40 Jahr’ gelbes Haar

Friseurbesuch der zum Alptraum wird

Ich schaue in den Spiegel und sehe eine Mischung aus übernächtigtem Panda und alterndem struppigen Langhaardackel. Auch das Mitleid erregende Lachen dieser irren Kreatur da im Spiegel kann nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass ein Friseur-Besuch dringend nötig ist und keinerlei weiteren Aufschub erduldet. Job und Kids hin oder her! Allerdings schaffe ich es diese Woche keinesfalls mehr in die große, weite Stadt – so gerne ich auch zum Friseur meines Vertrauens gehen würde. Doch das Baby haftet zurzeit wie ein siamesischer Zwilling an mir. Ob der Grund dafür die sprießenden Backenzähne, ein Hüftschnupfen (ja, so etwas gibt es tatsächlich wie ich in der Ambulanz des örtlichen Krankenhauses unlängst erfahren durfte) oder ein Wachstumsschub ist, ist ja eigentlich zweitrangig. Fakt ist, dass das Baby schon bei kurzer Abstinenz meinerseits derzeit gewalttätige Neigungen entwickelt. Bewarf es doch erst gestern in absolutem Furor meine Schwiegermutter mit Brezel. Nur weil diese versuchte, das sirenenhafte Geheul unserer Tochter mit leckeren Laugengebäck zu besänftigen. Um weitere Handgreiflichkeiten des Babys zu verhindern, plane ich daher einen schnellen Friseur-Besuch in der Provinz.

 Freigang für struppigen Langhaardackel

Guten Mutes, ob des geplanten zweistündigen „Freigangs“, lasse ich das Baby glücklich in der Obhut des Mannes und setze mich gen Kleinstadt-Friseur in Bewegung. Auch beim Eintreten in den Salon sehe ich optimistisch dem Ende meiner struppigem Langhaardackel-Existenz entgegen. Während ich bei Piloten ein gewisses Alter, souveränes Auftreten und die selbstbewusste Ansage aus dem Cockpit: „Hier spricht Ihr Kapitän Hansen“ schätze, fühle ich mich bei Friseurinnen mit relativ konservativ gestalteter Haarpracht in guten Händen. Und da die Dame, die mich hier gerade erwartet weder über eine „pfiffige“ Kurzhaarfrisur mit Landpomeranzen-Strähnchen noch über trendige Türkis-Haar-Kolorierungen in Kombination mit Gesichtspiercings verfügt, sondern sehr ansehnlich wirkt, vertraue ich ihr auf Anhieb. Ich erkläre ihr kurz und knapp mein Begehr, nämlich, dass ich den Status temporärer Verwahrlosung gerne beenden würde. Auch wenn dieses Verlangen drastisch klingt, so schätze ich den Schwierigkeitsgrad dieser Forderung, Schere und Farbe sei Dank, nicht allzu schwer ein.

Ein Hoch auf die Boulevard-Presse

Ich wähne mich also gerade in absoluter Sicherheit und es entspinnt sich ein sympathisches Gespräch mit der Dame, die meinen Oberkopf wie eine Folienkartoffel einwickelt. Ich erfahre beispielsweise, dass ich meine schlaflosen Nächte mit Baby und Kleinkind unbedingt genießen soll! Denn Milchstau, Läuse-Alarm und einschießende Backenzähne seien ein Dreck gegen die Herausforderungen pubertierenden Nachwuchses. Hin und wieder ertappe ich mich dabei, dass ich gedanklich aus der Diskussion aussteige und mich über so elementare Dinge wie die Entlassungswelle diverser Köche am englischen Königshaus informiere. Auch dass Robbie Williams seine weinende Tochter vom Kindergarten in Adidas-Badelatschen abholt ist ja allerhand! Vertieft in solch freudvolle Lektüre wundere ich mich kurz, als ich mich nach einer zweiminütigen Einwirkzeit meiner Oberkopf-Strähnen mit folgender Aussage konfrontiert sehe: „Hmm, es soll ja nicht weiß werden, daher können wir jetzt gleich schon mit dem Auswaschen beginnen!“

„Es soll ja nicht weiß werden.“

Irgendwas hält mich zurück lauthals durch den Salon „Hääääähhh?????“ zu schreien. Was meint sie genau mit der Intro: „Es soll ja nicht weiß werden…“? Ich merke, wie meine Hände schwitzig werden und mein Puls unkontrolliert schneller schlägt. Perplex artikuliere ich meine schlagartig in mir hochsteigende Angst mit „Wie bitte?“ Doch auch die Wiederholung ihrer Aussage macht die Sache nicht besser und nun fange ich an, wirklich besorgt zu werden. „Also normalerweise habe ich relativ natürliche Farb-Strähnen, die mindestens eine halbe Stunde einwirken. Das Attribut mit dem ich die Farbgestaltung meiner Oberkopf-Strähnen in der Vergangenheit am besten beschreiben würde, wäre also: unauffällig-dezent.“, erläutere ich stotternd. Und mir wird plötzlich bewusst, dass ich diese signifikante Information vielleicht noch vor dem Studieren der Robbie-Williams Adidas-Latschen-Story hätte erwähnen sollen. „Ja, also ich habe Ihnen die Haare blondiert, das geht viel schneller und ist dann auch auffälliger. Drei Minuten Einwirkzeit und sie sind blond“. Ich bin neurotisch, hysterisch und wehleidig, aber in der Öffentlichkeit reiße ich mich meist zusammen. Das gelingt mir jetzt leider nicht und mir entfährt ein ernst gemeintes „Ja um Himmels Willen!“

„Haben Sie Flugzeug?“

Seltsamerweise kommt mir just in diesem Moment voller Dramatik eine andere Folienkartoffel entgegen und fragt mich in gebrochenem Deutsch: „Haben Sie Flugzeug?“ Oh man, ich bin in einem Alptraum gelandet. Was ist das denn jetzt? Ich verneine kurzerhand mit „Nein, ich habe kein Flugzeug“ und widme mich wieder den existenziellen Herausforderungen meines Lebens und diese lauten momentan „Wahnsinn, sie hat meine Haare blondiert!“ Der fragenden Folienkartoffel wird derweil ein Feuerzeug („Flugzeug“) gereicht, sodass sie als erstes rauchendes Knollengemüse zum Qualmen vor die Tür geht. Alle anderen Besucher des Salons zeigen sich weniger indifferent und lauschen dem Friseur-Tatort, der sich zwischen mir und der Friseurin abspielt. „Also mir war nicht an einem schnellen und auffälligen Ergebnis gelegen“ sage ich in einem für mich eher untypisch barschen und lauten Tonfall. Ich wollte einfach nur wieder einigermaßen o.k. aussehen, das ist doch keine allzu große Forderung?“ jammere ich. „Also wir waschen das mal schnell aus, und ich bin mir sicher, das Ergebnis wird Ihnen gefallen.“ Auch die Friseurladenbesitzerin beteuert mit ihrer geballten Expertise. „Also das ist ein toller Farbton, das sehe ich schon bei nassem Haar.“ Und die beiden Barbiere klopfen sich verbal gegenseitig auf die Schulter. Meine Hoffnung auf ein nicht weißes Haar steigt. Zu Recht, wie mir ein Blick in den Spiegel endlich verrät. Meine Haare sind nicht weiß, sondern gelb! Und mir schießen nun tatsächlich die Tränen in die Augen, während mir mein Mann gerade eine heitere Textnachricht mit den Worten schickt: „Genieß’ deinen Friseurbesuch, hier alles bestens, Baby schläft. Kannst Du den Stenz vom Kindergarten abholen?“ Wunderbar, der Stenz wartet also in 15 Minuten auf mich. Wie soll ich in 15 Minuten meine gelben Haare wieder loswerden? Genau diese Bedenken brechen nun schluchzend aus mir heraus. Im Friseursalon ist es totenstill, selbst die qualmende Flugzeug-suchende Folienkartoffel lauscht gespannt dem Haar-Desaster.

Ocker: die neue Trendfarbe der Wintersaison

„Kein Problem, wir klatschen Ihnen da jetzt einfach eine braune Tönung drüber und dann ist alles ganz dezent.“ Großartig,  „Tönung draufklatschen“, das wollte ich schon immer mal eine Friseurin im Zusammenhang mit meinem Besuch sagen hören. Alle Schleusen sind offen, ich heule ungehindert und übergebe mich ohnmächtig weiterhin den Händen dieses Dilettanten-Gespanns. Denn nun werkeln beide Coiffeure relativ hektisch an mir herum. Nach fünf Minuten sichte ich das Ergebnis, das einer missglückten Perücke ähnelt: ein glanzloses, mattes Ocker! Schon das Wort „Ocker“ ist grauenhaft.

Ich weiß, das Ganze ist so absolut lächerlich, es sind ja nur Haare! Aber trotzdem verlasse ich fluchtartig den Laden und schwöre mir, nie wieder zu wenig Zeit zu haben, um in die große, weite Stadt zu fahren – selbst wenn das Baby das nächste Mal mit ’nem Kürbis wirft.

Happy Auslauf

Yoga

Unser Baby ist nun zehn Monate alt und ich habe beschlossen, mal wieder was für mich zu tun. Denn nach zehn Monaten ist auch mal genug mit Altruismus und so. In den letzten Monaten beschlich mich hin und wieder das Gefühl, dass manch eine glückliche Freiland Henne bei uns hier auf dem Land mehr Auslauf am Abend hat als ich. Wer jetzt allerdings denkt, ich habe plötzlich beschlossen, die Korken knallen und die Sau rauszulassen, den muss ich leider enttäuschen. Ich gehe nur zum Sport. Nicht etwa weil ich Sport so liebe oder auch nur im entferntesten gerne mag.

Yoga gegen Rücken

Wer mich kennt weiß, dass ich eher nicht so der sportive Typ bin. Meine Idee zum Sport zu gehen ist eher aus der Not heraus geboren, weil ich in letzter Zeit ziemlich oft Rücken habe, ach was sage ich, ich hab’ Rücken, Nacken und Arme. Vor allem Arme hab‘ ich, aber so was von! Und weil ich es diesmal erst gar nicht so weit kommen lassen will wie damals beim Stenz, als mein Orthopäde schon befürchtete, ich würde ihn stalken und ich ein Dauer Abo beim Physiotherapeuten mein Eigen nennen durfte, gehe ich heute Abend das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit wieder zum Yoga. Dabei gehe ich nicht zu irgendeinem hippen Yoga-Kurs, der mega angesagt ist und bei dem die Sportkleidung minutiös und in stundenlanger Akribie zusammengestellt werden muss, damit man bei den unglaublich trendigen Mit-Yogis, nicht auffällt. Nein, ich gehe zum Yoga in unserem Dorf-Turnverein. Diese Gruppe habe ich, der Turn-Muffel mit ausgeprägter Sport-Phobie, mit großer Sorgfalt und Bedacht gewählt. Die Yoga Gruppe ist perfekt für mich. Zähle ich nämlich mit meinen knapp 40 Jahren zu den Jüngsten, kurioserweise allerdings auch zu den Unbeweglichsten.

Mein Stöhnen, der mahnende Begleiter jeder Yoga-Stunde

Selbst meine siebzigjährige Sitznachbarin mit Hüftleiden und Arthrose führt den Sonnengruß im Vergleich zu mir wie eine beschwingte Bewegungsgöttin und Luft-Akrobatin durch. Dabei habe ich das Gefühl, dass ich eine Art Motivator für all meine betagten Yoga-Mitstreiterinnen bin, denn durch mich, den unbeweglichen Jungspund, fühlen sie sich noch vitaler, energetischer und vor allem extrem sportlich. Ich bin sozusagen der Seelen-Tröster dieser Gruppe, der die Gesetze von Alter und Schwerkraft triumphal widerlegt. Denn ich beginne jede Stunde mit dem etwas verschämt vorgebrachten Satz: „Ich bin so schlapp und weiß noch nicht so genau, ob ich alle Übungen heute so voll in aller Intensität mitmachen kann.“ Daraufhin schauen mich ca. 18 Augenpaare teilweise mit grauem Star mitleidig, aber trotzdem aufmunternd an. „Puh, geschafft“, alle wissen Bescheid und sind vorbereitet als ich nach dem fünften Mal des imaginären acht in die Luft Zeichnens kraftlos und quietschend auf meine Yoga-Matte sinke. „Meine Arme sind einfach so matt“, stöhne ich. Und meine fidele, vorlaute und mir zutiefst sympathische Sitznachbarin Sylvie ruft mir augenzwinkernd zu: „Ach Petra, was habe ich dein Stöhnen vermisst!“ Da kann ich ihr noch so oft sagen, dass ich nicht Petra heiße, für Sylvie bleibe ich stets die stöhnende, schnaufende und motorisch etwas zurückgebliebene Petra.

Salamander auf Stein oder besser Salamander auf Kaktus

Und auch im Verlauf der weiteren Stunde breche ich noch zahlreiche Yoga-Übungen vorzeitig ab und sehne mich nach der entspannenden Abschluss-Meditation und dem kollektiven, Kraft bringenden Ohm zum krönenden Abschluss. Doch vor dem Ende der Stunde stehen noch diverse Partner-Übungen auf dem Programm. Dabei küre ich die Rücken-Einheit „Salamander auf Stein“ zu meinem ganz persönlichen Favoriten. Die lustige Sylvie, die trotz ihres Renten-Alters immer in stylisch- goldenen Ugg-Boots wandelt und auch die coolsten Leggings aller Zeiten ihr eigen nennt kommt fröhlich auf mich zu, da sie mich den Bewegungs-Gehandicapten zu ihrem glücklichen Partner auserkoren hat. „Los Petra, lass’ mich Dein Salamander sein“ wirft sie mir mit einem lauten Lachen krachend entgegen und setzt sich rücklings auf meinen Rücken, während ich bewegungslos in der Pose des „Kindes“ verharre und kaum zu atmen wage. Denn Sylvie ist zwar schlank, aber meine geschundene Wirbelsäule, die  durch das doch recht propere Baby ziemlich angeschlagen ist, verzeiht mir momentan leider keine überflüssigen Kilos, vor allem nicht, wenn diese unwirsch auf sie drauf plumpsen. „Oh mein Gott, Petra, Du hast ja so einen spitzen Rücken, bei dir müsste die Übung eher Salamander auf Kaktus heißen, das ist ja unerträglich! Ne, Petra, ich kann die Übung mit Dir nicht machen, da muss ich leider abbrechen!“ verkündet Sylvie lautstark in die  Gruppe hinein in meine Richtung und bittet die Yoga-Lehrerin ihr korrespondierender Stein zu werden. Wieder schauen mich ca. 18 Augenpaare voller Anteilnahme und Barmherzigkeit an. Zugegeben etwas betrübt, dass ich selbst als Stein nichts tauge zähle ich die verbleibende Zeit bis ich mich endlich schnarchend, im Kerzenschein umhüllt von Engelsduft, ins Land der Träume begeben kann. Vielleicht sollte ich das nächste Mal in meiner persönlichen Auszeit doch besser die Korken knallen lassen?