Audienz beim König

Mit Kindern im Schlosshotel

Ich schlendere das Frühstücksbuffet entlang und fühle mich gesegnet. Was ein großartiges Hotel! Weite, Freiheit, Natur wohin das Auge reicht. Oder doch nicht ganz? Mein Blick schweift an all den Schönheiten dieses außergewöhnlichen Retreats vorbei und bleibt unvermittelt an unserem Frühstückstisch hängen, an dem meine beiden Kinder in harmonischer Eintracht vereint, den Morgen freudvoll lukullisch starten sollten. Der Mann schiebt sich währenddessen ebenfalls an den Köstlichkeiten des üppigen Buffets vorbei. Ein seltsam gedämpftes Brummen und eine nicht enden wollende Lachsalve des Stenzes lässt mich inmitten dieser friedvollen Glückseligkeit inne halten und meine inneren Alarmglocken fangen unwillkürlich an zu schrillen. Zu Recht. Denn anstatt die überdimensionale Käsescheibe mit Genuss zu verzehren, klatscht sie der Stenz seiner Schwester frontal auf’s Gesicht. 

Das zarte Käseblümchen

Ich stelle mein Mango- und Himbeermousse mit ungewolltem Schmackes scheppernd zurück auf’s Tablett und lege einen morgendlichen Sprint zu unserem Tisch hin, um das Baby vorm sicheren Ersticken durch Alpenkäse zu bewahren. Doch trotz dieser eigentümlichen Gefahr und obwohl ich wirklich sauer sein sollte, muss auch ich lachen und zwar so richtig. Ich weiß, pädagogisch wieder einmal nicht wertvoll. Aber Unser Baby schaut echt komisch aus. Ein bisschen wie ein Käseblümchen. Würde ich das kleine Geschöpf auf einer der umliegenden Almen entdecken, könnte ich mir fast vorstellen, dass dieses holde Gouda-Pflänzchen eine revolutionäre Alternative für die friedvolle Gewinnung des calciumreichen holländischen Importschlagers ist. Sie könnte aber auch als Testimonial für den neuesten, bahnbrechenden Gesichtsmasken-Trend posieren.

Pandoras Büchse wird verteidigt

Nachdem ich unser Baby von der gelben Scheiblette befreie, sinniere ich kurz über das schwere Los der Zweitgeborenen. Aber papperlapapp. Das Baby scheint sich schnell von seinem Käse-Schock erholt zu haben und schleckt sich jauchzend die letzten Gouda-Reste aus den Mundwinkeln. Dabei hält es in seiner rechten Hand ein Nougat-Croissant und in der linken einen Pancake. Und zwar so fest umschlossen als handle es sich um die Schlüssel für Pandoras Büchse, die es mit geballten Kräften zu verteidigen gilt. Und weil man, mit zwei vollen Fäustchen nur schlecht die belgische Waffel greifen und zum Mund führen kann, beugt sich das Baby kurzerhand zur Tischplatte hinab und schlabbert die süße Delikatesse direkt vom feinen Tafelholz. Tischmanieren gehen anders. Aber egal. Mit zehn Monaten genießt man noch Welpenschutz, versuche ich mich selbst zu beruhigen. Überhaupt scheint das Baby heute morgen mit einem ordentlichen Appetit gesegnet. Da kam ihr das kleine Käse-Facial fast gelegen.

Das schwangere Baby

Plötzlich schreit der Stenz „Ich glaube unser Baby ist schwanger!“ Die Dame vom Nebentisch fängt nun auch an loszuprusten und erkundigt sich nach den Gründen dieser waghalsigen Vermutung. „Das ist doch ganz klar, unser Baby hat so viel Hunger, weil sie, wie meine Mama früher, für zwei isst. Außerdem hat meine Mama heute morgen zu meinem Papa gesagt: Louchen ist schwanger“. Ich verschlucke mich an meinem frisch gepressten Orangensaft und versuche für den Stenz und unsere sympathische Tischnachbarin Licht ins Dunkle dieser irren Morgen-Debatte zu bringen. „Stenz, ich habe gesagt, Julchen ist schwanger und nicht Louchen!“ Riesige Enttäuschung macht sich bei meinem Sohn aufgrund der erschütternden Zerschlagung des Nichten- bzw. Neffen-Zuwachses breit.  „Ach wie schade, ich habe mich schon so auf ein neues Baby gefreut,“ erklärt er Kopf senkend und schiebt seiner Schwester beherzt ein Stück Obazda-Brezel in den Mund.

Pferdchen lauf Galopp

Doch nun ist auch genug gefrühstückt. „Hopp, hopp“, treibe ich meine Familie an. „Es ist spät und Zeit für unsere Audienz beim König!“ Denn bei dem von uns getesteten Hotel handelt es sich um ein Schloss. Und da das letzte Gespräch mit einem Hotel-Direktor durch das Stenz’sche Schweine-Gegrunze nicht ganz so professionell und erquicklich wie erhofft verlief, habe ich dieses Mal verbale Vorkehrungen getroffen. Nämlich solcherart, dass ich den Stenz auf eine gesittete Audienz beim König vorbereitete. Und oh Wunder, die Ankündigung zeigt Wirkung. Der Stenz scheint sichtlich beeindruckt und schwört im Rahmen des höfischen Tête à Têtes gutes Benehmen. Dabei gestaltet sich die erste halbe Stunde mit dem charismatischen „Aristokrat“ tatsächlich vielversprechend. Versammelt um das knisternde Kaminfeuer lauscht der Stenz voller Bewunderung schweigend den Worten des Monarchen und zeigt sich tief beeindruckt. Die einzige Unterbrechung durch den Stenz ist ein verhaltenes und verwundertes Flüstern in meine Richtung: „Mami, der König hat aber lange Haare“. Nach ca. 35 Minuten vergisst er dann allerdings seine Ehrfurcht und folgt seiner Schwester, die um die Ecke der ausladenden Chaise Longue krabbelnd verschwindet. Da auch ich gebannt den Worten des Hotel-Direktors lausche, verliere ich meine beiden Kinder für einen Bruchteil einer Minute aus den Augen. Denn der Direktor gibt gerade den ein oder anderen Schwank seiner illustren Gästeschar zum Besten. Als ich mich nach ca. 55 Sekunden wieder meiner Kinder besinne, hat der Stenz seiner Schwester den heimlich mitgebrachten Bademantelgürtel als Pferdegeschirr um den Bauch geschnallt und treibt sie im Galopp durch die Hotel-Lobby. Das Baby stolziert, durch die liebevollen Ermunterungen des Stenzes, stolz wie ein kleiner Löwe auf allen Vieren den roten Teppich entlang. Erst als der Stenz das Geschirr etwas enger schnallt, interveniere ich und eile meinem Zweitgeborenen zu Hilfe und frage meinen Sohn, was er denn da treibe? „Aber Mami, ich bin der Knecht des Königs und bring’ ihm sein Pferd!“

Streichelzoo statt Dampfbad oder gefangen in Schlumpfhausen

Gefangen in Schlumpfhausen

Ich sitze auf einer grünen, stinkigen Gummimatte, klinisch ausgeleuchtet von grellweißem Neonlicht und stille. Während ich das tue blickt mir der grässliche Zauberer Gargamel arglistig über die Schulter. Und ich habe irgendwie den dringenden Drang meine Hände im Sekundentakt zu desinfizieren. Als ich mich gerade von dem schwarzen Magier, der vor etlichen Jahren einmal couragiert die Wand dieses Hotel-Kinder-Clubs verschönern sollte abwende, saust plötzlich der Stenz mit Karacho schreiend die Plastikrutsche hinab und bewirft mich im Vorbeiflug mit riesig bunten Knautsch Bauklötzen und brüllt „Schlümpfe, Schlümpfe, ich komme und rette euch!“ 

Die Schimpansen-Mama geht in Deckung

Ich versuche mit dem Baby an meiner Brust in Deckung zu gehen, vergeblich – einer der Gummi-Bauklötze trifft mich am Kopf. Und zu allem Überfluss erscheint auf einmal vor der gläsernen Pforte nach Schlumpfhausen eine zehnköpfige Rentner-Horde und schaut mich unverblümt an. Ich komme mir vor wie im Zoo. Fehlt nur noch, dass der pensionierte Frontmann zu seinem Mikro greift und laut durch die Hotelhalle röhrt: „Hinter dieser Glasscheibe sehen sie eine Schimpansen-Mutter, die ihr Junges säugt.“ Die Situation wird sogar noch sonderbarer: Denn mein Anblick versetzt den betagten Rädelsführer derart in Entzücken, dass er es sich nicht nehmen lässt und beherzt eintritt. Am liebsten würde ich, die unter kniehohen, weichen Bauklötzen begraben ist, einen lauten Schimpansen-Schrei ausstoßen und das Weite suchen. Auch mein Junges fühlt sich beim Trinken gestört und schaut den Rentner großäugig an. Leider gibt es in dieser in die Jahre gekommenen kleinen, muffeligen Gummizelle keine Fluchtmöglichkeit und ich lausche gespannt dem durch unseren Anblick berauschten Mann „Oh haben wir Ihr Kleines geweckt? Das wollten wir nicht.“ Während er das sagt drücken sich seine Freundinnen und Freunde weiterhin die Nasen an der Glastür zum Kinderclub platt. „Aber ich musste Ihnen einfach sagen, wir haben sechs von der Sorte!“ „Hä, was meint er? Sechs Schlümpfe, sechs Gummi-Bauklötze oder Sechsling-Schimpansenbabys?“ Ich nuschle ihm genant ein „Aha, großartig“ entgegen und wünsche mich in den nur wenige Gehminuten entfernten Infinity-Pool. Ein frommer Wunsch, der leider nicht Realität wird. Denn ich merke, dass ich zwischen diversen Gummi-Bauklötzen, Kinder-Stühlen und Bergen von Kuscheltieren bis auf weiteres in Schlumpfhausen gefangen bin.

Ich, die perfekte Besetzung für das Format „Bauer sucht Frau“

Oh man, wie viele Stunden habe ich in den vergangenen vier Jahren in Bälleparadiesen, Streichelzoos und Abenteuerspielplätzen von Wellnesshotels verbracht? Ich bin mir sicher, dass ich mittlerweile mehr Zeit in diversen Souterrain-Spielräumen mit so phantasievollen Namen wie „Trixies Kids Club“ oder „Fix und Foxy“ Bälle werfend, Puppen kämmend und imaginäre Speisen aus Miniatur-Schüsselchen essend zugebracht habe, als ich es mir zu Beginn meiner Wellness Hoteltesterinnen-Laufbahn je erträumt hätte. Alleine diesen Monat durfte ich unzählige Zwerghamster, Langhaar-Meerschweinchen und Angora-Häschen streicheln. Außerdem wurde ich von zwei Lamas angespuckt, von etlichen Ziegen gemustert und vom Stenz angeleitet, wie man Ponys striegelt oder Hängebauchschweine füttert. Ich würde fast behaupten, dass ich in den vergangenen vier Wochen eine beinahe Ausbildung zur Zoo-Fachangestellte absolviert und mich überdies für das Format „Bauer sucht Frau“ mehr als qualifiziert habe.

Gilroy, Jonathan-Oliver, Alicia & Co

Und auch in Sachen Hotel-Spielplätze habe ich mich zu einem Experten gemausert. Dabei habe ich mir angewöhnt, in den langen Stunden vor Klettergerüsten und Schaukeln interessante Verhaltensforschung zu betreiben und den diversen, mir dargebotenen Schauspielen, einfach nur schweigend beizuwohnen: Gilroy sitzt wie eine übergewichtige Bergziege im obersten Gebälk des Kletter- bzw. Seilgerüstes und schreit entrüstet um Hilfe nach seinem Papa. Er kommt wohl alleine nicht mehr runter. Papa sitzt aber Kippchen rauchend in sein iphone vertieft und hat außerdem Höhenangst. Daher muss wohl Gilroy-Mama ran. Fauchend und zischend begibt sie sich auf den Weg nach oben „Warum muss immer ich, den Karren aus dem Dreck ziehen?“ Elegant wie eine tonnenschwere Vogelspinne hangelt sie sich von Seil zu Seil und ich gestehe, dieses Bühnenwerk mutet derart grotesk an, dass ich einen mittelschweren Lachanfall bekomme. Und auch der kleinen Alicia beim munteren Sandeln zuzuschauen macht wahrlich Freude. Behände klettert sie mit ihrem Eimerchen die Treppe zur Rutsche hinauf und kippt den Sand zur großen Wonne von klein Jonathan-Oliver über dessen Kopf aus. Welch’ ein wunderbarer Moment! Er sollte für die Ewigkeit festgehalten werden. Das hier ist besser als Fernsehen. Zeternd kommt die Jonathan-Oliver Mutter herbeigerannt und tröstet ihren über und über mit Sand beschütteten Zweijährigen. Tja, da ist heute Abend wohl eine Dusche fällig.

Ein Hoch auf Hotel-Hausschuhe

Aber bloß keine Schadenfreude, denn der Stenz stapft gerade ebenfalls erzürnt in meine Richtung. „Mami, meine Schuhe sind weg!“ Und tatsächlich, vor dem Trampolin sind keine bunten Sport-Treterchen mehr zu finden. Dumm gelaufen. Denn es waren die einzigen Schuhe, die wir zu diesem Test-Aufenthalt ins Hotel mitgenommen haben. Und so schlurft der kleine Junior-Tester für den verbleibenden Tag mit kuscheligen Hotel-Latschen umher. Perfekt also, um eine weitere Runde im gummi-terrassierten Schlumpfhausen zu verbringen, yeah!

Stressige Stille

Ich verbringe meine Tage gerade in einem Wellness-Hotel, in dem es sehr ruhig zugeht. Geradezu beängstigend ruhig. Ein bisschen wie in einem Schweige-Kloster. Ich höre hier sogar die Uhren unerträglich laut ticken. Eigentlich perfekt. Sehne ich mich doch so nach Ruhe und Entschleunigung. Das Hotel ist also wie für mich geschaffen. Für mich alleine wohlgemerkt. Nicht aber für meine beiden kleinen Reisegefährten. Denn akustische Askese ist so gar nicht ihr Ding. Da sind sich beide einig

Vorsicht Lebensgefahr: Meuchelmord im Hotel-Restaurant

Wohingegen die anderen Gäste des Hotels allesamt wahre Meister des Schweigens und des amourösen Wisperns zu sein scheinen. Im Restaurant haben wir das Glück im „Romantik Bereich“ zu dinieren. Unsere Mitreisenden blicken sich nämlich nur tief in die Augen und versinken dann wieder in verliebtes Schweigen. Sie verstehen sich wortlos. Und diejenigen, die nicht mehr verliebt sind, versinken nur in stiller Andacht und nuscheln sich hin und wieder ein nüchternes „Reichst du mir mal das Wasser“ zu. Doch diese Ruhe wird durch uns, die scheinbar einzige Familie weit und breit jäh unterbrochen. Wie ein verbaler Tsunami überschwemmen meine lediglich im Schlaf stillen Abkömmlinge die sakrale Ruhe des Speisetempels. Auch meine hundertmalige Aufforderung an den Stenz, doch bitte seinen Gedankenschwall flüsternder Weise kundzutun, verpufft bedeutungslos im Nirvana. Flüstern kann der Stenz nicht. Oder höchstens für eine dreiviertel Sekunde, dann wird wieder erbarmungslos normal gesprochen, was durch die feierliche Atmosphäre hier leider wie aufmüpfiges Gebrüll erscheint. Und so lächeln uns lediglich die Ober freundlich zur Begrüßung an. Die Blicke der anderen Gäste wirken vernichtend. Im Verlauf des Abends meine ich sogar bei einigen Besuchern ein mordlustiges Flackern in den Augen gesehen zu haben. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein.

Pepper Pig gegen Tinnitus

„Nein, diese Tomate schmeckt eklig!“ gibt der Stenz schon zum Salat-Auftakt in die Stille hinein, für alle um uns herum deutlich vernehmbar, zu bedenken. „Ts, ts, ts“ kommentiert die streng dreinblickende Studienrätin am Nebentisch die Ekelbekundung unseres Sohnes. Auch das Baby kommt nun langsam, quasi simultan mit seinem großen Bruder, in Fahrt und stößt mehrmals hintereinander intervallartig spitze, voluminöse Schreie aus. Mir stellen sich spontan alle Nackenhaare auf und ich frage mich, wie ich dieses Fünf-Gang-Menü unbeschadet überstehen soll. „Schau mal Mami, ich habe den Traktor rot ausgemalt und nicht grün“ gibt der Stenz vollkommen entzückt von seiner eigenen artistisch-kreativen Ausmal-Performance zum Besten. Erneutes kritisches Hüsteln, diesmal aus einer anderen Ecke. Die Dame am Gang möchte sich bitte umsetzten, sie und ihr Herr Gemahl fühlen sich von den vorbeilaufenden Gästen in die Enge gedrängt. Das vernehme ich gerade als ich en passant mit dem Baby auf dem Arm in Richtung Eis-Station laufe, um dem Baby eine Eis-Waffel als strategischen „Tranquilizer“ und kleinen zwischendurch Appetizer darzubieten. Denn mit vollem Mund lässt sich ja bekanntlich weniger gut brüllen. Und keiner in diesem Restaurant wirft dem Baby oder mir auch nur ein einziges sympathisierendes Eltern-Lachen entgegen. Ich scheine umgeben von einer hyper-sensitiven Spezies an kinderphoben Gästen zu sein. Nachdem jeder bunte Farbenstrich als ich zurück an unseren Tisch komme, ekstatisch vom Stenz kommentiert wird und ich meine ganze Konzentration in das Ruhigstellen unseres zehn Monate alten Kindes stecken muss, einigen sich mein Mann und ich spontan darauf, den Stenz ausnahmsweise durch das Anschauen von Pepper Pig temporär zu sedieren. Ich weiß, pädagogisch in höchstem Maße verwerflich! Aber dieser erzieherisch fragwürdige Schachzug ist aus der Not heraus geboren und soll verhindern, dass die Gang-Umsetzerin und die grauhaarige Studienrätin beim nächsten euphorischen Ausruf unseres Mini-Künstlers einen Tinnitus oder folgenschweren Hörsturz erleidet. Mein Motiv ist also edel und aus Rücksicht geboren. Außerdem merke ich, dass mein Mann und ich uns schwertun, gleich zwei lärm-indifferente Kinder in Schach zu halten. Das Baby ist heute nämlich missmutig. Und ich stecke mitten im akustischen Epizentrum ihrer rhythmisch auftretenden Schreie, die bugwellenartig auch den letzten tauben Pensionär im hintersten Eck zu erschüttern drohen.

Zuckendes Auge im Gemüsebrei: Begleiterscheinungen eines entspannten Dinners

Dabei greift das Baby heute wirklich zu allen Mitteln – ganz nach Machiavelli. Denn bei den verschiedenen Versuchen, es mit leckerem Gemüse-Breichen zu füttern, wedelt es so vehement mit den Ärmchen, dass mich eine Ladung der vitaminreichen Kost frontal am oberen rechten Auge trifft. Das linke Auge beginnt unwillkürlich zu zucken und ich merke, wie sich außerdem rote Stress-Pusteln auf meiner Stirn formieren. Demütig senke ich den Kopf. Ich bin erschöpft und kapituliere. Langsam lasse ich das Baby unter den Tisch sinken und reiche ihm ein Spielzeug, damit es sich unter der Tischdecke verlustieren kann. Hunger scheint es offensichtlich keinen zu haben. Doch unter der Tischdecke verstecken zu spielen ist langweilig. Während ich gerade noch den Kartoffelmatsch von meinem Auge reibe, steuert es schnurstracks die spaßbefreite Studienrätin an. Ihrer ganzen Attitüde nach zu urteilen, hat sie als Lehrerin ein Leben lang daran gearbeitet, einen veritablen Kinderhass zu kultivieren, der auch vor einem krabbelnden Baby keinen Halt macht. Ein erneutes „ts, ts, ts“ und ich überlege spontan, den Rest des Dinners auf dem Zimmer einzunehmen.

Grunz, grunz! Die Rache pädagogischer Inkonsequenz

Doch das Highlight dieses stressig-stillen Abends ist sicherlich das Gespräch mit dem Sommelier. Denn nachdem der Stenz während des halben Essens in der Welt Pepper Pigs versank, möchte er uns nun ebenfalls in den Kosmos seines kleinen Schweine-Idols einführen. Zu diesem Zweck und um uns auch ein wahrlich authentisches Gefühl zu vermitteln, wie es sich als Rüsseltier so lebt, beginnt er plötzlich ohne Unterlass zu grunzen. Und je mehr ich zische „Bitte hör‘ sofort auf damit!“ desto lauter wird sein animalisches Schnauben. Das ist wohl die Rache pädagogischer Inkonsequenz! Ach was sehne ich mich nach unserem letzten Hotelaufenthalt. Hier fristeten wir im Restaurant in die Kinderecke verbannt unser Dasein glücklich und unbemerkt zwischen runter gefallenen Schnullern, zwei dutzend Feuchttüchern und angeknabbertem Baguette. Dabei rangen gleich drei verschiedene Babys gleichzeitig um den Sieg beim inoffiziellen Wettbewerb „Ich schreie am lautesten!“ Hier herrschte das Gegenteil von stressiger Stille, am ehesten könnte man das chaotische Treiben als entspanntes Tohuwabohu beschreiben. Herrlich!

Ritsch Ratsch – Schnipp Schnapp

Schnipp Schnapp

Der Stenz ist kreativ. Sehr kreativ. Mit ihm wird mir selten langweilig und das ist meistens schön. O.k., nicht immer. Häufig. Ab und zu. Hin und wieder. Und zwar dann nicht, wenn ich das Gefühl habe, mit dem Lieblings-Protagonisten meiner Kindheit, Michel aus Lönneberga, unter einem Dach zu leben. Dabei ist der Stenz mindestens genauso phantasievoll wie das Pendant aus Schweden. 

Grüner Rettungsreif mit Kuh

Kürzlich habe ich eine Freundin mit zwei kleinen Mädchen besucht. Nach literweisem Kaffee (wir hatten uns viel zu erzählen) musste ich mal. Eigentlich sehr unspektakulär. Jedenfalls so lange, bis ich das Gefühl hatte festzustecken. Ich wunderte mich, wie eine normal gebaute Familie so kleine Toilettensitze freiwillig ihr eigen nennen konnte. Das kam ja einer Folterung gleich. Quasi das Gegenteil vom gemütlich stillen Örtchen. Als ich meine Freundin darauf ansprach, brach sie in schallendes Gelächter aus. „Da hast Du Dir wohl das Falsche, nämlich das Kinderklo ausgesucht. Der Toilettenring für die Kids ist feste montiert.“ „Aha, so was gibt’s auch“ dachte ich mir und tat das Ganze innerlich als übertriebenes „Gedöns“ ab. Aber nur bis zu jenem Tag, als es der Stenz dem Michel mit der Suppenschüssel gleichtun wollte. Allerdings in etwas abgewandelter Form. Denn Suppenschüssel kann ja jeder. Mit ’nem grünen Toilettenring mit lustig bunten Kühen drauf, macht das ganze viel mehr Freude. Da sieht man auch mehr. Es ziert den Hals auch besser. Gerade in Zeiten des Klimawandels ist es sehr nützlich allzeit bereit und bestens gewappnet zu sein. Wenn uns nämlich morgen unerwartetes Hochwasser überrascht, ja dann ist der Stenz exzellent vorbereitet. Er trägt den Rettungsring schon um den Hals. Grüner Toilettenring: ein Garant bei jedem niederschlagsreichen Unwetter. So genial, das sollten wir uns fast patentieren lassen. Hätten die das damals doch auf der Titanic gewusst. Zugegeben, als mir der Stenz weinend mit grünem Toilettenring unter seinem Kopf, verzweifelt zurief: „Mami, ich stecke fest“, da ist mir diese grandiose Patent-Idee nicht sofort gekommen. Und ich gestehe, während ich mit viel Feingefühl den Toilettenaufsatz von meinem Kind herunter friemelte, sah ich schlagartig die Sinnhaftigkeit fest installierter Toilettensitze für Kinder und bat meine Freundin in Gedanken um Vergebung. Ihre Installation war weit von unnützem Gedöns entfernt. Nach ca. zehn Minuten höchster Konzentration meinerseits trug der Stenz wieder Hals. Und ich beglückwünschte mich zu meiner großartigen, besonnenen Reaktion.

In der Ruhe liegt die Kraft

Von dieser Besonnenheit müsste ich eigentlich meiner Nachbarin erzählen, denn zwei Jahre zuvor, war ich doch eher hektisch, vielleicht sogar ein kleines bisschen kopflos als ich mit einem total aufgelösten Stenz bei ihr Sturm klingelte und panisch um Hilfe bat. Doch der Reihe nach: Während ich lustig vor mich hin werkelte, hatte der Stenz meinen Armreif entdeckt. Ein silbernes, ziemlich massives und unflexibles Ding, das über einen ganz kleinen Schlitz für XXS- Handgelenke verfügt. Der Stenz, der auf jeden Fall die Experimentierfreude seines Physiker-Vaters geerbt hat, drehte und wendete mein Schmuckstück und stülpte es sich dann kurzerhand in den Mund, wo es dann zwischen Unterkiefer und Kinn feststeckte. Mit markerschütternden Schreien dokumentierte er dieses seltsame Unterfangen. Unser kleines Stierchen trug also keinen Nasen-, sondern einen Kieferring. Und da ich seit jeher immer schon zu Panik und Hysterie neige, besonders wenn es um das Kostbarste meines Lebens geht, fiel meine Reaktion entsprechend angespannt aus. Der erste Zieh- und Zerrversuch rief ein noch ohrenbetäubenderes Kreischen hervor, sodass ich den Stenz kurzerhand und relativ unbesonnen in Richtung unserer patenten Nachbarin schleppte. Sie war wie immer die Ruhe in Person und befreite den Stenz schwuppdiwupp von seiner Neu-Interpretation eines mobilen „Gesichts-Piercings“ und mich bewahrte sie vor einem mittelschweren Break-Down.

Der wandelnde Skihelm 

Und das ist auch das Stichwort, warum ich diese Story schreibe. Heute war der Tag meines Break-Downs. Und zwar so richtig. Eigentlich dachte ich, ich hätte den schon letztes Wochenende gehabt. Als mein Mann nämlich in einem kurzen Moment meiner Unaufmerksamkeit unseren Garten in eine dürre Einöde verwandelte. Nur mal kurz die Vorhänge zugemacht, um das Baby zum Schlafen zu bringen und hossa die Waldfee wieder aus dem Fenster geschaut und in eine karge grüne Wüste geblickt. Rudi Carell hätte bei der Anmoderation unserer Garten-Metamorphose seinen Spaß gehabt: „Eben noch sattes, hohes Laubbaumgrün und jetzt nur noch öde Steppe.“ Ja, aber siehst Du denn nicht, das war ein Unkrautbaum!“ rief mir der Mann,  seine Säge immer noch triumphal schwenkend entgegen. Und auch der Stenz, der bei 28 Grad im Schatten mit Skihelm, Skibrille und arktischen Handschuhen bewaffnet die Baumfällaktion tatkräftig unterstützt hatte, schrie aufgebracht: „Wir haben so hart gearbeitet, Papa und ich, schau doch wie ich schwitze.“ Um sein Gesagtes auch mit Gesten zu untermauern, wedelte der wandelnde Skihelm wild mit den leblosen Ästen des gefällten „Unkrautbaumes“. Nur das Versprechen meines Mannes, mit mir in Bälde zum Baumarkt zu fahren und sämtliche meiner floralen Wünsche Realität werden zu lassen, besänftigte meinen emotionalen Aufruhr.

Hare Krishnas aufgepasst!

Doch heute, brauchte ich länger. Und zwar genau eine halbe Seeseite. Denn erst nachdem ich vom Ost- zum Westufer des Starnberger Sees gepaddelt bin, glätteten sich die Wogen meiner aufgepeitschten Seele. Dabei redete der Mann mit Engelszungen beruhigend auf mich ein. Das sei doch alles halb so schlimm! Eine Woche nach dem Garten-Kahlschlag zelebrierte der Stenz nämlich eine gewisse Analogie, allerdings nicht auf unserer Rasenfläche, sondern an sich selbst. Ich war gerade dabei, meine wahr gewordenen Blüten-Träume zu wässern, als das Stimmchen unseres Sohnes mit folgenden verheißungsvollen Worten erklang: „Maaaami, komm schnell, ich habe meine Haare geschnitten!“ Ich glaube, in den letzten drei Jahrzehnten bin ich nicht so schnell gesprintet wie in dem Moment als ich diesen folgeschweren Satz vernahm. Doch selbst wenn ich schneller als der Blitz gerannt wäre, ich wäre zu spät gekommen. Die Katastrophe war vollbracht: Der Stenz trägt seit heute vorne Glatze. Auf seinem Kopf befindet sich ein Vokuhila, der drastischer nicht sein könnte. Es schaut aus als hätte ein ehrgeiziger Blinder Coiffeur gespielt. Das Ergebnis: die neue Trend-Frisur für alle Hare-Krishnas. Doch fast noch schlimmer als der Anblick dieser Radikal-Frisur, die sich auch bestens als Protest-Frisur eignet, war das sorgsam zusammengetragene Knäuel, das der Meister-Barbier liebevoll auf einem Blatt Papier zusammengetragen und wunderschön drapiert hat. Voller Stolz zeigte er mir, die ich immer noch in Schockstarre verharrte, sein Tagwerk aus dem man gut und gerne drei Pullover stricken könnte. Mein spontaner Impuls war heulen. Die blonden Härchen vorne einfach weg. Ich konnte es nicht fassen. Nie zuvor hat er bei einem Friseur-Besuch so viel Haar verloren wie heute. Dabei möchte ich anmerken, dass das Haupt unseres Sohnes in den ersten zwei Lebensjahren nie gestutzt wurde und locker flockig schulterlang herunterpurzelte. In der Waschanlage fragte mich der Tankwart damals „Und welches Quietsche-Entchen darf es für die kleine Prinzessin heute als Geschenk sein?“ Das heißt in Sachen Stenz-Haar bin ich empfindlich. Sehr sogar! Zum Glück ist der Stenz hübsch. Ich finde ihn jedenfalls wunderschön. Und wie heißt es doch: „Einen schönen Menschen entstellt nichts.“ An Ostern 2019 hat sich die Vorder-Glatze hoffentlich wieder verwachsen. Und bis dahin trägt man Kappe!