Der Mann und ich verstecken uns gerade hinter den Himbeerbüschen in der hintersten Ecke unseres Gartens und machen uns im Klandestinen über einen dicken fetten Blaubeer-Muffin her. Ein wunderbarer Blaubeer-Muffin. Mit ganz viel Crumble. Der letzte Muffin, den der Mann heute kurz vor Ladenschluss bei seinem Beutezug durch den deutschen Einzelhandel auftreiben konnte. Leider. Schon beim bloßen Anblick lief uns beiden das Wasser im Mund zusammen und uns war klar, dieser eine köstliche Muffin würde in seiner vollen Pracht ausnahmsweise mal nur zwischen uns beiden geteilt. Beim schnellen Verschlingen kommen wir uns vor, wie zwei hungrige Löwen, die während der letzten Dürre um ein Haar verendet wären. „Schnell, sie kommen, ich wisch‘ Dir noch die Krümel aus den Mundwinkeln und hör‘ bloß mit den Kaugeräuschen auf, sonst sind wir erledigt!“ zische ich panisch dem Vater meiner Kinder entgegen, während mir eine dicke Blaubeere unzerkaut im Halse steckt. „Was habt ihr gerade gegessen?“ Du meine Güte, der Stenz klingt wie ein mittelalterlicher Inquisitor und wir schauen so bedröppelt aus der Wäsche als wären wir gerade aufgrund von Ketzerei zur Hinrichtung verurteilt.
Der Zauber-Koffer, das himmlische Gastgeschenk, das durch den Nabel kommt
Dabei hatte ich heute wirklich einen herausfordernden Tag und hätte mir, wie ich finde, den letzten Blaubeer-Muffin mehr als redlich, sogar alleine verdient. Denn mein Morgen begann bereits mit einem Gespräch der besonderen Art: „Mama, wie konnte Louloubelle mir eigentlich den Zauber-Koffer mitbringen als sie geboren wurde?“ Wie hat sie das geschafft, mit Zauberhut, Zauberhandschuhen und Zauberstab aus dem Bauchnabel zu schlüpfen?“ Als Hintergrundinformation sollte der werte Leser wissen, dass unsere Tochter ihrem Bruder zum Auftakt ihres Erdendaseins einen Magier-Koffer aus den himmlischen Gefilden mitbrachte. Quasi als aufmerksames Gastgeschenk für eine immerwährend gute Bruder-Schwester-Beziehung. „Hmm, das ist eine hervorragende Frage.“ Während ich mich diesen Satz sagen höre, überlege ich mir, ob ich jetzt so vor dem ersten Kaffee Lust auf ein sanftes Aufklärungsgespräch habe. Ich habe keine Lust. Der Stenz liebt es an den Weihnachtsmann zu glauben, warum soll er dann nicht auch noch ein bisschen an dem Gedanken festhalten, dass seine liebreizende Schwester keine Kosten und Mühen gescheut hat und sich samt Magier-Koffer durch den Bauchnabel quetschte. Und während ich so langsam zu dem Schluss komme, dass ich ohne Koffein erstmal jegliche Aussage verweigere, erklärt sich der Stenz auf wundersame Weise das geschwisterliche Mitbringsel selbst. „Mama, ich glaube, Louloubelle ging in Deinem Bauch extra für mich einkaufen“. Es geht doch nichts über eine blühende Phantasie. „Ja, genau so war es“ höre ich mich verlogen sagen und schlürfe ein wenig schuldbewusst an meinem Kaffee.
„Du hast so wunderschöne Glubschaugen…“
Im Laufe des Tages nehmen meine Schuldgefühle dann doch zu und ich kläre meinen Sohn darüber auf, dass seine Schwester nicht wirklich aus dem Bauchnabel kam. Als er den wahren Ursprungsort unseres Wonneproppens erfährt, entgegnet er vollkommen entgeistert: „Ach Mama, erzähl doch bitte keinen Quatsch! So was Komisches habe ich ja noch nie gehört.“ Doch manchmal muss die Wahrheit einfach sein, so grotesk sie für einen Fünfjährigen auch anmutet. Und nach mehrmaligem Insistieren, dass das tatsächlich die Wahrheit sei, steckt sich der Stenz ein neues sehr ambitioniertes Ziel: „Mama, wenn ich groß bin, will ich auch, dass aus meinem Pipimäuschen ein Baby kommt.“ Na dann. Das nennt man wohl eine erfolgreiche Gesprächsentwicklung. Bei so viel Überraschendem, konnte die Frage, wie seine Schwester im Bauch zum Zauberkoffer kam, bis auf Weiteres unbeantwortet bleiben. Die Hauptsache ist doch, dass sich die beiden heiß und innig lieben. Als Zeichen seiner immensen Zuneigung, machte der Stenz seiner Schwester diesen Sommer ein besonders charmantes Kompliment: „Ach Louloubelle, Du hast so wunderschöne Glubschaugen, die sind wirklich phantastisch.“ Dabei richtete er dieses Bonmot gerade zu der Zeit an seine Schwester, als Özil in aller Munde war. Nicht ganz so gut wie unsere Tochter mit dem Stenz, versteht sich der Freund meines Sohnes mit seiner großen Schwester. Auf die Frage, ob er denn von seiner älteren Schwester viel Playmobil oder Lego erbe, entgegnete er nur knapp: „Ne, von der bekomme ich nur alte Kleider oder Schläge.“
Fernsehen macht dumm!
Bei dem Gedanken an diese furchterregende „Erbschaft“ muss ich am Abend unwillkürlich lachen, während ich leise auf Zehenspitzen vom Kinderzimmer zum Fernseher schleiche. Nicht aber ohne vorher noch einen kleinen Umweg in die Küche einzulegen. Ich schließe alle Türen und gehe vor dem Fernseher meiner Sucht nach Transfetten ungehindert nach. Dabei versuche ich möglichst leise mit der Chips-Tüte zu rascheln. Leider vergeblich. Der Stenz biegt plötzlich um die Ecke und wirft mir wutentbrannt entgegen: „Mama, Du machst es Dir hier gemütlich, dabei musst Du doch warten bis ich eingeschlafen bin. Und überhaupt wirst Du vom Fernsehen schauen ganz dumm!“ „Aber ich gucke doch einen französischen Film mit Untertiteln, davon wird die Mama schlau!“ entgegne ich matt, während ich den Fernseher ausschalte und meinem abendlichen Dienst nachkomme, am Stenz’schen Bett Wache zu halten.
Achtung, Achtung:
An alle angehenden Eltern da draußen, bevor Euer Baby aus dem Bauchnabel schlüpft, esst so viele Muffins wie ihr könnt und schaut Euch Eure Lieblings-Serien in Endlos-Schleife an. Denn ganz bald ist Schluss damit!