Über Siegen und Fähde

Eine Freundin erzählte mir neulich, dass ihr Sohn ihr zu Muttertag ein ganz besonderes Geschenk bereitet habe. Und zwar hatte er ihr im Auftrag seiner Lehrerin eine geheime Höhle gebaut. Welch‘ großartige Idee, welch‘ zauberhaftes Präsent! Gerade in Corona-Zeiten. Warum ist die Stenz’sche Lehrerin nicht auf diesen fulminanten Geistesblitz gekommen? Ich beneide meine Freundin insgeheim sehr um ihre Höhle. Ich will auch eine. So ein klandestines Örtchen, in das ich mich bei ohrenbetäubendem Geschrei schnell mal in Begleitung von ganz viel Wein, Chips und guter Musik verkriechen kann. Ein Bollwerk zum Schutz gegen das familiäre Chaos. Die Welt um mich herum kann in Unordnung, Dreck und Gebrüll versinken – egal, ich sitze milde lächelnd in meiner Höhle. Was muss das herrlich sein! Dabei würde ich in dieser Höhle gerne auf unbegrenzte Zeit lustig vor mich hin leben und erst wieder rauskommen, wenn jemand an der Höhlenpforte klopft und mir attestiert, dass meine Kinder zu rational denkenden Geschöpfen herangewachsen sind und ihre Gemüter nicht mehr tobenden Ozeanen gleichen, über die Hurrikans der Stufe Vier hinwegfegen.

„Mama, Du riechst mir bäh“

Heute morgen z.B. hatte ich das Gefühl, dass mindestens die große Schwester von Hurrikan Katrina von unserer Zweitgeborenen Besitz ergriffen hat. Und dass nur, weil ihr beim Öffnen des Kühlschranks ein leichter Hauch von Knoblauch entgegenwehte. Der letzte Rest an emotionaler Stabilität wich dann aus ihrem kleinen Körper, nachdem ich ihr mitteilte, dass die Himbeeren leider leer gefuttert seien. Überhaupt entpuppt sich unsere Tochter zur Zeit als äußerst sensibel, was Gerüche anbelangt. So schrie sie gestern Vormittag bei der Verabschiedung quer über den Kindergarten-Garten: „Mama bäh“. Ich versuchte ihr dennoch ein Abschieds-Bussi auf die Wange zu drücken, was sie mit einer weiteren Präzisierung und öffentlichen Charme-Offensive mit: „Mama, Du riechst mir bäh“ quittierte, sodass auch die letzte Mutter ganz hinten im Garten annehmen musste, dass ich in Sachen Körperhygiene zur Vernachlässigung neige. Mitnichten, möchte ich an dieser Stelle betonen. Trotz Corona, ich dusche täglich und putze mir oft sogar vier Mal am Tag die Zähne. Ich bin wirklich reinlich, habe allerdings am Morgen das dringende Bedürfnis, mindestens einen starken Kaffee zu trinken. Ein Fakt, der von unserer familieninternen Geruchspolizei leider für nicht gutgeheißen wird. Zum Glück riecht die Kindergärtnerin laut unserer Tochter besonders „lecker“, denn sie duftet gemäß Lou so toll nach „Desinfektmittel“. Vielleicht sollte ich mein nächstes Bad auch in diesem Zauberfluid nehmen.

Lou, die knallige Granate

Doch nicht nur Gerüche haben die Macht, unsere Tochter in einen mittelschweren bis schweren Nervenzusammenbruch zu stürzen. Auch verbale Missverständnisse können fatale Folgen für meinen Seelenfrieden und mein Gehör haben. So erklärte mir Lou auf einem Spaziergang zunächst in freundlichem Ton, dass sie gerne noch bei den „Siegen“ vorbeischauen wolle. „Welche Siegen?“ fragte ich relativ geistesabwesend zurück. „Die Siegen!“ entgegnete sie schon in etwas harscherer Gangart. Da ich ahnte, dass dieser Dialog für mich übel enden könnte, gab ich vor, ihren Befehl selbstverständlich verstanden zu haben und erwiderte ganz nonchalant: „Ja, klar die Siegen!“ Allerdings tappte ich immer noch im Dunkeln. Leider merkte das unser Kind. Denn mittlerweile schrie sie mir mit äußerster Empörung entgegen: „Nicht die Siegen, die Siegen!!!!“ Zum Glück kam die Erlösung, in Gestalt dreier munterer und milde lächelnder Ziegen just in dem Moment um die Ecke, als unsere Zweitgeborene  dabei war, sich aus dem Kinderwagen auf den Boden zu stürzen und vor Zorn wie eine knallige Granate zu explodieren. „Ja klar, da sind sie schon die fröhlichen Siegen.“ Doch nicht nur die Siegen, auch die Fähde (Pferde) haben es ihr angetan. Seit sie einmal bei einem Kindergeburtstag auf dem Sattel eines Fähdes stehen und dazu noch galoppieren durfte, erklärt sie mir allabendlich, dass morgen wieder einmal ihr Geburtstag sei und sie bitte auch zu einer Fähde-Party einladen wolle. Auch könne sie heute Abend, so kurz vor ihrem täglich wiederkehrenden Ehrentag nur mit der heiß geliebten „Fähde-Flasche“ einschlafen. Dabei findet sie im Gegensatz zu mir, die ich die weibliche Hysterie um die mähnigen Huftiere nie nachvollziehen konnte, alles an Fähden faszinierend, sogar das Apfelkacka (Pferdeäpfel), wie sie mir unlängst erklärte.

Wenn der Pinguin zum Mingo (Flamingo) wird

Nachdem ich ihr, ihren neuen Fetisch, die Fähde-Flasche schnell und wehenden Haares aus der Küche apportierte, gelang es Lou das Einschlaf-Ritual wieder in die Länge zu ziehen. So fing sie damit an,  dass sie jetzt nicht mehr mit mir kuscheln könne, denn ich rieche ihr irgendwie wieder einmal bäh. Als mein Sohn mich dann ermuntern wollte, ein bisschen Parfum aufzutragen, damit ich das olfaktorische Wohlgefallen unserer Tochter erlange, reichte es mir. Ich rief nach dem Mann, der das Lullaby-Ritual zur Zeit mit mehr Geduld als ich realisiert. Dabei stolperte ich beim Verlassen des Kinderzimmers aus Versehen über diverse Rucksäcke, Taschen und Täschchen, die Lou schon vor Wochen akribisch gepackt hatte. Denn sie will ja gerüstet sein für den bevorstehenden Urlaub im „Fähde-Tel“ (Pferde-Hotel), dem sie nach der langen coronabedingten Urlaubs-Abstinenz mit großer Vorfreude entgegensieht. Doch nicht nur Fähde, auch Pinguine versetzen Lou momentan in einen Zustand größter Euphorie, denn „die sind so schön rosa“. Ach so, vielleicht verziehe ich mich vor unseren „Fähde-Ferien“ einfach noch ein Weilchen in meine Höhle und komme erst wieder raus, wenn ein rosa Pinguin vorbeifliegt.

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