Und täglich grüßt das Murmeltier

Meine Kinder sind Langschläfer. Sie schlagen hinsichtlich ihres natürlichen Biorhythmus vollkommen nach ihren Eltern. Sie werden abends unglaublich aktiv, ganz so als hätten sie in erquickendem Koffein gebadet. Aber morgens sind sie die Inkarnation von Murmeltieren im Winterschlaf. Nicht wachzukriegen. Ich weiß, dieser Umstand ist eigentlich eine Frechheit, aber ich kann Sie beruhigen, es besteht trotzdem kein Grund zum Neid. Denn der Stenz geht jetzt in die Schule und so ist es vorbei mit unserem kollektiven Winterschlaf. Um uns zu trösten, meinte meine etwas schadenfrohe Familie zu unseren unmenschlichen Weckzeiten, denen wir seit Schulbeginn ausgesetzt sind nur lapidar:  „Mensch, hört auf zu jammern, das ist doch jetzt nur für die nächsten 16 Jahre so.“ Wie wahr. 

Morgengrauen oder der frühe Morgen bringt das Grauen

Während wir in den letzten Jahren nie in den Genuss kamen, die Schönheit der aufgehenden Sonne in ihrer ganzen Farbenpracht zu bewundern, dürfen wir nun dieses einmalige Naturspektakel tagtäglich bestaunen. Aber das ist auch schon der einzige Vorteil, den ich in unserem aufoktroyierten Frühaufstehertum sehe. Doch bevor der rote Feuerball langsam über unseren Osthügel kriecht und den Himmel in ein bezaubernd kitschiges Lila-Rosa hüllt, begegnen wir erst einmal dem großen gleißenden Nichts. Oder um es mit den staunenden Worten unserer dreijährigen Tochter auszudrücken: „Mama, was das ist das swarze (schwarze) große Ding?“ Dabei zeigte sie vergangene Woche voller Verblüffung auf die alles verschluckende Dunkelheit, die draußen vor unserem Fenster wie ein gruseliges Ungetüm zu uns hineinlugte. Nun verstehe ich auch den tieferen Sinn von „Morgengrauen“ oder besser gesagt, der frühe Morgen bringt das Grauen. Morgens dunkel? Ein Paradoxon, an das sich unsere dreijährige Tochter wohl nun leider gewöhnen muss.

Von wegen, der frühe Vogel fängt den Wurm – der frühe Vogel ist müde und wird dick

Genau wie der Stenz. An seinem ersten Schultag meinte er beim Weckruf, den ich in aller Herrgottsfrühe gen Kinderzimmer trällerte nur vollkommen entgeistert: „Mama, das ist nicht Dein Ernst, dass wir jetzt jeden Morgen mitten in der Nacht aufstehen müssen! Und dann sollen wir auch noch im Dunkeln zur Schule spazieren? Das ist einfach nur furchtbar!“  Leider teile ich die Meinung des Stenzes uneingeschränkt und bin daher in Sachen motivierender Ermunterung im besagten Morgengrauen eigentlich nicht der richtige Ansprechpartner. Und während ich zu Beginn noch die glückliche Mutti mimte, die ihre Kinder mit guter Laune und einem seligen Lächeln auf den Lippen wachküsst, bin ich nun jeden Morgen leider genauso schlecht gelaunt wie der Stenz. Wer hat sich diesen Frühaufsteher-Mist bloß ausgedacht? Kein Wunder, dass die humorvolle Lehrerin unseres Sohnes nach den ersten zwei Wochen berichtete, dass ihre Erstklässler sie bereits um 8:15 Uhr nach dem baldigen Schulschluss befragen und um 8:20 Uhr die Brotzeit einläuten möchten. Bei dieser unwirtlichen Uhrzeit ist man schon nach dem Aufstehen so erschlafft, dass man gleich wieder nach Hause ins warme Bett flüchten möchte oder eben die Müdigkeit mit ganz vielen, am besten zuckersüßen Kohlenhydraten bekämpfen muss. Was eine ungesunde Lebensführung, die unweigerlich zu krankmachendem Schlafdefizit und Fettleibigkeit führt. Von wegen, der frühe Vogel fängt den Wurm, der frühe Vogel wird dick und stürzt ab.

Morgentoilette mal anders

Doch nun sind ja endlich auch in Bayern die Herbstferien gekommen und schon Wochen vor der beglückenden Auszeit hüpft mein, sich nach Schlaf verzehrendes Herz im Carré. Denn nun können die Murmeltiere wieder Murmeltiere sein und schlafen so viel sie möchten. In der Theorie. Doch die Praxis gestaltet sich leider bisweilen anders. Nämlich so, dass ich um 4:30 Uhr am ersten Ferientag das erste Mal auf die Uhr blicke, um mich zu vergewissern, dass ich bloß nicht verschlafe und mein Kind aufgrund meiner Verpenntheit irreversible Diskriminierungen erleiden muss. Um 5:30 Uhr schlafe ich endlich wieder beruhigt ein, denn es sind ja Ferien. Aber nur um um 6:30 Uhr vom Mann neben mir geweckt zu werden, der sich unruhig auf den Laken wälzt. Um 7:00 Uhr ist nicht mehr an Schlaf zu denken, da der Stenz plötzlich vor mir steht und fragt, wann wir denn endlich schwimmen gehen, jetzt wo wir doch im Wellnesshotel sind. Hey, was ist bloß mit unserem angeborenen Biorhythmus geschehen? Um 7:20 Uhr gibt nun auch die Tochter ihren qualifizierten und legitimen Morgengruß zum Besten: „Mama, Hungaaaaa!“ Nun dann! Einen Vorteil hat das frühe Aufstehen ja, der Tag ist plötzlich viel länger und man hat auf einmal sogar Zeit, kurz nach Sonnenaufgang Berge zu erklimmen.  Doch bevor die Berge rufen, warten so profane Dinge wie die Morgentoilette auf unsere Kinder. So sitzt Louloubelle auf dem Klo und wartet stolz wie Bolle auf das von uns als Chor angestimmte „Trulala“, das ihre Toilettenleistungen angemessen würdigt. Nach erfolgreichem Toilettengang und musikalischer Einlage unsererseits betätigt unsere Tochter in einem kurzen, unbeaufsichtigten Augenblick einen der vielen Knöpfe im Badezimmer und erhält eine unvorbereitete Morgendusche, die in großem, illustrem Strahl aus unserem Hightech-Klo springt. Eine Wasser-Fontäne, die unsere Zweitgeborene dermaßen erschreckt, dass sie in ein nicht enden wollendes Gebrüll verfällt und ihre nassen Haare lautstark beweint, während sich der große Bruder vor Lachen den Bauch hält und anschließend eine Runde Socken-Schlittschuh über dem glitschigen Steinboden fährt. Tja, so eine Toiletten-Intimdusche kann auch zu einem höheren Maß an  Sauberkeit auf Hotelzimmern führen – wer hätte das gedacht? Da frage ich mich tatsächlich, woher das Sprichwort „Morgenstund hat Gold im Mund“ stammt? Aber egal, auf zum Berg – vielleicht treffen wir ja noch das ein oder andere Murmeltier, das noch keinen Winterschlaf hält.