Spielzeuge des Grauens oder es lebe das pantomimische Spiel

Ich glaube ich werde irre. Der Grund: Spielzeuge, die direkt aus der Hölle stammen. Was herrschten früher wundervolle Zeiten als sich die Kinder mit dumpf klackernden Bauklötzen, tonlosen Puzzlen und beschaulichem Puppen-Spiel vergnügten. Auch Seilhüpfen, Gummi-Twist und Kartenspiele, die meine Jugend so glücklich und geräuschlos ausfüllten, lassen mir heute Tränen der Wehmut in die Augen steigen und verleiten mich zu nostalgischen Träumereien. Da herrschte in den Häusern und Gärten noch Stille und Beschaulichkeit. Beschaulichkeit fand heute morgen auf jeden Fall wo anders statt, nicht bei uns. 

Frieden für meine Ohros

Dabei fing der Tag so verheißungsvoll an. Louloubelle und der Stenz lagen sich nach dem Aufwachen in den Armen, küssten und herzten sich. Und bei jedem spitzen Freudenschrei meiner Tochter lachte der Stenz liebevoll und mahnte zur Mäßigung: „Pssst, Mama und Papa wollen noch ein bisschen schlafen, nicht so laut schreien kleine Schwester.“ Was habe ich doch für ein Prachtexemplar von Sohn! Die Schwester hörte allerdings nur bedingt, nämlich das Signalwort „Schreien“ und folgte der brüderlichen Anordnung stante pede durch eine nicht enden wollende Freudenschrei-Salve, die maschinenpistolengleich aus ihr herausschoss. Mein spontaner Impuls: ich schob mir die Ohropax noch weiter in meine Hörmuschel, um auch die letzten Millimeter meines Trommelfells von der feindlichen Akustik dieses rauen Morgens abzuschotten. Danach sinnierte ich über die kuriose Bedeutung von „Ohropax“. Welch‘ eine originelle Wort-Kreation: Pax, also Frieden für die Ohros. Ja, Herr, schenk mir Frieden für meine Ohros! Bitte, bitte, sofort!

Testosteron liegt in der Luft

Doch dieses Geschrei ist nur der Auftakt, sozusagen die Aufwärmphase für einen noch viel ohrenbetäubenderen Vormittag. Schlaftrunken wanke ich gen Küche als mich plötzlich von rechts etwas mit einem infernalen Lärm streift. Doch nicht nur von rechts lauert Gefahr, auch von links sind meine Füße Ziel einer gnadenlosen Attacke und meine Lauscherchen werden ein weiteres Mal in Alarmbereitschaft versetzt. Dagegen waren die Jubelrufe meiner Tochter eine Symphonie für die Sinne. Der Mann und der Stenz scheinen allerdings nicht beeinträchtigt, im Gegenteil, sie sind in ihrem Element. Und ich spüre in der Küche eine stark testosterongeschwängerte Atmosphäre, die so gar nicht ausbalanciert ist. Wem wir diese männlich aufgeladene Unheils-Ambiance zu verdanken haben? Gleich zwei laut tosenden und wild blinkenden Super-Verhikeln. Ihre schwarzen, ferngesteuerten Seelen rasen durch unser Wohnzimmer und veranlassen mich zur sofortigen Flucht in den Garten. Wie konnte sich der Stenz bloß diese mephistophelischen Bestien zum Geburtstag wünschen? Und wie konnte ich bloß so blöd sein und diese Wünsche auch noch kommunizieren?

Akustische Apokalpyse

Während ich diesem Gedanken schuldbewusst nachhänge, erweist sich meine Flucht als missglückt. Denn die gewünschte Stille wird jäh unterbrochen. Der Grund: die Mutter allen akustischen Terrors und der personifizierte Hörsturz ist mir gefolgt und zwar in Form zweier harmlos wirkender Walkie Talkies. Doch sie sehen nur auf sichere Entfernung für Taube harmlos aus. Vergiss hochfrequente Freudenschreie, laute, ferngesteuerte Motorengeräusche, diese Walkie Talkies sprengen alles, was meine nach Stille und Frieden lechzenden Ohros in letzter Zeit gehört haben. Ich wusste gar nicht, dass Töne so schmerzen können. Wie nennt man dieses akustische Inferno? Vollkommen kopflos entreiße ich dem Stenz die beiden Kommunikationsgeräte des Grauens. Allerdings mit einem katastrophalen Effekt. Die beiden Walkie Talkies drehen in meinen Händen vollkommen durch. Sie sondern plötzlich einen unberechenbaren Widerhall ab, der für menschliche Ohren das finale Aus bedeutet.  Nur eine unerwartete-Explosion in meinem Garten stelle ich mir schrecklicher vor als diese markerschütternden Interferenzen. Fingernagel-Gekratze auf ’ner Tafel ist dagegen ein Spaziergang. Zu allem Überfluss stimmt der Stenz nun auch noch in diese Kakophonie ein. Er will die Walkie Talkies nämlich um keinen Preis hergeben. Und meine Tochter? Sie hat nichts Besseres zu tun als sich in diesem erbarmungslosen Moment ein kleines, rumliegendes Polizeimotorrad zu schnappen, das mit den harschen Befehlen „Polizei, Polizei, brrrrrrrrrrrr!“ meine finale akustische Apokalypse einläutet. Um Gottes willen. Ich glaube ich werde ohnmächtig, komplett irre oder taub. Ich hätte nie gedacht, dass mir die letzte Option einmal so attraktiv erscheinen würde.

Spielzeug-Industrie, nimm‘ Dich in Acht!

In Amerika kann man doch jeden und jede wegen irgendeinem belanglosen Mist verklagen. Vielleicht sollte ich die Spielzeug-Industrie verklagen. Denn im Laufe der Zeit haben wir so allerhand tönenden Tand bekommen. Dabei waren meine Favoriten bislang: ein sächsisch lispelnder Abschlepp-Truck und eine dämonische Maske, die gruselige Echolaute beim Überstreifen von sich gibt. Besonders schön, wenn ein unschuldiges Baby auf einmal spricht wie ein seniles Ungeheuer. Wissen die Spielzeug-Futzis denn nicht, dass Eltern im wahrsten Sinne des Wortes schon genug um die Ohren haben? Da braucht man nicht noch kreischende Walkie Talkies, plärrendes Fernsteuer-Gedöns und Polizeimotorräder, die ihre diktatorischen Dogmen in die Welt hinaus posaunen. Augen auf bei der Spielzeugwahl! Die nächste Wunschliste des Stenzes wird Dinge wie Memory und Anleitungen für kreative Pantomime beinhalten. Spaß hin oder her. Und bis zum nächsten Wiegenfest? Da verstopfe ich einfach meine Ohros mit den Frieden bringenden Wachs-Bällchen. Das nenn‘ ich mal eine glorreiche Erfindung!

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