Tzüüüs! Hilfe unser Kind ist weg!

„Eltern vergessen fünfjähriges Kind nach Rückkehr aus dem Urlaub am Flughafen“, so titelte unlängst ein Online Magazin. „Was für Anfänger!“ hätte ich früher empört gedacht. „So was kann doch nur Schwachsinnigen passieren!“ Ich bin mir sicher, so oder so ähnlich wäre mein leichtfertiges Urteil gewesen, bevor für mich die alles verändernde Mama-Ära angebrochen ist. Doch seit ich Mutter einer Tochter mit ausgeprägtem Freiheits- und Wandertrieb bin, weiß ich, dass so etwas passieren kann. Zwar vergessen wir unser Kind nicht unbedingt am Flughafen. Aber wir verlieren es hin und wieder. So wie wir unser Handy ab und zu verlegen, verlegen wir in sicherer Regelmäßigkeit auch unsere Tochter oder besser gesagt, sie verlegt sich selbst. Das muss irgendwie genetisch bedingt sein. Denn schon mein Bruder ging früher als Dreijähriger in einem amerikanischen Vergnügungspark verloren. Seltsamerweise waren es nicht meine Eltern oder ich, die sein Verschwinden bemerkten, sondern eine befreundete Familie. Irgendwie kamen wir unseren Freunden, kurz vor der Abfahrt aus dem Kinderparadies, so vor unserem Mietauto stehend, zu wenig vor.  Und genau wie damals meine Eltern, befinde auch ich mich allzu oft in panischer Suche nach meinem Kind. Und dass obwohl mir immer wieder Attribute einer Helikopter-Mutter attestiert werden. Es ist unglaublich, aber seit sich Louloubelle einigermaßen sicher auf zwei Beinen fortbewegt, ist ihr erklärtes Ziel, die Welt zu erkunden und ihre Lieblings-Floskel lautet: „Tzüüüss“ – was für Eingeweihte so viel wie „Und tschüs“ bedeutet.

Ready for Boarding to Reykjavik

Allerdings verabschiedet sie sich nicht immer formvollendet, sondern löst sich gerne auch mal ganz ohne Ankündigung in Luft auf, ganz wie das weiße Kaninchen im Zauberhut. Das erste Mal durften wir Ihre magischen Fähigkeiten des Vaporisierens am Flughafen von Cagliari bestaunen. Während ich mir eine kurze Verschnaufpause vor dem Abflug auf der Toilette gönnte, ging der Mann durch die Hölle. Denn Louloubelle fand am heillos überfüllten Airport Gefallen darin, sämtliche Ständer mit folkloristisch-italienischen Souvenirs umzustoßen. Dabei hatten es ihr die gehäkelten Topflappen, Schlüsselanhänger und bunten Flamingo Magnete besonders angetan. Und während der Mann noch dabei war, einen der vielen umgeschmissenen Nippes-Ständer wieder aufzurichten, machte sich unser Kind frohen Mutes aus dem Staub. Erst die Shop-Besitzerin machte meine bessere Hälfte darauf aufmerksam, dass nicht nur eine große sardische Salami in ihrer Auslage fehlte, sondern scheinbar auch unsere Tochter. Dass sich just zu diesem Zeitpunkt ganz Europa in unserer Abflughalle versammelte, machte das Wiederauffinden unseres Kindes nicht einfacher. Glücklicherweise konnte der Mann die kleine Ausreißerin samt ihrem Salami-Proviant dann gerade noch vom Boarding einer Maschine nach Reykjavik abhalten. Die italienische Hitze war aber auch kaum auszuhalten, da hätte sich ein kleiner Abstecher ins kühle Island sicher gelohnt!

Abrakadabra Verschwindibus

Keine Ahnung, was sich unsere Tochter bei ihren Alleingängen durch die Welt so denkt. Bei unserer letzten längeren Reise in Südtirol wurde ihr vielleicht der familiäre Packstress und die Hektik der bevorstehenden Abreise ins nächste Wellnesshotel zu viel. Denn während ich gerade unsere sieben Milliarden Reiseutensilien in ungefähr drei Millionen Koffer, Rucksäcke und Beutel verstaute und vertieft dem Gedanken nachhing, wie einfach so ein Hotelwechsel doch früher in kinderlosen Zeiten vonstatten ging, klopfte es plötzlich an unserer Hoteltür. Vor mir stand eine Dame mittleren Alters, die mich zu meiner großen Überraschung bat, meine Tochter in ihrem Bad abzuholen. „Ihre Tochter ist entzückend, aber wissen Sie, wir müssen jetzt wirklich los, wären Sie daher so lieb und kommen kurz rüber?“ Hoppla, so alt war die Dame doch auch wieder nicht, dass sie schon erste Anzeichen von Senilität aufwies, oder doch? „Entschuldigen Sie, aber da müssen Sie uns verwechseln! Meine Tochter spielt im Wohnzimmer mit unserem Sohn, sehen Sie doch!“ Oder sehen Sie eben auch nicht. Während der Stenz seinen Füßen gerade ein Schaumbad im Bidet des Hotelbades angedeihen ließ, fehlte von unserer Tochter auch nach längerem Suchen jede Spur. Allerdings stand die Terrassentür sperrangelweit offen. So ist unsere Tochter, die sich wohl nach etwas Ruhe vom familiären Chaos sehnte, über unsere Terrasse in das nachbarliche Hotelzimmer getürmt, um sich dort vom liebenswerten älteren Ehepaar mit Schokoladen-Drops füttern zu lassen. Jedenfalls hätte jeder Hamster beim Anblick ihrer prall gefüllten Backen einen Neid-Anfall bekommen. Und weil es so schön bei den Nachbarn war, ließ sie sich nur schwer von einer Übersiedlung zurück zu uns überzeugen. Ganz wie der gestresste Hund einer Freundin mit drei lauten Kindern, der sich immer zum Schlafen zu den ruhigen Rentnern gegenüber verdrückt, genoss meine Tochter ihre kleine kulinarische Verwöhn-Auszeit ebenfalls sichtlich.

„Maus“ und „Muhs“ nehmt Euch in Acht!

Und auch zu Hause, unternimmt mein Zweitgeborenes zuweilen gerne mal abwechslungsreiche Exkursionen. So schleicht sie sich immer wieder unbemerkt aus unserem Haus, um im Garten getigerte „Maus“ beim Mäusefangen zu stören, sich an glückliche „Muhs“ auf der Nachbarwiese ranzupirschen oder erwartungsfroh vor der Haustüre ihrer Freundin zu stehen. Sie ist unternehmungslustig und ich habe schwache Nerven. Daher werde ich zukünftig wohl unsere Haustür mit Schloss und Riegel versiegeln und für alle weiteren Reisen, da besorge ich mir auf Anraten einer Freundin ‘nen Kinderrucksack mit `ner Leine dran. Das klingt hart, aber ich will sicher gehen, dass sie beim nächsten Mal nicht doch den Flug nach Reykjavik erwischt!

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