Ich, die tote Taube

„Bist Du eher der frühe Vogel oder die Nachteule?“
„Ich habe Kinder, ich bin die kaputte Taube.“

Ja, genauso fühle ich mich heute, wie die kaputte Taube. In den letzten 14 Tagen habe ich 20 Zäpfchen in zwei kleine Popos geschoben – Popos, die keine Lust auf Zäpfchen hatten und diese sofort wieder loswerden wollten. Daher durfte ich nach den diversen Schmerzmittel-Gaben in Kacka-Windeln fahnden und falls ich auf schleimige Zäpfchen-Spuren stieß erneut ein „Zöfpchen“ wie es der Stenz nennt, einschieben. Außerdem habe ich Fieber gemessen, Waden gewickelt, Schleim abgesaugt, mich selbst und meine Kinder von Erbrochenem befreit und dabei keine Sekunde geschlafen. Eigentlich fühle ich mich eher wie eine tote Taube.

DER Virus, der unser Leben veränderte

Aber der Reihe nach: heute vor zwei Wochen suchte uns DER Virus heim. Es war nicht einfach irgendein Virus, es war ein Höllen-Virus, der unsere gesamte Familie lahmlegte. Es fing alles recht harmlos an, mit einem schlafenden Stenz. Ich freute mich sogar bei Ansicht dieses ersten Symptoms, da der Stenz am Tag doch nie schläft. Lieber würde er freiwillig aus dem Fenster springen als sich einfach so aufs Ohr zu hauen. Doch er schlief am Esstisch, plumps und schwuppdiwupp, einfach so ein. Und da auch das Baby schlief, genoss ich doch in meiner Naivität tatsächlich die Vorboten eines der verheerendsten Viren-Wirbelstürme, der über unsere Familie peitschte.

Ich, kurz vor der „Zöpfchen-Überdosis“

Hier einige Highlights aus meiner ganz persönlichen Krankheits-Hölle der letzten Tage: Der Stenz versteckt sich mit letzter Kraft unter dem Wäscheständer, um einer erneuten „Zöpfchen-Zufuhr“ zu entkommen und bekommt im Fieber-Wahn einen Wein-und Wutanfall. Auch das nächtliche Brüllen meines Mannes „Komm, sofort, er hat gekotzt“ gehört ganz sicher zu meinen Krankheits-Höhepunkten. Das heimische Lazarett verließ ich lediglich für Arztfahrten und Apotheken-Besuche. Und ich schwöre, noch einen Tag länger und ich hätte mir selbst eine Zöpfchen-Überdosis verabreicht.

Beruhigungs-Zäpfchen, die mich in Ekstase versetzten

Haben mich in meinen kinderlosen Zeiten Kleider, Jeans und Oberteile in Shopping-Ekstase versetzt, so ist der Höhepunkt meines Einkaufs-Zeremoniells heute der Kauf einer Mixtur aus Globuli und Schüssler-Salzen gegen Schnupfen. Meine Augen beginnen regelrecht zu funkeln, meine Hände zu zittern und mein Herz macht erregte Hüpfer als die Apothekerin mir außerdem auch noch ein Wunderzäpfchen gegen Unruhe bei Säuglingen überreicht. Mein halbes Monatseinkommen schleppe ich seit zwei Wochen in die Apotheke meines Vertrauens. Diverse Haarkuren, Wasserbälle und eine neue Freundschaft mit der Apothekerin sind der Dank für dieses finanzielle Groß-Investment.

Diese Krankheit und der damit verbundene Schlafmangel verändern meine Persönlichkeit. Und zwar nicht zum Positiven. Ich kann mich selber kaum noch leiden. Ich bin zu einem opportunistischen Zombie mutiert, der auf offener Straße wildfremden Passanten die Hucke voll heult. Auf die Frage von Opa Herbert, dem Vater einer Kindergatenbekannten, den ich flüchtig von einer Kindergeburtstags-Party kannte, breche ich schluchzend zusammen und falle ihm, ob er will oder nicht, in die Arme. Worauf er mir huldvoll einige Taschentücher reicht und mich mit den Worten „Du siehst arg mitgenommen aus, Mädchen“ zu trösten versucht.

Die Kinderärztin – meine beste Freundin!

Außerdem bin ich zu einem wankenden Fähnchen im Wind mutiert, da ich mich mit gleich zwei privaten Kinderärztinnen gut zu stellen versuche. Ich ertappe mich dabei, wie ich sie mit Blumen und Konfekt besteche und mit Komplimenten überhäufe, um die Gunst der beiden Pädiater auch zukünftig zu sichern. Denn meine Kinder erkranken bevorzugt an Feiertagen wie in diesem Fall an Pfingsten. Ich merke auch, dass ich Panikattacken bekomme, sobald der nächste mehrtägige Wellnessaufenthalt oder gar Urlaub ins Haus steht und ich mich erneut auf eine Reise begeben muss, bei der ich weiß, dass weder die eine noch die andere Ärztin physisch greifbar sein wird. Auch wenn beide mittlerweile hervorragend telefonische Ferndiagnosen stellen können.

Nix mit rausschlawinern

Eine meiner besten Freundinnen ist sich, was die Kinderplanung anbelangt noch unsicher. Sie meinte kürzlich, dass Sie sich gerne mal aus anstrengenden Situationen heraus schlawinert. Und dass das ja irgendwie mit Kindern schwierig sei. Als mich das Baby im hohen Bogen fontänenartig ankotzt und sie sich wie ein glühender Feuerball an meiner Brust anfühlt, weil sie auch am vierten Tag der Krankheit wieder über 40 Grad fiebert, muss ich an diese beste Freundin denken. Genau jetzt, in diesem Moment würde ich mich auch gerne aus der Situation herausschlawinern. Ich würde sogar alles dafür geben, einfach nicht mehr verantwortlich zu sein. Die Türe hinter mir zu schließen, peng und abzuhauen. Das wär’s jetzt. Aber meine Freundin hat leider recht, rausschlawinern ist nicht mehr. Und so stehe ich meinem Baby auch weiterhin bei. Ich wache Tag und Nacht neben seinem Bettchen und bete, dass der Virus bald vorbeiziehen werde.

Mein Leben mit einem Brustwarzenbeißer

Dabei entpuppt sich das Baby gegen Ende seiner Krankheit als eine ganz besondere Spezies der Brustwarzenbeißer aus der Gattung der Nachttrinker. Das Baby hat nämlich seit einer Woche einen einzigen kleinen Zahn. Dass man mit einem einzigen kleinen Zahn so kräftig zubeißen kann, hätte ich nie für möglich gehalten. Dabei hat sie sich, seit sie stolze Besitzerin dieses weiß-blitzenden Beißerchen ist, darauf spezialisiert am Tage zu beißen und nur in der Nacht zu trinken und zwar ständig. Oh weh, was passiert wohl bei der nächsten Krankheit? Werden wir dann alle zu Werwölfen?

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