Auf dem Sprung oder toi, toi, toi!

Ich bin momentan so produktiv wie ein narkotisierter Blinddarm-Patient. Und das ist schade. Denn ich hätte eigentlich so gar nichts gegen einen straff organisierten Bürotag. Am besten mit einer Menge messbarem Output am Abend. Das wäre großartig. Denn mein Job macht mir Spaß. An To- Do Listen auf meinem Schreibtisch mangelt es auch nicht. Aber ich „arbeite“ im Home-Office, habe zwei Kinder und da ist das mit dem messbaren Output so eine Sache. Denn ich bin irgendwie immer auf dem Sprung.

Knusper, knusper Knäuschen, wer läuft da so allein zum Kindergartenhäuschen?

Das fängt schon morgens an: da springe ich wie ein australisches Känguru unter Zeitdruck mit dem Stenz im Beutel schnell zum Kindergarten, bevor ich dann wie von der Tarantel gestochen wieder zurückspringe und zu Hause einen kleinen Beuteltausch vollziehe. Die Tochter ist jetzt nämlich dran ins Auto verfrachtet zu werden, damit ich sie unter Jubelschreien zur Tagesmutter chauffieren darf. Nach Abgabe der Tochter ist mein Beutel zwar leer und manche mögen meinen, dass jetzt der produktive Teil des Tages beginnen könnte. Doch mitnichten. Denn es ist Montag Morgen und in unserem Kühlschrank herrscht gähnende Leere. Daher springe ich wie ein wild gewordener Flummi noch schnell zum Einkaufen und höre dabei unablässig so ein unangenehmes ticken im Hintergrund meines Kopfes: tick-tack, tick-tack. Die Zeit läuft, während ich die Orangen in den Einkaufswagen lege, zähle ich schon die Minuten, die mir bis zum Abholen der Sprösslinge bleiben und wäge gedanklich ab, ob es sich überhaupt noch lohnt, den Computer zu Hause anzuschalten. Wie habe ich das damals als Kind bloß überlebt? Da war niemand, der mich morgens zum Kindergarten fuhr oder gar abholte. Meine besten Freunde und ich waren uns tatsächlich auf dem Weg zum Kindergarten selbst überlassen. Ohne platt gefahren, gekidnapped, von warzigen Hexen vergiftet, von einem Dachziegel erschlagen oder plötzlich vom Blitz getroffen worden zu sein. Sogar das Abenteuer Turnen und Blockflöten-Unterricht beging ich im Alleingang auf meinen zwei Beinen. Unsere Kinder jedoch sind diesen unermesslichen Gefahren nicht mehr gewachsen. Da ist sich die heutige Mütter-Generation, und da schließe ich mich mit ein, einig.

Eine Begegnung der dritten Art: Der Toiletten-Mann und ich

Mit diesen verblüffenden Gedanken mache ich mich auf den Weg zum heimischen PC. Allerdings darf ich die Pforte zur Glück bringenden Produktivität wieder nicht durchschreiten, denn ein riesiger Toi-Toiletten-Wagen versperrt die Straße. „Oh nein, den Typen kenne ich schon.“ denke ich und balle meine Hände zu Fäusten. Unsere Straße ist leider so eng wie ein bei 90° gewaschener Rolli und macht, mit derzeit gleich zwei Großbaustellen, dem Berliner Flughafen Konkurrenz. Wunderbar. Und der Toi-Toiletten-Futzi hat die Ruhe weg. Wie beim letzten Mal. Mit einer Rolle Klopapier und einem Eimer bewaffnet schlurft er in Zeitlupe zum stillen  Örtchen auf der Baustelle, während sein LKW ein Durchkommen für mich unmöglich macht. Ich merke, wie Wut in mir aufsteigt. Das kann doch nicht sein, dass ich mir gerade überlege, dem Toiletten-Futzi an die Gurgel zu springen. Ich bin doch eigentlich ein friedlicher Mensch. Dem gestressten Flummi in mir ist meine pazifistische Grundeinstellung aber herzlich egal und ich ertappe mich, wie ich auf die Hupe drücke und zwar richtig. Kurzzeitig wacht der Toi-Futzi aus seiner schlafwandlerischen Trance auf und macht kehrt. Aber nicht, um seinen blöden Laster wegzufahren, sondern um seelenruhig eine zweite Klopapierrolle aus dem Wagen zu hieven. „Was für eine Provokation! Der spinnt ja! Das ist ja mal wieder typisch Mann. Der glaubt, ihm gehört die Welt.“ Ich bin sauer. Ich, an seiner Stelle hätte freundlichst um Vergebung gebeten, hätte das Klo-Vehikel umgeparkt und dann meine Arbeit verrichtet. Man will ja niemanden den Tag versauen. Und was macht diese schleichende Schildkröte? Nachdem er sich gefühlte Stunden im Klohäuschen versteckt, steuert er auf mich zu, um mich mal so richtig und frontal zu beschimpfen. „Tief durchatmen!“ befehle ich mir. Ich habe doch kürzlich im Wartezimmer so einen Artikel gelesen, über Liebe, die man seinem Nächsten schenken soll, gerade im Straßenverkehr. Ich versuche es wirklich mit aller Kraft, lasse dann aber doch das Wagenfenster runter und schimpfe zurück. Oh man, was passiert  denn hier? Das Leben hat es mit mir bislang wahrlich gut gemeint.  Was soll denn diese entgleiste Situation jetzt? Streite ich mich gerade tatsächlich mit diesem Typen, der seinen Job wahrscheinlich genauso hasst wie ich die Warterei vor seinem Lokus-Wagen? Was bin ich bloß für `ne miese Ratte? Das liegt alles nur am ständigen Rumgespringe und den nicht angefangenen To Do Listen. Und so verstumme ich und versuche Liebe zu versprühen. Den Toiletten-Heini bringt mein abruptes Schweigen aus dem Konzept oder eventuell hat ihn ja auch ein fetter Strahl meiner Liebe getroffen. Vielleicht auch eher nicht. Er steigt auf jeden Fall verdattert in seinen LKW, um anschließend, mir einen Vogel zeigend abzudampfen. Ich denke, dass meine Woche auch schon mal besser angefangen hat. Nach dem Ausladen der Einkäufe und einer ersten Tasse Kaffee bleiben mir genau 25 Minuten bis zur Abholung des Stenzes. Die verplempere ich dann mit Online-Recherchen über Toi-WCs. Und für den Nachmittag nehme ich mir feste vor,  beim Fußballtraining meines Sohnes einfach auf der Reservebank sitzen zu bleiben und mir das Rumgehüpfe von A nach B und wieder zurück zu sparen.  Stattdessen brülle ich ihm lieber ein fröhliches „Toi, toi, toi – noch ein Tor!“ zu. Produktivität wird gemeinhin ja so überschätzt!

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