Ich sitze sprichwörtlich im Dunkeln. Denn seit geraumer Zeit fliegt bei uns regelmäßig im Wohnzimmer die Sicherung raus und ich starre in die Finsternis. Dabei überlege ich mir jeden Nachmittag, ob die mich umgebende Dunkelheit eventuell allegorisch zu betrachten ist. Denn finster schaut es auch haartechnisch bei uns aus. Lou hat mittlerweile Haare, die selbst einen eingefleischten Sikh zum Staunen bringen würden. Ich befürchte sogar, dass sie bald die magische Marke der in dem südchinesischen Dorf Huangluo lebenden Frauen knackt. Dort brachen die stolzen Chinesinnen mit einer durchschnittlichen Haarlänge von 1,40 Meter alle Rekorde.
Mein sechster Nebenjob: Friseurin
So ist zu befürchten, dass die Haare unserer Tochter bald ihre Körpergröße einholen. Es ist also höchste Zeit endlich zu handeln, bevor Lous Haarpracht mit einem triumphalen Paukenschlag das Rennen gegen ihre Statur gewinnt. Und auch auf meinem Haupt schaut es finster aus. Ein Friseurbesuch wäre in normalen Zeiten unausweichlich. In normalen Zeiten wohlgemerkt. Nicht im Lockdown. Daher versuche ich mich nun neben meinen Tätigkeiten als Köchin, Putzfrau, Entertainer, Lehrerin, Krankenschwester auch als Friseurin. Das ist doch kein Problem. So schwer kann das ja nicht sein!
Mama, Du bist ein Patsch!
Während ich entschlossen zur Nagelschere greife und dabei sämtliche Tiegelchen und Töpfchen vom Waschbecken fege, kommentiert meine Tochter meine Ungeschicktheit trocken mit den Worten: „Mama, Du bist ein Patsch (Tollpatsch).“ Ein gelungener Auftakt für den goldenen Schnitt, den ich gleich bravourös an den Tag legen werde. Schade nur, dass beide Kinder just in dem Moment als ich die Schere ansetze, lauthals um eine sofortige Rodelpartie bitten. Egal, was getan werden muss, muss getan werden. Dann beeile ich mich eben. Schnipp Schnapp.
Schnipp Schnapp – Das Haar ist ab
„Au weh, so viel wollte ich eigentlich nicht abschneiden. Ich wollte doch erstmal ganz sachte beginnen. Jetzt ist es allerdings zu spät. Jetzt gibt es kein Zurück mehr“, denke ich so bei mir, versuche allerdings Ruhe zu bewahren und mir nichts anmerken zu lassen. „Bist Du fertig? Mama, das hat ja gar nicht weh getan“ konstatiert meine Tochter, die sich bislang vehement gegen einen Haarschnitt wehrte, da sie die damit verbundenen Schmerzen scheute. „Ja, die eine Seite ist schon mal ziemlich kurz geworden“ antworte ich ihr mit gespielter Selbstsicherheit. „Darf ich sehen?“ kommt es neugierig zurück. „Nein, noch nicht, gleich mein Engel.“ Erneutes schnipp schnapp meinerseits gefolgt von folgender innerer Zwiesprache: „Hmm, irgendwie ist es auf dieser Seite noch ein bisschen länger. Mal schauen. Da muss ich wohl noch etwas nachjustieren. Oh, Gott, jetzt ist es links viel kürzer, viel zu kurz, ja wirklich viel zu kurz. Oh Gott. Oh Gott. Oh Gott. Oh Gott!“
Bob, die neue Trendfrisur im Lockdown
Ich habe es verdorben. Nun bloß nicht panisch werden. Und ich darf auf keinen Fall nochmal nachschneiden, wenn ich vermeiden will, dass unsere Zweitgeborene gleich einen Bob trägt. „Mamaaaa, ich will Schlitten fahren!“ schreit der Stenz. „Mama, ist es fertig? Es tut immer noch nicht weh,“ frohlockt Lou. Egal. Mut zur Lücke. Nach gefühlten vier Minuten erachte ich mein Werk als vollendet. Mein Ausflug in die Welt der Star-Coiffeure war kurz, schmerzlos und mit sehr wohlwollendem Auge betrachtet, sogar von Erfolg gekrönt. Die Haare sind auf jeden Fall deutlich kürzer. Ich habe meine Tochter gerade davor bewahrt, sich beim Stolpern über ihre eigene Mähne ein Bein zu brechen. Ich darf also ruhig ein bisschen stolz auf mich sein. Und ich rede mir sogar ein, dass ich beim Schneiden gleich auf Anhieb ein „Advanced Level“ an den Tag gelegt habe. Die Unregelmäßigkeiten sind nämlich gar keine. Das sind Stufen. Ha! Das Haar fällt dadurch einfach viel voluminöser. Das war gewollt, pure Absicht. Im Lockdown muss man sich selbst auch mal gut zureden und ermutigen. Das macht ja sonst keiner.
Ich, der Halb-Tausendsassa
Ich bin einfach der geborene Multitasker. Ich rock‘ das alles. Von wegen verzagen. Das bisschen Homeschooling, das bisschen Kochen, das bisschen Putzen und das bisschen Haare schneiden, das macht sich wirklich von ganz alleine. Schwupp und schon sind die Haare weg. Und der Stenz ist noch jung und hat keine Ahnung. Unlängst fragte er mich nämlich: „Mama, was ist ein Tausendsassa?“ „Das ist jemand, der einfach alles kann.“ entgegnete ich wie immer schlagfertig. „Aha, dann ist Papa ein Tausendsassa“ erwiderte der Stenz zu meinem großen Erstaunen. „Warum denn Papa? Und was bin ich?“ fragte ich ihn mit einer gewissen Gereiztheit in der Stimme „Du bist ein „Halb-Tausendsassa.“ Aha. Na, dann. Wenig später wollte ich sicher gehen, dass meine Tochter auf jeden Fall einmal ein Tausendsassa und kein Halb-Tausendsassa wie ich werde und fragte sie, was sie denn einmal später, gedenke zu werden. Beruflich meine ich. Sie lächelte und beugte sich liebevoll zu mir und raunte mir weise dreinblickend zu: „Mama, wenn Du tot bist und im Graben liegst, flüstere ich dir ins Ohr, was ich geworden bin.“ Na, dann. Ich muss einfach nur warten, bis ich irgendwann einmal nach dem Lockdown, in ca. 100 Jahren, im Graben liege. Bis dahin, sollte ich meine Zeit aber sinnvoll nutzen und noch ein bisschen Licht auch auf meinen Kopf zaubern. Etwas, was ich noch nie getan habe. Wünschen Sie mir Glück!
Ich müsste auch mal vieler zum Coiffeur. Wo kann ich mich anmelden, um auch weitere, so unterhaltsame „interior monologues“ zu veranlassen? das lesen hat Spaß gemacht. weiter so, ich drücke auch für das Meistern der nächsten challenge der
der HalbtausendsassaIn die Daumen und gönne ihr den Efolg