Ich schlendere das Frühstücksbuffet entlang und fühle mich gesegnet. Was ein großartiges Hotel! Weite, Freiheit, Natur wohin das Auge reicht. Oder doch nicht ganz? Mein Blick schweift an all den Schönheiten dieses außergewöhnlichen Retreats vorbei und bleibt unvermittelt an unserem Frühstückstisch hängen, an dem meine beiden Kinder in harmonischer Eintracht vereint, den Morgen freudvoll lukullisch starten sollten. Der Mann schiebt sich währenddessen ebenfalls an den Köstlichkeiten des üppigen Buffets vorbei. Ein seltsam gedämpftes Brummen und eine nicht enden wollende Lachsalve des Stenzes lässt mich inmitten dieser friedvollen Glückseligkeit inne halten und meine inneren Alarmglocken fangen unwillkürlich an zu schrillen. Zu Recht. Denn anstatt die überdimensionale Käsescheibe mit Genuss zu verzehren, klatscht sie der Stenz seiner Schwester frontal auf’s Gesicht.
Das zarte Käseblümchen
Ich stelle mein Mango- und Himbeermousse mit ungewolltem Schmackes scheppernd zurück auf’s Tablett und lege einen morgendlichen Sprint zu unserem Tisch hin, um das Baby vorm sicheren Ersticken durch Alpenkäse zu bewahren. Doch trotz dieser eigentümlichen Gefahr und obwohl ich wirklich sauer sein sollte, muss auch ich lachen und zwar so richtig. Ich weiß, pädagogisch wieder einmal nicht wertvoll. Aber Unser Baby schaut echt komisch aus. Ein bisschen wie ein Käseblümchen. Würde ich das kleine Geschöpf auf einer der umliegenden Almen entdecken, könnte ich mir fast vorstellen, dass dieses holde Gouda-Pflänzchen eine revolutionäre Alternative für die friedvolle Gewinnung des calciumreichen holländischen Importschlagers ist. Sie könnte aber auch als Testimonial für den neuesten, bahnbrechenden Gesichtsmasken-Trend posieren.
Pandoras Büchse wird verteidigt
Nachdem ich unser Baby von der gelben Scheiblette befreie, sinniere ich kurz über das schwere Los der Zweitgeborenen. Aber papperlapapp. Das Baby scheint sich schnell von seinem Käse-Schock erholt zu haben und schleckt sich jauchzend die letzten Gouda-Reste aus den Mundwinkeln. Dabei hält es in seiner rechten Hand ein Nougat-Croissant und in der linken einen Pancake. Und zwar so fest umschlossen als handle es sich um die Schlüssel für Pandoras Büchse, die es mit geballten Kräften zu verteidigen gilt. Und weil man, mit zwei vollen Fäustchen nur schlecht die belgische Waffel greifen und zum Mund führen kann, beugt sich das Baby kurzerhand zur Tischplatte hinab und schlabbert die süße Delikatesse direkt vom feinen Tafelholz. Tischmanieren gehen anders. Aber egal. Mit zehn Monaten genießt man noch Welpenschutz, versuche ich mich selbst zu beruhigen. Überhaupt scheint das Baby heute morgen mit einem ordentlichen Appetit gesegnet. Da kam ihr das kleine Käse-Facial fast gelegen.
Das schwangere Baby
Plötzlich schreit der Stenz „Ich glaube unser Baby ist schwanger!“ Die Dame vom Nebentisch fängt nun auch an loszuprusten und erkundigt sich nach den Gründen dieser waghalsigen Vermutung. „Das ist doch ganz klar, unser Baby hat so viel Hunger, weil sie, wie meine Mama früher, für zwei isst. Außerdem hat meine Mama heute morgen zu meinem Papa gesagt: Louchen ist schwanger“. Ich verschlucke mich an meinem frisch gepressten Orangensaft und versuche für den Stenz und unsere sympathische Tischnachbarin Licht ins Dunkle dieser irren Morgen-Debatte zu bringen. „Stenz, ich habe gesagt, Julchen ist schwanger und nicht Louchen!“ Riesige Enttäuschung macht sich bei meinem Sohn aufgrund der erschütternden Zerschlagung des Nichten- bzw. Neffen-Zuwachses breit. „Ach wie schade, ich habe mich schon so auf ein neues Baby gefreut,“ erklärt er Kopf senkend und schiebt seiner Schwester beherzt ein Stück Obazda-Brezel in den Mund.
Pferdchen lauf Galopp
Doch nun ist auch genug gefrühstückt. „Hopp, hopp“, treibe ich meine Familie an. „Es ist spät und Zeit für unsere Audienz beim König!“ Denn bei dem von uns getesteten Hotel handelt es sich um ein Schloss. Und da das letzte Gespräch mit einem Hotel-Direktor durch das Stenz’sche Schweine-Gegrunze nicht ganz so professionell und erquicklich wie erhofft verlief, habe ich dieses Mal verbale Vorkehrungen getroffen. Nämlich solcherart, dass ich den Stenz auf eine gesittete Audienz beim König vorbereitete. Und oh Wunder, die Ankündigung zeigt Wirkung. Der Stenz scheint sichtlich beeindruckt und schwört im Rahmen des höfischen Tête à Têtes gutes Benehmen. Dabei gestaltet sich die erste halbe Stunde mit dem charismatischen „Aristokrat“ tatsächlich vielversprechend. Versammelt um das knisternde Kaminfeuer lauscht der Stenz voller Bewunderung schweigend den Worten des Monarchen und zeigt sich tief beeindruckt. Die einzige Unterbrechung durch den Stenz ist ein verhaltenes und verwundertes Flüstern in meine Richtung: „Mami, der König hat aber lange Haare“. Nach ca. 35 Minuten vergisst er dann allerdings seine Ehrfurcht und folgt seiner Schwester, die um die Ecke der ausladenden Chaise Longue krabbelnd verschwindet. Da auch ich gebannt den Worten des Hotel-Direktors lausche, verliere ich meine beiden Kinder für einen Bruchteil einer Minute aus den Augen. Denn der Direktor gibt gerade den ein oder anderen Schwank seiner illustren Gästeschar zum Besten. Als ich mich nach ca. 55 Sekunden wieder meiner Kinder besinne, hat der Stenz seiner Schwester den heimlich mitgebrachten Bademantelgürtel als Pferdegeschirr um den Bauch geschnallt und treibt sie im Galopp durch die Hotel-Lobby. Das Baby stolziert, durch die liebevollen Ermunterungen des Stenzes, stolz wie ein kleiner Löwe auf allen Vieren den roten Teppich entlang. Erst als der Stenz das Geschirr etwas enger schnallt, interveniere ich und eile meinem Zweitgeborenen zu Hilfe und frage meinen Sohn, was er denn da treibe? „Aber Mami, ich bin der Knecht des Königs und bring’ ihm sein Pferd!“