunde mit dem charismatischen „Aristokrat“ tatsächlich vielversprechend. Versammelt um das knisternde Kaminfeuer lauscht der Stenz voller Bewunderung schweigend den Worten des Monarchen und zeigt sich tief beeindruckt. Die einzige Unterbrechung durch den Stenz ist ein verhaltenes und verwundertes Flüstern in meine Richtung: „Mami, der König hat aber lange Haare“. Nach ca. 35 Minuten vergisst er dann allerdings seine Ehrfurcht und folgt seiner Schwester, die um die Ecke der ausladenden Chaise Longue krabbelnd verschwindet. Da auch ich gebannt den Worten des Hotel-Direktors lausche, verliere ich meine beiden Kinder für einen Bruchteil einer Minute aus den Augen. Denn der Direktor gibt gerade den ein oder anderen Schwank seiner illustren Gästeschar zum Besten. Als ich mich nach ca. 55 Sekunden wieder meiner Kinder besinne, hat der Stenz seiner Schwester den heimlich mitgebrachten Bademantelgürtel als Pferdegeschirr um den Bauch geschnallt und treibt sie im Galopp durch die Hotel-Lobby. Das Baby stolziert, durch die liebevollen Ermunterungen des Stenzes, stolz wie ein kleiner Löwe auf allen Vieren den roten Teppich entlang. Erst als der Stenz das Geschirr etwas enger schnallt, interveniere ich und eile meinem Zweitgeborenen zu Hilfe und frage meinen Sohn, was er denn da treibe? „Aber Mami, ich bin der Knecht des Königs und bring’ ihm sein Pferd!“

Streichelzoo statt Dampfbad oder gefangen in Schlumpfhausen

Gefangen in Schlumpfhausen

Ich sitze auf einer grünen, stinkigen Gummimatte, klinisch ausgeleuchtet von grellweißem Neonlicht und stille. Während ich das tue blickt mir der grässliche Zauberer Gargamel arglistig über die Schulter. Und ich habe irgendwie den dringenden Drang meine Hände im Sekundentakt zu desinfizieren. Als ich mich gerade von dem schwarzen Magier, der vor etlichen Jahren einmal couragiert die Wand dieses Hotel-Kinder-Clubs verschönern sollte abwende, saust plötzlich der Stenz mit Karacho schreiend die Plastikrutsche hinab und bewirft mich im Vorbeiflug mit riesig bunten Knautsch Bauklötzen und brüllt „Schlümpfe, Schlümpfe, ich komme und rette euch!“ 

Die Schimpansen-Mama geht in Deckung

Ich versuche mit dem Baby an meiner Brust in Deckung zu gehen, vergeblich – einer der Gummi-Bauklötze trifft mich am Kopf. Und zu allem Überfluss erscheint auf einmal vor der gläsernen Pforte nach Schlumpfhausen eine zehnköpfige Rentner-Horde und schaut mich unverblümt an. Ich komme mir vor wie im Zoo. Fehlt nur noch, dass der pensionierte Frontmann zu seinem Mikro greift und laut durch die Hotelhalle röhrt: „Hinter dieser Glasscheibe sehen sie eine Schimpansen-Mutter, die ihr Junges säugt.“ Die Situation wird sogar noch sonderbarer: Denn mein Anblick versetzt den betagten Rädelsführer derart in Entzücken, dass er es sich nicht nehmen lässt und beherzt eintritt. Am liebsten würde ich, die unter kniehohen, weichen Bauklötzen begraben ist, einen lauten Schimpansen-Schrei ausstoßen und das Weite suchen. Auch mein Junges fühlt sich beim Trinken gestört und schaut den Rentner großäugig an. Leider gibt es in dieser in die Jahre gekommenen kleinen, muffeligen Gummizelle keine Fluchtmöglichkeit und ich lausche gespannt dem durch unseren Anblick berauschten Mann „Oh haben wir Ihr Kleines geweckt? Das wollten wir nicht.“ Während er das sagt drücken sich seine Freundinnen und Freunde weiterhin die Nasen an der Glastür zum Kinderclub platt. „Aber ich musste Ihnen einfach sagen, wir haben sechs von der Sorte!“ „Hä, was meint er? Sechs Schlümpfe, sechs Gummi-Bauklötze oder Sechsling-Schimpansenbabys?“ Ich nuschle ihm genant ein „Aha, großartig“ entgegen und wünsche mich in den nur wenige Gehminuten entfernten Infinity-Pool. Ein frommer Wunsch, der leider nicht Realität wird. Denn ich merke, dass ich zwischen diversen Gummi-Bauklötzen, Kinder-Stühlen und Bergen von Kuscheltieren bis auf weiteres in Schlumpfhausen gefangen bin.

Ich, die perfekte Besetzung für das Format „Bauer sucht Frau“

Oh man, wie viele Stunden habe ich in den vergangenen vier Jahren in Bälleparadiesen, Streichelzoos und Abenteuerspielplätzen von Wellnesshotels verbracht? Ich bin mir sicher, dass ich mittlerweile mehr Zeit in diversen Souterrain-Spielräumen mit so phantasievollen Namen wie „Trixies Kids Club“ oder „Fix und Foxy“ Bälle werfend, Puppen kämmend und imaginäre Speisen aus Miniatur-Schüsselchen essend zugebracht habe, als ich es mir zu Beginn meiner Wellness Hoteltesterinnen-Laufbahn je erträumt hätte. Alleine diesen Monat durfte ich unzählige Zwerghamster, Langhaar-Meerschweinchen und Angora-Häschen streicheln. Außerdem wurde ich von zwei Lamas angespuckt, von etlichen Ziegen gemustert und vom Stenz angeleitet, wie man Ponys striegelt oder Hängebauchschweine füttert. Ich würde fast behaupten, dass ich in den vergangenen vier Wochen eine beinahe Ausbildung zur Zoo-Fachangestellte absolviert und mich überdies für das Format „Bauer sucht Frau“ mehr als qualifiziert habe.

Gilroy, Jonathan-Oliver, Alicia & Co

Und auch in Sachen Hotel-Spielplätze habe ich mich zu einem Experten gemausert. Dabei habe ich mir angewöhnt, in den langen Stunden vor Klettergerüsten und Schaukeln interessante Verhaltensforschung zu betreiben und den diversen, mir dargebotenen Schauspielen, einfach nur schweigend beizuwohnen: Gilroy sitzt wie eine übergewichtige Bergziege im obersten Gebälk des Kletter- bzw. Seilgerüstes und schreit entrüstet um Hilfe nach seinem Papa. Er kommt wohl alleine nicht mehr runter. Papa sitzt aber Kippchen rauchend in sein iphone vertieft und hat außerdem Höhenangst. Daher muss wohl Gilroy-Mama ran. Fauchend und zischend begibt sie sich auf den Weg nach oben „Warum muss immer ich, den Karren aus dem Dreck ziehen?“ Elegant wie eine tonnenschwere Vogelspinne hangelt sie sich von Seil zu Seil und ich gestehe, dieses Bühnenwerk mutet derart grotesk an, dass ich einen mittelschweren Lachanfall bekomme. Und auch der kleinen Alicia beim munteren Sandeln zuzuschauen macht wahrlich Freude. Behände klettert sie mit ihrem Eimerchen die Treppe zur Rutsche hinauf und kippt den Sand zur großen Wonne von klein Jonathan-Oliver über dessen Kopf aus. Welch’ ein wunderbarer Moment! Er sollte für die Ewigkeit festgehalten werden. Das hier ist besser als Fernsehen. Zeternd kommt die Jonathan-Oliver Mutter herbeigerannt und tröstet ihren über und über mit Sand beschütteten Zweijährigen. Tja, da ist heute Abend wohl eine Dusche fällig.

Ein Hoch auf Hotel-Hausschuhe

Aber bloß keine Schadenfreude, denn der Stenz stapft gerade ebenfalls erzürnt in meine Richtung. „Mami, meine Schuhe sind weg!“ Und tatsächlich, vor dem Trampolin sind keine bunten Sport-Treterchen mehr zu finden. Dumm gelaufen. Denn es waren die einzigen Schuhe, die wir zu diesem Test-Aufenthalt ins Hotel mitgenommen haben. Und so schlurft der kleine Junior-Tester für den verbleibenden Tag mit kuscheligen Hotel-Latschen umher. Perfekt also, um eine weitere Runde im gummi-terrassierten Schlumpfhausen zu verbringen, yeah!

Stressige Stille

Ich verbringe meine Tage gerade in einem Wellness-Hotel, in dem es sehr ruhig zugeht. Geradezu beängstigend ruhig. Ein bisschen wie in einem Schweige-Kloster. Ich höre hier sogar die Uhren unerträglich laut ticken. Eigentlich perfekt. Sehne ich mich doch so nach Ruhe und Entschleunigung. Das Hotel ist also wie für mich geschaffen. Für mich alleine wohlgemerkt. Nicht aber für meine beiden kleinen Reisegefährten. Denn akustische Askese ist so gar nicht ihr Ding. Da sind sich beide einig

Vorsicht Lebensgefahr: Meuchelmord im Hotel-Restaurant

Wohingegen die anderen Gäste des Hotels allesamt wahre Meister des Schweigens und des amourösen Wisperns zu sein scheinen. Im Restaurant haben wir das Glück im „Romantik Bereich“ zu dinieren. Unsere Mitreisenden blicken sich nämlich nur tief in die Augen und versinken dann wieder in verliebtes Schweigen. Sie verstehen sich wortlos. Und diejenigen, die nicht mehr verliebt sind, versinken nur in stiller Andacht und nuscheln sich hin und wieder ein nüchternes „Reichst du mir mal das Wasser“ zu. Doch diese Ruhe wird durch uns, die scheinbar einzige Familie weit und breit jäh unterbrochen. Wie ein verbaler Tsunami überschwemmen meine lediglich im Schlaf stillen Abkömmlinge die sakrale Ruhe des Speisetempels. Auch meine hundertmalige Aufforderung an den Stenz, doch bitte seinen Gedankenschwall flüsternder Weise kundzutun, verpufft bedeutungslos im Nirvana. Flüstern kann der Stenz nicht. Oder höchstens für eine dreiviertel Sekunde, dann wird wieder erbarmungslos normal gesprochen, was durch die feierliche Atmosphäre hier leider wie aufmüpfiges Gebrüll erscheint. Und so lächeln uns lediglich die Ober freundlich zur Begrüßung an. Die Blicke der anderen Gäste wirken vernichtend. Im Verlauf des Abends meine ich sogar bei einigen Besuchern ein mordlustiges Flackern in den Augen gesehen zu haben. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein.

Pepper Pig gegen Tinnitus

„Nein, diese Tomate schmeckt eklig!“ gibt der Stenz schon zum Salat-Auftakt in die Stille hinein, für alle um uns herum deutlich vernehmbar, zu bedenken. „Ts, ts, ts“ kommentiert die streng dreinblickende Studienrätin am Nebentisch die Ekelbekundung unseres Sohnes. Auch das Baby kommt nun langsam, quasi simultan mit seinem großen Bruder, in Fahrt und stößt mehrmals hintereinander intervallartig spitze, voluminöse Schreie aus. Mir stellen sich spontan alle Nackenhaare auf und ich frage mich, wie ich dieses Fünf-Gang-Menü unbeschadet überstehen soll. „Schau mal Mami, ich habe den Traktor rot ausgemalt und nicht grün“ gibt der Stenz vollkommen entzückt von seiner eigenen artistisch-kreativen Ausmal-Performance zum Besten. Erneutes kritisches Hüsteln, diesmal aus einer anderen Ecke. Die Dame am Gang möchte sich bitte umsetzten, sie und ihr Herr Gemahl fühlen sich von den vorbeilaufenden Gästen in die Enge gedrängt. Das vernehme ich gerade als ich en passant mit dem Baby auf dem Arm in Richtung Eis-Station laufe, um dem Baby eine Eis-Waffel als strategischen „Tranquilizer“ und kleinen zwischendurch Appetizer darzubieten. Denn mit vollem Mund lässt sich ja bekanntlich weniger gut brüllen. Und keiner in diesem Restaurant wirft dem Baby oder mir auch nur ein einziges sympathisierendes Eltern-Lachen entgegen. Ich scheine umgeben von einer hyper-sensitiven Spezies an kinderphoben Gästen zu sein. Nachdem jeder bunte Farbenstrich als ich zurück an unseren Tisch komme, ekstatisch vom Stenz kommentiert wird und ich meine ganze Konzentration in das Ruhigstellen unseres zehn Monate alten Kindes stecken muss, einigen sich mein Mann und ich spontan darauf, den Stenz ausnahmsweise durch das Anschauen von Pepper Pig temporär zu sedieren. Ich weiß, pädagogisch in höchstem Maße verwerflich! Aber dieser erzieherisch fragwürdige Schachzug ist aus der Not heraus geboren und soll verhindern, dass die Gang-Umsetzerin und die grauhaarige Studienrätin beim nächsten euphorischen Ausruf unseres Mini-Künstlers einen Tinnitus oder folgenschweren Hörsturz erleidet. Mein Motiv ist also edel und aus Rücksicht geboren. Außerdem merke ich, dass mein Mann und ich uns schwertun, gleich zwei lärm-indifferente Kinder in Schach zu halten. Das Baby ist heute nämlich missmutig. Und ich stecke mitten im akustischen Epizentrum ihrer rhythmisch auftretenden Schreie, die bugwellenartig auch den letzten tauben Pensionär im hintersten Eck zu erschüttern drohen.

Zuckendes Auge im Gemüsebrei: Begleiterscheinungen eines entspannten Dinners

Dabei greift das Baby heute wirklich zu allen Mitteln – ganz nach Machiavelli. Denn bei den verschiedenen Versuchen, es mit leckerem Gemüse-Breichen zu füttern, wedelt es so vehement mit den Ärmchen, dass mich eine Ladung der vitaminreichen Kost frontal am oberen rechten Auge trifft. Das linke Auge beginnt unwillkürlich zu zucken und ich merke, wie sich außerdem rote Stress-Pusteln auf meiner Stirn formieren. Demütig senke ich den Kopf. Ich bin erschöpft und kapituliere. Langsam lasse ich das Baby unter den Tisch sinken und reiche ihm ein Spielzeug, damit es sich unter der Tischdecke verlustieren kann. Hunger scheint es offensichtlich keinen zu haben. Doch unter der Tischdecke verstecken zu spielen ist langweilig. Während ich gerade noch den Kartoffelmatsch von meinem Auge reibe, steuert es schnurstracks die spaßbefreite Studienrätin an. Ihrer ganzen Attitüde nach zu urteilen, hat sie als Lehrerin ein Leben lang daran gearbeitet, einen veritablen Kinderhass zu kultivieren, der auch vor einem krabbelnden Baby keinen Halt macht. Ein erneutes „ts, ts, ts“ und ich überlege spontan, den Rest des Dinners auf dem Zimmer einzunehmen.

Grunz, grunz! Die Rache pädagogischer Inkonsequenz

Doch das Highlight dieses stressig-stillen Abends ist sicherlich das Gespräch mit dem Sommelier. Denn nachdem der Stenz während des halben Essens in der Welt Pepper Pigs versank, möchte er uns nun ebenfalls in den Kosmos seines kleinen Schweine-Idols einführen. Zu diesem Zweck und um uns auch ein wahrlich authentisches Gefühl zu vermitteln, wie es sich als Rüsseltier so lebt, beginnt er plötzlich ohne Unterlass zu grunzen. Und je mehr ich zische „Bitte hör‘ sofort auf damit!“ desto lauter wird sein animalisches Schnauben. Das ist wohl die Rache pädagogischer Inkonsequenz! Ach was sehne ich mich nach unserem letzten Hotelaufenthalt. Hier fristeten wir im Restaurant in die Kinderecke verbannt unser Dasein glücklich und unbemerkt zwischen runter gefallenen Schnullern, zwei dutzend Feuchttüchern und angeknabbertem Baguette. Dabei rangen gleich drei verschiedene Babys gleichzeitig um den Sieg beim inoffiziellen Wettbewerb „Ich schreie am lautesten!“ Hier herrschte das Gegenteil von stressiger Stille, am ehesten könnte man das chaotische Treiben als entspanntes Tohuwabohu beschreiben. Herrlich!

Ritsch Ratsch – Schnipp Schnapp

Schnipp Schnapp

Der Stenz ist kreativ. Sehr kreativ. Mit ihm wird mir selten langweilig und das ist meistens schön. O.k., nicht immer. Häufig. Ab und zu. Hin und wieder. Und zwar dann nicht, wenn ich das Gefühl habe, mit dem Lieblings-Protagonisten meiner Kindheit, Michel aus Lönneberga, unter einem Dach zu leben. Dabei ist der Stenz mindestens genauso phantasievoll wie das Pendant aus Schweden. 

Grüner Rettungsreif mit Kuh

Kürzlich habe ich eine Freundin mit zwei kleinen Mädchen besucht. Nach literweisem Kaffee (wir hatten uns viel zu erzählen) musste ich mal. Eigentlich sehr unspektakulär. Jedenfalls so lange, bis ich das Gefühl hatte festzustecken. Ich wunderte mich, wie eine normal gebaute Familie so kleine Toilettensitze freiwillig ihr eigen nennen konnte. Das kam ja einer Folterung gleich. Quasi das Gegenteil vom gemütlich stillen Örtchen. Als ich meine Freundin darauf ansprach, brach sie in schallendes Gelächter aus. „Da hast Du Dir wohl das Falsche, nämlich das Kinderklo ausgesucht. Der Toilettenring für die Kids ist feste montiert.“ „Aha, so was gibt’s auch“ dachte ich mir und tat das Ganze innerlich als übertriebenes „Gedöns“ ab. Aber nur bis zu jenem Tag, als es der Stenz dem Michel mit der Suppenschüssel gleichtun wollte. Allerdings in etwas abgewandelter Form. Denn Suppenschüssel kann ja jeder. Mit ’nem grünen Toilettenring mit lustig bunten Kühen drauf, macht das ganze viel mehr Freude. Da sieht man auch mehr. Es ziert den Hals auch besser. Gerade in Zeiten des Klimawandels ist es sehr nützlich allzeit bereit und bestens gewappnet zu sein. Wenn uns nämlich morgen unerwartetes Hochwasser überrascht, ja dann ist der Stenz exzellent vorbereitet. Er trägt den Rettungsring schon um den Hals. Grüner Toilettenring: ein Garant bei jedem niederschlagsreichen Unwetter. So genial, das sollten wir uns fast patentieren lassen. Hätten die das damals doch auf der Titanic gewusst. Zugegeben, als mir der Stenz weinend mit grünem Toilettenring unter seinem Kopf, verzweifelt zurief: „Mami, ich stecke fest“, da ist mir diese grandiose Patent-Idee nicht sofort gekommen. Und ich gestehe, während ich mit viel Feingefühl den Toilettenaufsatz von meinem Kind herunter friemelte, sah ich schlagartig die Sinnhaftigkeit fest installierter Toilettensitze für Kinder und bat meine Freundin in Gedanken um Vergebung. Ihre Installation war weit von unnützem Gedöns entfernt. Nach ca. zehn Minuten höchster Konzentration meinerseits trug der Stenz wieder Hals. Und ich beglückwünschte mich zu meiner großartigen, besonnenen Reaktion.

In der Ruhe liegt die Kraft

Von dieser Besonnenheit müsste ich eigentlich meiner Nachbarin erzählen, denn zwei Jahre zuvor, war ich doch eher hektisch, vielleicht sogar ein kleines bisschen kopflos als ich mit einem total aufgelösten Stenz bei ihr Sturm klingelte und panisch um Hilfe bat. Doch der Reihe nach: Während ich lustig vor mich hin werkelte, hatte der Stenz meinen Armreif entdeckt. Ein silbernes, ziemlich massives und unflexibles Ding, das über einen ganz kleinen Schlitz für XXS- Handgelenke verfügt. Der Stenz, der auf jeden Fall die Experimentierfreude seines Physiker-Vaters geerbt hat, drehte und wendete mein Schmuckstück und stülpte es sich dann kurzerhand in den Mund, wo es dann zwischen Unterkiefer und Kinn feststeckte. Mit markerschütternden Schreien dokumentierte er dieses seltsame Unterfangen. Unser kleines Stierchen trug also keinen Nasen-, sondern einen Kieferring. Und da ich seit jeher immer schon zu Panik und Hysterie neige, besonders wenn es um das Kostbarste meines Lebens geht, fiel meine Reaktion entsprechend angespannt aus. Der erste Zieh- und Zerrversuch rief ein noch ohrenbetäubenderes Kreischen hervor, sodass ich den Stenz kurzerhand und relativ unbesonnen in Richtung unserer patenten Nachbarin schleppte. Sie war wie immer die Ruhe in Person und befreite den Stenz schwuppdiwupp von seiner Neu-Interpretation eines mobilen „Gesichts-Piercings“ und mich bewahrte sie vor einem mittelschweren Break-Down.

Der wandelnde Skihelm 

Und das ist auch das Stichwort, warum ich diese Story schreibe. Heute war der Tag meines Break-Downs. Und zwar so richtig. Eigentlich dachte ich, ich hätte den schon letztes Wochenende gehabt. Als mein Mann nämlich in einem kurzen Moment meiner Unaufmerksamkeit unseren Garten in eine dürre Einöde verwandelte. Nur mal kurz die Vorhänge zugemacht, um das Baby zum Schlafen zu bringen und hossa die Waldfee wieder aus dem Fenster geschaut und in eine karge grüne Wüste geblickt. Rudi Carell hätte bei der Anmoderation unserer Garten-Metamorphose seinen Spaß gehabt: „Eben noch sattes, hohes Laubbaumgrün und jetzt nur noch öde Steppe.“ Ja, aber siehst Du denn nicht, das war ein Unkrautbaum!“ rief mir der Mann,  seine Säge immer noch triumphal schwenkend entgegen. Und auch der Stenz, der bei 28 Grad im Schatten mit Skihelm, Skibrille und arktischen Handschuhen bewaffnet die Baumfällaktion tatkräftig unterstützt hatte, schrie aufgebracht: „Wir haben so hart gearbeitet, Papa und ich, schau doch wie ich schwitze.“ Um sein Gesagtes auch mit Gesten zu untermauern, wedelte der wandelnde Skihelm wild mit den leblosen Ästen des gefällten „Unkrautbaumes“. Nur das Versprechen meines Mannes, mit mir in Bälde zum Baumarkt zu fahren und sämtliche meiner floralen Wünsche Realität werden zu lassen, besänftigte meinen emotionalen Aufruhr.

Hare Krishnas aufgepasst!

Doch heute, brauchte ich länger. Und zwar genau eine halbe Seeseite. Denn erst nachdem ich vom Ost- zum Westufer des Starnberger Sees gepaddelt bin, glätteten sich die Wogen meiner aufgepeitschten Seele. Dabei redete der Mann mit Engelszungen beruhigend auf mich ein. Das sei doch alles halb so schlimm! Eine Woche nach dem Garten-Kahlschlag zelebrierte der Stenz nämlich eine gewisse Analogie, allerdings nicht auf unserer Rasenfläche, sondern an sich selbst. Ich war gerade dabei, meine wahr gewordenen Blüten-Träume zu wässern, als das Stimmchen unseres Sohnes mit folgenden verheißungsvollen Worten erklang: „Maaaami, komm schnell, ich habe meine Haare geschnitten!“ Ich glaube, in den letzten drei Jahrzehnten bin ich nicht so schnell gesprintet wie in dem Moment als ich diesen folgeschweren Satz vernahm. Doch selbst wenn ich schneller als der Blitz gerannt wäre, ich wäre zu spät gekommen. Die Katastrophe war vollbracht: Der Stenz trägt seit heute vorne Glatze. Auf seinem Kopf befindet sich ein Vokuhila, der drastischer nicht sein könnte. Es schaut aus als hätte ein ehrgeiziger Blinder Coiffeur gespielt. Das Ergebnis: die neue Trend-Frisur für alle Hare-Krishnas. Doch fast noch schlimmer als der Anblick dieser Radikal-Frisur, die sich auch bestens als Protest-Frisur eignet, war das sorgsam zusammengetragene Knäuel, das der Meister-Barbier liebevoll auf einem Blatt Papier zusammengetragen und wunderschön drapiert hat. Voller Stolz zeigte er mir, die ich immer noch in Schockstarre verharrte, sein Tagwerk aus dem man gut und gerne drei Pullover stricken könnte. Mein spontaner Impuls war heulen. Die blonden Härchen vorne einfach weg. Ich konnte es nicht fassen. Nie zuvor hat er bei einem Friseur-Besuch so viel Haar verloren wie heute. Dabei möchte ich anmerken, dass das Haupt unseres Sohnes in den ersten zwei Lebensjahren nie gestutzt wurde und locker flockig schulterlang herunterpurzelte. In der Waschanlage fragte mich der Tankwart damals „Und welches Quietsche-Entchen darf es für die kleine Prinzessin heute als Geschenk sein?“ Das heißt in Sachen Stenz-Haar bin ich empfindlich. Sehr sogar! Zum Glück ist der Stenz hübsch. Ich finde ihn jedenfalls wunderschön. Und wie heißt es doch: „Einen schönen Menschen entstellt nichts.“ An Ostern 2019 hat sich die Vorder-Glatze hoffentlich wieder verwachsen. Und bis dahin trägt man Kappe!

Ein bisschen Hemingway…

He said, „Try to learn to breathe deeply, really to taste food when you eat, and when you sleep really to sleep. Try as much as possible to be wholly alive with all your might, and when you laugh, laugh like hell. And when you get angry, get good and angry. Try to be alive. You will be dead soon enough.

Im Hotelpool

Badespaß

Wie eine wild gewordene Kaulquappe auf Ecstasy tollt der Stenz durch das türkisblaue Nass unseres Hotelpools. Dabei ist die Kaulquappe heute nicht nur besonders quirlig, sondern auch in Schwatzlaune. Ähnlich einem World Cup Slalom Schwimmer schlängelt sie sich durch die Sprudelbänke und plaudert redselig aus dem Nähkästchen: „Ich bin ein Cowboy, der auf Almen wandert.“ erklärt er selbstbewusst seinen Sprudelbank-Nachbarn, die angestrengt zu entspannen versuchen. Neuerdings geht er sogar auf Tuchfühlung mit anderen plantschenden Badegästen. Dabei kann ich wohl von Glück reden, dass er sie in seiner Euphorie nicht auch umarmt.

Der schwimmende Teilzeit-Cowboy hebt ab
Ich bin wirklich erstaunt ob so viel zwischenmenschlicher Nähe – war er doch bis vor kurzem in Sachen humaner Interaktion eher zurückhaltend. Auch die beiden sympathischen Damen, denen er gerade von seinen Cowboy-Rodeo-Abenteuern erzählt, scheinen zunächst etwas befremdet als sich ihnen plötzlich ein grüner Schwimmgürtel tauchend nähert und gefühlte fünf Zentimeter neben ihnen Fata Morgana-gleich erscheint. Allerdings begibt er sich nicht wie erwartet sofort wieder auf Tauch-Station, sondern gesellt sich freudestrahlend zwischen die beiden Ladies. Zum Glück haben sie Humor und nehmen es ihm nicht übel, dass er ihnen derart nah auf die Pelle rückt. Sie verwickeln ihn sogar in ein Gespräch. In diesem verkündet der Stenz, dass er ja nur Teilzeit-Cowboy sei, ehrenamtlich sozusagen. Denn seine eigentliche Profession bestünde im Fliegen. Ja, er wäre nämlich Pilot. Und da drüben oben im Saunahaus, da würde er immer abheben. „Die haben nämlich so tolle Wasserbetten mit Kopfhörern. Hier spielen mein Papa und ich immer Pilot und Tower.“ Die Brünette ist begeistert und gibt ihrerseits die ein oder andere Cockpit-Story über ihren Flugkapitän-Sohn zum Besten. Nun hat sie das Stenz’sche Herz im Sturm erobert und das kleine Pool-Pläuschchen geht in die zweite Runde.

Früh übt sich, wer virtuos massieren will

Während ich diese offensiven Annäherungsversuche meines Sohnes sprachlos beobachte, sitze ich auf der Decke im Hotelgarten und stille. Dabei lässt mir das Baby gerade eine kleine Gesichtsmassage angedeihen: Es walkt mit Inbrunst und großer Virtuosität mein Kinn und meine Wangen durch. Hierbei bemerke ich, dass das Baby mal wieder für eine kleine Maniküre an der Reihe wäre. Denn ich trage den ein oder anderen Kratzer von dannen. Und ich hoffe, dass die Therapeutin, die mich gleich profimäßig durchkneten wird, ihre Fingernägel besser in Schuss hat. Doch bevor ich in Richtung Spa trotte, mache ich auch das Baby schwimmbereit und versuche ihm, die bereits etwas spack sitzenden XS-Schwimmflügelchen über die Oberarme zu stülpen. Das Baby kommentiert den „Stülp-Vorgang“ mit trotzigem Schreien. So übergebe ich das Baby zugegebenermaßen nicht in bester Laune, in die Obhut seiner männlichen Blutsverwandten. Ich tausche quasi Baby- und Kindergeschrei gegen Vogelgezwitscher, Zirbenduft und Massageöl ein und sprinte jubilierend meiner fünfzigminütigen Entspannungsmassage entgegen. Yeah!

Die Geburtsstunde der „Spa-Lady“
So schön es auch war, mit der Erholung ist es schlagartig vorbei als ich zum Pool zurückkehre und dem folgenden denkwürdigen Dialog zwischen Vater und Sohn lausche: „Papa, komm’ wir schauen mal, ob das Baby untergeht. Lass’ Sie mal los, ich will wissen, ob die Schwimmflügel sie tragen.“ Danach folgt leichtes Hüsteln meines Mädchens und der Mann antwortet mit Verve in der Stimme: „Stenz, sie wird nicht untergehen, sie ist doch eine echte Spa-Lady“. Ich reiße mir die Kleider vom Leib und springe beherzt der kleinen Spa-Lady zu Hilfe. Diese hat aber, wie ich feststellen muss, tatsächlich ungeheure Freude im Wasser und zeigt mir durch munteres Beinchen strampeln, dass sie aus derselben Kaulquappenfamilie wie ihr Bruder stammt.

Ein Hoch auf belgische Turmfrisuren!
Und auch der Stenz war nicht untätig, er hat meine Abwesenheit genutzt und eine neue Freundschaft mit Anton geschlossen. Letzterer springt gerade lauthals schreiend: „Vorsicht, Arschbombe“ mit Schmackes vom Beckenrand. Der Stenz schaut grimmig und entgegnet auf die Aufforderung seines neuen Freundes, er solle es ihm doch gleichtun: „Ich darf leider nicht, meine Mama verbietet mir alles.“ Braves Kerlchen! Leider hab’ ich mich zu früh gefreut, denn der Stenz kann nicht widerstehen und hüpft trotz der gegen mich gerichteten Diskriminierung mit Vollgas in den Pool. Die belgische Frau mit Turmfrisur, die mich schon den gesamten Morgen auf so sonderbare Weise mustert, schaut nun noch pikierter als zuvor. Und ich glaube zu wissen warum: schon Antons Sprung ins Wasser brachte den Frisurenturm ins Wanken. Doch der Stenz’sche Hopser bedeutete das finale Aus für die goldene Haarpracht. Platt wie eine Flunder oder Ostfriesland bei Regen gleicht das Haupt der Belgierin. Dabei stimmt der Ausruf des Stenzes „Mami, hier riecht’s nach Rülps“ die Dame leider auch nicht versöhnlicher. Aber wo er Recht hat, hat er Recht. Ich habe den Opa da hinten unter der Wasserfontäne in Verdacht…. Um das Thema zu wechseln, spiele ich jetzt Space Shuttle und ermuntere den Stenz, auf meinen Rücken zu klettern und schnell schwimmend das Weite zu suchen. Das vor Glück quietschende Baby ebenfalls im Schlepptau.

Schwer trächtiger Pottwal oben ohne
Ich gleite durch’s Wasser des Familienpools wie ein schwer trächtiger Pottwal – eben genau wie es mit zwei Kindern im Aqua-Huckepack möglich ist. Die vielen anderen Kids, die vom Beckenrand springen erleichtern das schwimmende Manövrieren auch nicht gerade. Und so ist mein Bewegungsradius stark eingeschränkt. Daher spüre ich mit umso größerem Schrecken, wie sich der Stenz von hinten an meinem Bikini-Oberteil zu schaffen macht. Ich kann gerade noch rufen: „Stenz, bitte nicht!“, da baumelt der Bikini auch schon leblos um meinen Hals. Zu spät, aus dieser Nummer komme ich hoch erhobenen Hauptes nicht mehr raus. Oder doch? Zum Glück rettet mich der Mann. Er sieht meine missliche Lage, schwimmt mir entgegen und befreit mich von meinen beiden Froschlurchen. Die belgische Frau beobachtet das Geschehen immer noch argusäugig. Ach, wie freue ich mich schon auf den nächsten relaxten Pool-Nachmittag!

Berufsrisiko: Hotelbett

Kindersicherung

Ich habe ein Déjà-vu: Ich fühle mich plötzlich wieder wie eine Zwölfjährige. Ich knie auf dem Boden und gebe mein Bestes, den störrischen Hamster meines Bruders aus seinem Versteck hinter dem Schrank hervorzulocken. Dabei geben wir Vollgas und wedeln mit Apfelstückchen und Bananenhäppchen, versuchen es mit Käse und Schinken, Lockrufen und Gesängen. Das quirlige Nagetier bleibt stur und bis auf weiteres verschollen. Wir befürchten schon das Schlimmste, als der flauschige Hamster nach einer gefühlten Ewigkeit, einem Tag und einer Nacht nämlich, pausbackig kauend und fidel dreinschauend, plötzlich wieder auftaucht. Was eine Erleichterung. Dreißig Jahre später ist es kein kleines Zottel-Vieh, das mir die Schweißperlen auf die Stirn treibt, sondern eines meiner Kinder.

Deckenleuchter aufgepasst, Jane und Tarzan kommen

Doch der Reihe nach: Einen Tag nach unserer gewagten Bergtour, bei der das Baby, wider meine ernsten Befürchtungen beim Abstieg nicht aus seinem Kinderwagen kullerte, müssen wir dringend arbeiten. Während sich der Stenz gerade im Landeanflug auf die Zugspitze befindet und das Hotel-Wohnzimmer in ein Cockpit umfunktioniert, kriecht das Baby in unserem Schlafzimmer umher. Wie ein irrer Wackeldackel auf Entzug schaue ich alle dreißig Sekunden von meinem Laptop auf und überprüfe, dass keines meiner beiden Kinder die Ziersteine vor dem Kamin verspeist, seine Feinmotorik an den von mir installierten Steckdosensicherungen trainiert oder am funkelnden Deckenleuchter des Hotelzimmers Tarzan spielt. Keines dieser Horror-Szenarien tritt momentan ein. Ich atme tief durch und wähne mich in Sicherheit. Bis ich irgendwann ein entferntes Brummen vernehme, das ich eindeutig meinem Zweitgeborenen zuordne. Mist, meine Helikopter-Observierung im Stakkato-Takt ist fehlgeschlagen. Ich schrecke schlagartig vom Schreibtisch auf und sprinte zu meinem Baby. Doch ich finde es nicht. Ich weiß, dieser Satz mutet merkwürdig an. Aber es ist so. Unser Baby ist plötzlich in den Weiten unserer Familien-Suite verschwunden. Wie furchtbar!

Nicht Diogenes in der Tonne, sondern der Stenz unter’m Bett

Ähnlich wie Sherlock Holmes nehme ich meine Fährte auf und folge dem fidelen, aber irgendwie entfernten Jauchzen und entdecke das Baby nach einem munteren Versteck-Spiel unter dem Hotelbett. Und so sehr ich mich bemühe, es mit meinen ausgestreckten Armen zu erreichen – es scheint Lichtjahre von mir entfernt. Ich gebe es ungern zu, aber unser Baby hat es sich unter unserem Hotelbett gemütlich gemacht und ist gerade dabei, sich hier häuslich einzurichten. Seine Kette aus Laugenbrezeln, die es stets in seinen Halsfalten trägt, dient ihm als leckere Vesper. So verspürt es augenscheinlich kein Verlangen, aus seinem Schlupfloch hervorzukriechen. Ich habe sogar den Eindruck, es freut sich über die kleine Verschnaufpause von seiner verrückten Familie. Als Wellnesshotel-Testerin fürchte ich auf unbekanntem Hotel-Terrain spitze Kanten, unnütz umherstehende Lampen oder bodentiefe Fenster, aber doch nicht harmlos aussehende Bett-Schlitze! Ich spüre eine Welle der Panik in mir aufsteigen als ich nach des Babys Beinchen grapsche, aber nichts als luftleeren Raum erwische. Das Baby lacht mich mit seinen sechs Zähnen schelmisch an. Oder lacht es mich aus? Bei jedem erneuten Grapscher schüttelt sich der kleine Körper vor Vergnügen. Wenigstens erkennt es nicht den Ernst der Lage. Denn mir schwant Böses. Was, wenn das Baby sich dazu entschlösse, es dem Hamster seines Onkels gleich zu tun und bis auf unbestimmte Zeit in den Untiefen unseres Hotelbettes zu verweilen. Ich rufe hysterisch nach meinem Mann und dem Stenz. Letzterer erklärt sich sofort bereit, heldenhaft seine Schwester zu retten. Doch ich brülle entsetzt, er solle bei uns bleiben, denn ich befürchte, auch mein zweites Kind an dieses unheimliche dunkle Monster zu verlieren. Schlimmer noch, der Stenz könnte einfach stecken bleiben. Wie schrecklich wäre es, verbrächte er seine Kindheit und Adoleszenz unter einem Hotelbett. Nicht der Mann in der Tonne, sondern der Jüngling unter dem Bett. Nicht auszudenken!

Mit Speck fängt man Mäuse und mit Giraffen Babys

Ich sehe meinen Mann und mich schon alleine nach Hause zurückkehren und in peinlicher Erklärungsnot leise vor uns hinstotternd: „Der Stenz steckt leider unter einem Hotelbett in Österreich fest und das Baby leistet ihm Gesellschaft. Ja, es ist so schade.“ Doch der Stenz, der seine Schwester wie keine andere kennt, hat die rettende Idee. „Sie liebt doch ihre Giraffe.“ „Ja“, stimmt der Mann spitzbübisch lachend ein und denkt den Stenzschen Gedanken wie folgt zu Ende: „Geben wir ihr die doch als Köder.“ Gesagt, getan: Jubilierend und frohlockend robbt das Baby in Windeseile seiner geliebten Giraffe Sophie entgegen und beißt beherzt in den Naturkautschuk. Und die Lehre der Geschicht‘: Vergiss’ die Steckdosensicherung, hütet euch vor dem Hotelbett!

Der Berg ruft!

Es ist 5:30 Uhr und das Baby erklärt den Tag voller Enthusiasmus für angebrochen. Es liegt in seinem Bettchen und imitiert seit einer halben Stunde Pups-Geräusche. Dabei wähne ich mich plötzlich nicht mehr in einem österreichischen Wellnesshotel, sondern in einem mexikanischen Dorf, das zu viel Chilli gegessen hat und nun kollektiv aufgebläht gen Himmel steigt. Nach einer halben Stunde sind des Babys Pups-Imitationen beendet und es beginnt, an seinem Reisebettchen zu kratzen wie ein resignierter Tiger nach jahrzehntelanger Gefangenschaft. Der Stenz verlässt nun auch sein Schlafgemach, in dem es bereits trotz der unwirtlichen Zeit taghell ist und klettert in unser Bett. Der Grund, er hat fürchterliche Angst. Wovor? Vielleicht vorm Zugspitz-Ungeheuer? Ich weiß es nicht. Und da das Baby nun alternierend kratzt und schreit ist für uns alle die Nacht zu Ende.

Spitze Baby-Schreie, die beste Abwehr gegen Zugspitz-Ungeheuer?

Der Plan, dass das Baby seinen großen Bruder in der Nacht vor allem Unbill beschützen und zu diesem Zweck mit ihm das Hotel-Schlafzimmer teilen sollte ging leider nicht auf. Aber ich bin mir sicher, dass da oben im Himmel irgend jemand schallend über unser Vorhaben lachte. Nachdem ich bei allen Freunden und Bekannten mit Stolz geschwellter Brust verkündet hatte, dass unser Baby seit neuestem durchschläft und ungefragt diverse Tipps zur friedvollen Nachtruhe zum Besten gab, hielt unser Zweitgeborenes seine Durchschlaf-Erfolge von zu Hause im fernen Österreich für nicht wiederholungswürdig und wachte jede Stunde auf. Daher landete das Baby letztlich doch wieder im elterlichen Schlafgemach und stand dem Stenz zur Abwehr von Monstern, Hexen und Ungeheuern leider nicht mehr zur Verfügung. Oder galten des Babys nächtlichen Schreie der Stenz’schen Verteidigung hier auf unbekanntem Hotel-Terrain? Wir werden es wohl nie erfahren.

Blaubeeren – des Bergsteigers liebste Stärkung

Doch ist es nicht so, dass richtige Profi-Bergsteiger immer im Morgengrauen die Gipfel stürmen? Es ist einfach alles eine Frage der Perspektive und wir sollten den originellen Weckgeräuschen des Babys dankbar sein. Denn der Berg ruft! Um sich optimal auf die kräftezehrende Bergtour vorzubereiten, stärkt sich der Stenz am üppigen Frühstücksbuffet mit drei Blaubeeren während sich das Baby jauchzend eine schmuckvolle Kette aus Laugenbrezel knüpft, die es für den Rest des Tages in den Halsfalten selbstbewusst zur Schau trägt. Dann sind wir bereit: das umliegende Gebirge kann von uns bezwungen werden. Vollkommen unausgeschlafen, aber trotzdem glücklich trällern wir gemeinsam „Im Frühtau zu Berge, wir zieh’n fallera“ als wir frohen Mutes dem Hotelaufzug entsteigen.

 Ballerina-beschuhte Gipfelstürmerin

Allerdings erfahre ich einen leichten Dämpfer als mich mein Mann ungläubig mustert und fragt, ob das von mir gewählte Schuhwerk für diese Bergtour mein Ernst sei. Als fröhliche Rheinländerin, die zwar in Bayern wohnt, gehören Bergtouren zugegebenermaßen nicht unbedingt zu meinen bevorzugten Freizeitaktivitäten. Und ich dachte mir beim Packen, dass Flip-Flops, Espadrilles und Co für kleine alpine Exkursionen schon irgendwie ausreichen. So starte ich, die Amateur-Bergsteigerin, mit perfektem Schuhwerk, nämlich braunen Ballerinas, das 80-prozentige Gefälle, das mit Rollsplit übersät ist. Gut, der letzte Sprunggelenksbruch ist ja auch schon wieder zweieinhalb Jahre her. Das Thermometer zeigt bereits morgens um 9:30 h stolze 30 Grad Celsius – ideale Bergwander-Konditionen also. Schade, dass mein Hut und meine Sonnenbrille noch im Hotelzimmer verweilen. Aber das bisschen Höhenstrahlung wird meinem Teint schon nicht schaden. Und so lasse ich mir meine gute Laune weiterhin nicht nehmen. Das Baby sitzt vergnügt in seinem Offroad-Turbo-Kinderwagen und erfreut sich der spektakulären Alpenkulisse und wartet gespannt auf den Höhenrausch! Es merkt nicht, wie der Mann schon nach den ersten fünf Minuten schwer zu atmen beginnt und leise vor sich hin nuschelt: „Das kann ja lustig werden.“ Der Stenz, der gestärkt durch sein opulentes Beeren-Frühstück, großzügig unseren übergroßen Wanderrucksack trägt, nimmt mich plötzlich schützend an die Hand und sagt: „Mami, ich stütze Dich, damit Du Dir nicht wieder das Bein brichst, wie beim Laternenumzug“. Es geht doch nichts über einen vierjährigen Gentleman!

Die prustende Bergkarawane schleppt sich von Serpentine zu Serpentine

Da könnte sich der Mann, der bei der zweiten Serpentine stöhnend sein Hemd vom Leibe reißt eine Scheibe von abschneiden. Nach der dritten Serpentine bittet er mich, Ballerinas hin oder her, ihn doch von hinten irgendwie anzuschupsen. Er schöbe ja schließlich unser 12 kg schweres Baby und den elefantengleichen Kinderwagen-Tross und das bei sengender Sahara-Hitze. So arbeitet sich die Profi Bergsteiger-Karawane ächzend und stöhnend von Serpentine zu Serpentine. Behände werden wir von zwei rüstigen Rentnern überholt. Ich schäme mich. Ein bisschen wenigstens. Der Stenz wirft unseren XXL-Wanderrucksack widerborstig von sich und fragt mit gesteigerter Empörung, wann denn endlich der Zauberwald in Sicht sei. Und auch für mich wäre jetzt jeder Wald irgendwie magisch und ich sehne mich nach einer Pause oder sogar der Beendigung dieser Bergtour. Immerhin kraxeln wir hier ja schon 15 Minuten quasi senkrecht die Steilwand hinauf. Es reicht mir und ich beginne im Duett mit dem Stenz zu nörgeln und zu quengeln. Der Mann, der sich an sein Workout und seine strikte Diät erinnert, schüttelt mich, den hinteren „Anschieber“ gönnerhaft ab und beginnt uns, wie ein Bergführer zu motivieren. „Kommt, lasst Euch nicht so hängen, ich seh’ schon das kleine Holzhäuschen und die Wasserspiele hör’ ich auch schon förmlich plätschern.“ Der Stenz vergisst seine Müdigkeit und trabt glückselig den rauschenden Springbrunnen entgegen. Dank unseres alpinen Coaches wird unsere Bergtour trotz aller Widrigkeiten doch noch ein voller Erfolg. Meine Bedenken, beim Abstieg von einem Bergretter per Helikopter abgeschleppt zu werden, erweisen sich als unbegründet. Auch haben wir das Baby beim kollektiven Runterrollen nicht verloren. Im Hotel angekommen, stoßen mein Mann und ich auf das Überleben unserer Familie mit einem Glas frischen Quellwasser an und stürzen uns in den warmen Solepool. Das haben wir uns nach dieser zweistündigen Tour zum Zauberwald für Kleinkinder auch so was von verdient!