Lost in Translation?

Louloubelle orientiert sich, was ihre Sprachambitionen anbelangt, sehr stark an der Tierwelt. Eine Amsel singt ja auch den ganzen Tag piep, piep und verleiht ihrem Gesang durch die verschiedenen Tonlagen eine ganz besondere Bedeutung. Genau wie die Kuh oder der Hahn. Beide glänzen nicht unbedingt durch ein breit gefächertes Sprach-Repertoire. Muh und Kikeriki sind für ihr Überleben absolut ausreichend. Und meine Tochter, die pfeift bislang auf einen komplexen hypotaktischen Satzbau und erfreut sich ebenfalls an der Einfachheit ihrer Satzkonstruktionen. „Keep it simple“ könnte ihre Devise lauten. So orientiert sie sich beim Sprechen ganz vorbildlich an ihren Lieblingstieren und schafft es immer wieder, virtuos durch die unterschiedlichsten Intonationen der Urlaute „Mama“ oder auch „E-Mama“ ihre Wünsche präzise zu äußern. Ein laut geschrienes „E-Mama!“ mit dem befehlshaften Deuten auf Haferflocken meint so viel wie: „Lass sofort mein Frühstück rüberwachsen, aber pronto!“ Durch das Beherrschen verschiedenster Tonlagen und mit ein wenig pantomimischen Geschick kommt man schließlich auch ans Ziel.

Aus Zwerg mach‘ Riese

Und sollte sich der Stenz ihr kleines Podest schnappen, das im Badezimmer zum Zwecke der Kindererhöhung bereitsteht, gebietet ihm ein donnernd gebrülltes „Mama“ sofort Einhalt und weist ihn an, auf der Stelle ihren wertvollen Besitz loszulassen und zurückzugeben. Gerade bei diesem Podest versteht unsere Tochter keinen Spaß. Es ist aber auch zu schön, kurzzeitig das Zwergen-Dasein zu verlassen und durch Besteigen des Podestes plötzlich auf magische Weise zu wachsen, sodass man sich beinahe auf Augenhöhe mit dem großen Bruder befindet.

Formvollendete Grußformeln à la „Hawa und Süs“

Louloubelle weiß genau, was sie will und noch viel mehr, was sie nicht will. Doch „Mama“ wird nicht nur zur sprachlichen Krisenbewältigung verwendet. Es dient in erster Linie als zärtlicher Kosename für alles, was unserer Tochter lieb und teuer ist. Unlängst entdeckte sie Oma und Opa auf einem Foto. Die Freude war unbändig und ging mit aufgeregten „Mama“-Jauchzern einher. Doch trotz ihres bislang etwas einfältigen Wortschatzes können wir Ihren individuellen Sprachduktus hervorragend interpretieren. Also kein bisschen „lost in translation“. Glücklicherweise gesellte sich zum vollmundigen „Mama“ vor nicht allzu langer Zeit ein nicht minder hinreißendes „Babba“. Hin und wieder überrascht Louloubelle uns sogar durch gänzlich neue Kreationen wie die freudvoll ausgesprochene Willkommensgeste „Hawa“, wenn ein Besucher unser Haus betritt. Da wir nicht verwöhnt sind, brechen wir bei diesem „Hawa“ regelmäßig in Jubelschreie aus, während unsere Gäste nur Bahnhof verstehen. Ihr Ohr ist einfach nicht so geschult wie unseres. „Hawa“ bedeutet ganz klar „Hallo“. Genau wie „Süs“ zur formvollendeten Tschüs-Verabschiedung herhalten muss. Überhaupt habe ich das Gefühl, das mit dem Frühling ein wenig Fahrt in die Sprachentwicklung meiner Tochter kommt. Natürlich nur in Maßen. So lässt sie seit kurzem unser Herz durch ihre höfliche Danksagung „dada“ hüpfen. Wie wundervoll, unsere Tochter setzt bei ihrer Semantik gekonnt Prioritäten und legt Wert auf Danke und Bitte. Zugegeben, an dem „Bitte“ müssen wir noch arbeiten. Aber gut Ding braucht eben Weile. Kommt Zeit kommt Rat. Und bis dahin verstehe ich das jammernde „Mimimimimimi“ meiner Tochter als Interims-Bitte.

Geschmeidige Stimme dank Kreideverzehr

Man sollte beim Sprechen ja auch nichts überstürzen. A propos überstürzen, kürzlich war der anderthalb jährige Freund von Louloubelle bei uns zu Besuch und überraschte mit imposanten Aussagen wie „Darf ich bitte Brezel haben?“ Rutschen, jetzt!“ Wahnsinn, wie eloquent der Junge ist, der geht sicherlich mal in die Politik.  Aber davon lassen wir uns nicht einschüchtern. Mozart soll ja bekanntlich sehr lange geschwiegen haben, bevor er das Sprechen begann. Vielleicht ein Zeichen seiner besonderen Begabung? Also keine Panik, unsere Tochter ist wahrscheinlich nur besonders schlau. Vielleicht möchte sie auch einfach noch ein wenig an ihrer Stimme feilen, bevor sie sich in ganzen Sätzen zum Weltgeschehen äußert. Ganz so wie es die großen Gesangs-Genies regelmäßig tun. Dieser Geistesblitz ereilte mich gestern, als unsere Zweitgeborene Gedanken verloren in ein großes Stück Straßenmalkreide biss, während der Rest der Familie im Garten werkelte, säte und zupfte. Ganz nach dem Motto: Verzehr von Kreide ölt die Stimmbänder.

Hilfe, Vermisstenmeldung!

Aber Hauptsache unser Kind versteht uns. Und das tut es. Auf das Rufen „Louloubelle Zähne putzen“ verschwindet sie stets wie ein geölter Blitz in den Weiten des Universums. Vernimmt sie allerdings die leisen schokoladengeschwängerten „Hmm-Laute“ ihres Bruders aus der Küche, rast sie antilopengleich zur Futterstelle, um in die verzückten „Hmm-Töne“ mit einzustimmen. Nur gestern Vormittag, da wollte sie partout nicht hören, als ich gerade für eine halbe Minute vertieft in das Heidi Klum Discounter Sortiment versank. (Ich weiß, wie peinlich ist das denn?!) Da machte sich Louloubelle nämlich heimlich still und leise aus dem Staub. Nach dieser Erfahrung weiß ich, dass es einfacher ist, eine Nadel im Heuhaufen zu finden als wandelnde 80  Zentimeter zwischen Kühlregalen und Warenfächern aufzuspüren. Zum Glück verfüge ich über ein lautes Organ und mein löwenartiges Gebrüll durch die Weiten des Discounters zeigte Wirkung. Eine fröhliche Rentnerin bot der kleinen  Ausreißerin Geleit und führte sie Gott sei Dank zu mir zurück. Und da war er wieder der quietschvergnügte Urlaut „Mama!“ der mir strahlend entgegen hüpfte. Also, not lost in translation but in supermarket.

3 Antworten auf „Lost in Translation?“

  1. Das liest sich ja mal richtig super! Eine Mama, die sich toll ausdrücken kann, keine Schreibfehler macht und sogar das eine oder andere Fremdwort eingestreut hat. (Dieser Wortreichtum der Mama und ihr Geschick haben das Kind bestimmt erschlagen und zum sprachlichen Minimalisten gemacht.. hihi.. Vorerst.. ) Das hat mir als Mit- Mama jedenfalls richtig Spaß gemacht zu lesen.

    1. Liebe Susanne, vielen Dank für Dein nicht minder eloquentes und lustiges Feedback, das mich kräftig lachen ließ.
      Heute hat meine Tochter uns beim Anblick eines Esels auf einem Bauernhof doch tatsächlich mit einem neuen Wort, nämlich „I-AAAA“ verblüfft. Wir waren allesamt außer uns vor Freude! Die Zeit des „sprachlichen Minimalismus“ scheint also bald hinter uns zu liegen und wir nähern uns in Riesenschritten einer neuen Ära. Es bleibt spannend. Und ich freue mich sehr, wenn Du hin und wieder bei der „Wellness Mama“ vorbeischaust.
      Viele Grüße aus Südtirol und nochmals tausend Dank für Deine motivierenden Zeilen.
      Andrea

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