Ich sitze auf dem Rücken eines Keilers und galoppiere in rasender Geschwindigkeit von einem Viertel Stundenkilometer durch den Wald und erfreue mich am glücklichen Glucksen meiner Tochter, den flinken Eichhörnchen, die himmelabwärts die Bäume herabstürzen und den Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg wärmend durch die Waldlichtung in mein Gesicht bahnen. Dabei stellt sich mir die Frage, ob ich genauso bekloppt ausschaue, wie der Vater da drüben, der ebenfalls mit seinem Sohn auf dem Schoß auf dem wilden Borstentier durch den Wald flitzt. Louloubelle hält die Wildschweinohren fest umschlungen und möchte nicht runter von unserem widerborstigen Gesellen, der stoisch auf Schienen den Wald durchkämmt. Auch die rote Ampel und das „Hier absteigen“ Schild lassen sie vollkommen kalt. Und da meine Tochter sehr laut schreien kann, ich aber schon einen leichten Hörsturz in der Hütte des alten Mc Donald erlitten habe, gebe ich nach. Und ich stelle mich wieder in der Schlange an, um ein weiteres Mal auf dem Rücken des Wildschweines (mittlerweile die zehnte oder elfte Runde) durch den pittoresken Forst zu rasen. Denn ich befinde mich im örtlichen „Märchenwald“ und finde es zu meinem Erstaunen ganz großartig.
VOrsicht: hinterlistiges eichhörnchen
Schon der Beginn unserer Exkursion erweist sich als prickelnder Spaß. Denn heute bin ich seit Jahrzehnten das erste Mal wieder Achterbahn gefahren. Ich kann es kaum glauben. O.k. zugegeben, es ist keine Achterbahn, die einem Höllenritt gleicht und bei der man kopfüber ins speiüble Nichts fällt. Nein, es ist eine Eichhörnchen-Achterbahn, die ihrem flinken Namensgeber alle Ehre macht. Eichhörnchen klingt harmlos, aber ich möchte betonen, dass das Ding wirklich durch die Kurven fetzt. Es fetzt sogar so sehr, dass es dem Stenz kurzzeitig die Sprache verschlägt. Ein Zustand, der äußerst selten bei meinem Sohn vorkommt. Bei mir übrigens ebenfalls. Und so klammern wir uns beide tonlos aneinander. Wobei das Gesicht des Stenzes gar nicht gut aussieht. Er schaut aus wie ein rotwangiger Sumo-Ringer, der seit Stunden die Luft anhält. Oh Gott, wie konnte ich bloß so blöd sein und mit ihm diese Fahrt unternehmen? Er wird ersticken. Vielleicht ist er ja auch klaustrophobisch? „Mama, ich will jetzt sofort aussteigen“ wirft mir mein Kind in der ersten infernalen Kehre verbal entgegen. Dabei erinnert er mich an einen Luftballon, bei dem die Luft binnen Sekunden rauszischt. Na wenigstens kam er jetzt mal zum Luft holen, was ein klein wenig zur Entspannung seines Gesichtsausdrucks beiträgt. Aber wirklich nur ein klein wenig. Von wegen kreidebleich, puterrot ist er immer noch. Die Lage verbessert sich auch nicht wirklich durch den adipösen Kevin, der uns von hinten ins Ohr plärrt: Yeah, bei der zweiten Runde wird’s noch schneller, das ist so geil!“ Oh man, wie können die so eine Achterbahn bloß für Vierjährige zulassen? Warum hat uns niemand gewarnt? Ich war einfach unaufmerksam. Denn das Schild „Schreien verboten“ kurz vor dem Einstieg hätte mich schon stutzig machen sollen. Auf welcher Achterbahn ist denn Schreien verboten? Und überhaupt, warum verpassen Sie diesem monströsen Gefährt keinen Teufelskopf oder eine achtgesichtige Drachen-Visage? Eine Eichhörnchen-Achterbahn bei der schreien verboten ist, ist im höchsten Maße unseriös und irreführend und ein klarer Fall für den Verbraucherschutz! Leider fällt es mir schwer, im Geiste einen Beschwerdebrief zu verfassen, da mir der Fahrtwind so sehr ins Gesicht bläst, ich ein leichtes Übelkeitsgefühl in der linken Magengrube verspüre und mein Sohn wieder mal mit dem Atmen aufgehört hat. Ich rufe ihm ermunternde Worte zu: „Du machst das so toll, gleich ist es vorbei! So mutig bist Du“. Und tatsächlich nach nur noch vier Himmels-Serpentinen, kommt das heuchlerische Eichhörnchen endlich zum Stillstand und spuckt die Menschenmassen mit einem finalen hinterlistigen Seufzer in die Freiheit aus. Ich wanke endlich auf sicherem Boden und umarme meinen Sohn inniglich. Wir haben überlebt ganz ohne uns zu übergeben. Ich bin euphorisch. Er umarmt mich mit Stolz geschwellter Brust zurück und platzt vor Freude: „Mami, ich bin Achterbahn gefahren!“
Torkelnde Schnapsdrossel auf Entzug und fragwürdige Eis-Kreationen
Doch in so einem Märchenwald tummeln sich nicht nur für Menschen mit Höhen- und Geschwindigkeitsangst gewisse Gefahren. Seit Betreten des Vergnügungsparks lebe ich in der ständigen Angst, eines meiner Kinder im Gewusel zu verlieren. Dabei torkelt und wankt Louloubelle nach unzähligen Ausritten auf Keilern, Schimmeln und Miniatur-Igeln wie eine blinde Schnapsdrossel auf Entzug. Die Richtung in die sie torkelt ist leider immer diametral zu dem von uns gerade eingeschlagenen Weg. Weitere ernst zu nehmende Herausforderungen sind die zahlreichen Eis-Kioske und Schlangen vor den jeweiligen Attraktionen. Dabei liefern der Stenz und sein Freund heute den Beweis, dass unersättlicher Eis-Konsum nicht unbedingt von Außentemperaturen abhängt. Denn während mir bei gefühlten drei Grad Celsius diverse Gliedmaße abfrieren, kollabieren die beiden Jungs vor jedem Eis-Stand, der Fata Morganagleich in fünf Meter Abständen erscheint, und verzehren sich nach einer aufputschenden Cola-Mezzo-Mix Kaltspeise. Welcher Wahnsinnige hat sich so eine Eiskreation ausgedacht? Leider trifft mein alternativer Vorschlag doch stattdessen ein leckeres Milcheis zu wählen auf taube Ohren. Die vielen Justins und Shayennes, die schmatzend an ihrem Cola-Mezzo-Mix-Eis kleben, lassen meine Eis-Alternative noch absurder erscheinen. „Wir wollen aber das Cola-Eis!“ mault es mir unisono entgegen. Der Kompromiss kommt dann als ähnlich schauerliches Kaktus-Eis daher.
Hinten anstellen Fehlanzeige oder Kollaps durch Warten
Doch der nächste Zusammenbruch naht vor der Schlange des Eisenbähnchens, mit dem wir uns über die infrastrukturellen Gegebenheiten dieses verwunschenen Vergnügungsparks, einen Überblick verschaffen möchten. Denn die Tochter meiner Freundin sieht es partout nicht ein, sich hinten an der Menschenschlange anzustellen, wenn sie doch ganz vorne viel schneller ans Ziel kommt. Völlig perplex sträubt sie sich gegen das nach hinten Tragen ihrer Mama und erleidet kurzzeitig einen leichten Nervenzusammenbruch. Und sie ist nicht die einzige. Überall kollabieren Zweijährige auf herzzerreißende Weise. Ihre Zweifel an der Sinnhaftigkeit von Schlangen stürzen sie in veritable Existenzkrisen. Auch der Stenz versteht es nicht, warum er nach nur einer Fahrt aus seinem roten Cadillac wieder aussteigen soll, um sich dann erneut an der langen Schlange anzustellen. „Aber Mami, warum kann ich nicht einfach weiterfahren, wenn ich doch eh schon sitze?“ Tja, wo er Recht hat, hat er Recht! Logisch ist das nicht.
Nostalgische Drehungen in die Unendlichkeit
Zum Glück gibt es noch das kleine nostalgische Tier-Karussell, das unser Nachwuchs geballt in Beschlag nimmt. Hier dürfen sie sich quasi in die Unendlichkeit drehen. Und das machen sie auch stundenlang. Herrlich. Louloubelle sitzt glücklich im Schwan neben ihrem Bruder, der beschützend die Hand um sie legt und ihre Stirn küsst. „Ich pass‘ auf Dich auf kleine Schwester“ flüstert er ihr leise ins Ohr. Und ich? Ich werde plötzlich ganz ruhig. Einmal wieder den Fahrtwind bei einer Achterbahn im Gesicht spüren, das glückliche Grunzen meiner Tochter auf dem Wildschwein-Rücken hören und die chevalereske Attitude des Stenzes mitansehen, dieser Ausflug hat sich gelohnt – was ein fabelhaft satter Tag!
Wunderbar!!!! Man sitzt quasi mit auf dem Eber!!!
Ich freue mich über jede neue Familienepisode.
Weiter so!
Es geht eben nichts über Elternglück nach dem bewährten Prinzip „ Humor ist, wenn man trotzdem lacht“ und bereit ist, diese Erkenntnis auf selbstironische Weise mit anderen „Elterndienstleistern“ zu teilen, gleichzeitig dokumentierend, dass Kinder bedeuten, das Leben und die Welt nicht bierernst zu nehmen. Ich habe die Glosse mal wieder genossen und entwickle mich zunehmend zu einem Fan dieser Wellnessmama, ihres Stenz‘ und Louloubelle‘s