Weihnachten und andere Katastrophen

Als ich am Tag vor Weihnachten erwachte, fühlte ich mich bereits so zerbröselt wie meine ziemlich missratenen Butter-Plätzchen. Da hätte ich den morgendlichen Weckruf des Mannes „Der Stenz hat Kopfläuse!“ eigentlich nicht mehr gebraucht. Dabei weiß ich nun, dass es den richtigen Zeitpunkt für eine Läuse-Invasion nicht gibt. Es gibt allerdings ein besonders schlechtes Timing für so ein parasitäres Stelldichein, gerade wenn es sich um eine Premiere handelt. Und das ist der Tag vor Heiligabend. Wenn man nach beinahe kriegerischen Einkauf-Marathons, stundenlangen Pack-Zeremonien und nicht enden wollenden Bastel- und Backnachmittagen (gähn) schon so erschöpft in sich zusammensackt, dass man befürchtet, das Christkind aufgrund eines drohenden Burn-Outs zu verpassen. Ja, dann kommt so ein Lausbefall am Vorweihnachtstag einem finalen Dolchstoß gleich. Das weiß ich jetzt!

Der moderne Mann von heute schaukelt die Laus alleine

Aber der Reihe nach, zunächst sah es am Morgen des 23. Dezembers noch gar nicht so düster aus. Denn der Mann schien das Kind bzw. die Laus gut alleine zu schaukeln. Ich erwachte in einem katerähnlichen Zustand, der leider nicht durch Hochprozentiges verursacht wurde, sondern durch ungünstige Verrenkungen während der Christbaum Dekoration und einer finalen Pack-Orgie. Wie aus der Ferne vernahm ich die Stimme des Mannes, der mit stolz geschwellter Brust in einen Lobgesang seiner Heldentaten ausbrach. Wie er die Laus quasi im Nahkampf besiegt hatte, aber nicht ohne sie vorher auch als Laus unter dem Stenz’schen Amateur-Mikroskop identifiziert zu haben. Welch‘ eine couragierte Leistung! Als sich meine müden Knochen dann endlich in Richtung erstem Kaffee bewegten, rannte mir der Stenz schon mit tropfnassen, lausbehandelten Haaren freudig entgegen. „Nein, das Antiläusemittel ist ziemlich giftig, die Behandlung machen wir lieber nicht auch noch prophylaktisch bei Lou.“ fachsimpelte mir mein Mann expertengleich entgegen als ich ihn, immer noch in einem Trance ähnlichen Zustand, nach dem weiteren Procedere befragte. Also beschränkten wir uns einen Tag vor Weihnachten zunächst einmal auf das Säubern unzähliger Bettdecken, Laken, Handtücher und Kopfkissen. Mir war bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht bewusst, welch facettenreiches Kissen-Sammelsurium unser Haushalt sein Eigen nennt. Anstatt der Weihnachtsgans stopften wir diverse Haarbürsten ins Tiefkühlfach und gönnten den Kuscheltieren eine kleine vakuumverpackte Wellness-Auszeit im gelben Sack. Zwischendurch fuhren wir zur Notapotheke und besorgten uns, nur so zur Sicherheit, Nachschub des giftigen Anti-Laus-Gedöns.

Party-Nacht adé – Laus-Eier, ich komme!

Kurz vor acht am Abend, äußerte unsere Zweitgeborene dann mit einem weinerlichen Unterton in der Stimme „Papa, Kopf kratzen, Käfer!“ Ich war gerade dabei, mit letzter Kraft noch kurz zu einem nachbarschaftlichen Geburtstags-Festchen aufzubrechen als sich eine leicht hysterische Stimmung unter unserem Dach breit machte. „Ja, was machen wir denn jetzt? Sie hat auch Nissen!“ Der Laus-Experte, der am Vormittag noch von einer prophylaktischen Antilaus-Behandlung unserer Zweitgeborenen abgeraten hatte, griff nun panisch zur giftigen Tube, um auch der Tochter ihr wohlverdientes Nissen-Treatment zu verpassen. „Geh‘ ruhig, aber lass‘ mich später nicht alleine, komm bitte wenigstens zum Auskämmen der Läuse-Eier wieder.“ Ja, wenn das mal keine motivierenden Worte für eine ausschweifende Party-Nacht sind?

Die perfekte Läuse-Artillerie

Auf der Geburtstagsfeier traf ich dann auf ein ganzes Heer an kampfbereiten Antilaus-Amazonen, die mir mit ihrem profunden Spezial-Wissen zur Seite standen. Und oh Schreck, was erfuhr ich? Der Mann hatte das falsche Tonikum besorgt. „Nyda-Express“, das handliche, vollkommen ungiftige, nach Zitronengras duftende Pumpspray musste her! „Nyda“, was ein eigenartiger Name? Ganz so, als nuschle ein betrunkener Sachse seiner Kopflaus im Vollrausch entgegen: „Nü, da, hau endlich ab!“ Egal, sei’s drum.

Preisfrage: Wird das Christkind, den unter Kochwäsche begrabenen Tannenbaum finden?

Nach ganzen 25 Minuten Partygeschehen bahnte ich mir dann den Weg zurück zu den heimischen Laus-Eiern, vorbei an 70 Wäschespinnen und Hunderten von  Handtüchern und Bettlaken, die träge von unserem Treppengeländer baumelten. Dabei fragte ich mich insgeheim, wie das Christkind wohl um Himmels Willen, den unter tropfender Kochwäsche begrabenen Tannenbaum erfolgreich zu finden gedachte? Nach dieser, einem Hindernis-Lauf gleichenden Odyssee, erreichte ich dann doch endlich das Badezimmer. Hier blinzelte mir unsere schlaftrunkene Tochter mit ihren Brombeer-Äugelein entgegen. Dabei wachte sie beim Auskämmen der Nissen leider wieder ganz plötzlich auf, um ein markerschütterndes Geschrei anzustimmen. Und weil das so lustig klang, machte ich mich anschließend daran, auch dem Stenz seine bereits zweite Laus-Behandlung an diesem Tag, angedeihen zu lassen – hatte er ja einträchtig, Kopf an Kopf, mit seiner Schwester gespielt. Und um so richtig in weihnachtliche Feierlaune zu geraten, läuteten der Mann und ich, quasi als Höhepunkt um Mitternacht, den Heiligen Abend mit einer gegenseitigen Anti-Laus-Kopfmassage ein. Was ein Genuss!

Stille Nacht, heilige NAcht…

Und auch der Weihnachtsmorgen gestaltete sich nicht minder herausfordernd, nämlich mit der Jagd nach der kostbaren sächsischen Wunderwaffe „Nyda Express“. Irgendwie schleppte ich mich dann noch mit letzter Kraft zum Kinderkrippen-Spiel, wunderte mich, wieder zu Hause angekommen, über den starken Flügelschlag des Christkindes, hatte es doch wider Erwarten, all seine Geschenke erfolgreich unter dem Weihnachtsbaum abgeladen. Und während leise „Stille Nacht, heilige Nacht“ erklang,  kippte ich selig lächelnd um und träumte von lausfreien Weihnachten.