Nicht ohne meine Schwester oder Teilen macht Spaß!

Nicht ohne meine Schwester

Ich bin stolz auf unseren Stenz. Er ist großartig. Seit fast neun Monaten liebt er nun unser Baby uneingeschränkt und bedingungslos! Und das obwohl seine Schwester seine Liebe seit geraumer Zeit auf eine harte Bewährungsprobe stellt. Denn auf einmal hat sich unser Baby zu einem fünfzahnigen Mini-Löwen mit eigenem Willen und einer speziellen Saugnapf-Robb-Technik gemausert. Lautete meine Antwort auf die Frage „Und was kann Euer Baby denn so?“ in den ersten sieben Monaten seines Daseins noch etwas verschämt „oh, es kommt nach mir, es kann ganz ausgezeichnet rumliegen und beobachten“. So kann ich heute mit großem Stolz verkünden, dass es sich mittlerweile in Windeseile durch unser Haus mäandert und alles, was ihm unter die Finger oder Zähne kommt, platt macht.

Duplo-Türme – ihr lebt gefährlich!

Dabei hat sich das Baby auf das Zerlegen fragiler Duplo-Baukonstruktionen spezialisiert. Wie ein Raubtier erfolgt die Beute bzw. Zerstörung immer nach einem gewissen Schema:

  1. Das Ziel der Begierde wird löwengleich fest mit den Augen fixiert. Allerdings zeigt der Miniatur-Löwe ein atypisches Jagdverhalten. Denn anstatt sich still und heimlich an seine Beute heranzuschleichen, kündigt das Baby den Beginn seiner Pirsch durch ein freudiges Bockeln und lautstarkes, sonores Brummen an. Ich vermute, dass es sich hierbei um ein besonderes Imponiergehabe handelt, um sich im Land der Baukräne, Legomännchen und Traktoren den nötigen Respekt zu verschaffen. So weiß im Spielzeugparadies jeder, das Baby hat nun seine Fährte aufgenommen.
  2. Saugnapftechnik sei Dank wird das Beute-Objekt dann auch, husch, husch die Waldfee, zügig angesteuert. Dabei wird das Brummen fortgesetzt und akustisch gesteigert.
  3. Bis schließlich unter großem Jauchzen und hochfrequentem Schreien der Todesstoß für die vom Stenz mit viel Liebe und Akribie erbauten Duplo-Türme erfolgt. Entweder es haut mit seinen, für ein neun Monate altes Baby relativ großen Patschehänden, die Legotürme entzwei oder es beißt so lange in die Plastik-Architektur, bis das Bauwerk in sich zusammenfällt.
  4. Dieses Zerstörungs-Feuerwerk wird dann nochmals onomatopoetisch durch einen letzten Schrei der unendlichen Wonne besiegelt.

Leider, denn wenn der Stenz bisher noch nicht von der Verwüstung seiner Duplo-Paläste unterrichtet wurde, erfährt er spätestens jetzt durch das stolze Jubilieren des Jung-Löwen, dass seine kleine Stadt einem verheerenden Erdbeben unterlag. Es ist nachvollziehbar, dass die Ausmerzung seiner manchmal über zwei, drei Tage erbauten Konstruktionen nicht gleichgültig aufgenommen wird. Der Stenz wirft sich auf den Boden, weint schrill und bündelt seine Enttäuschung und Wut in folgendem verbitterten Ausspruch: „Wenn das Baby so weitermacht, will ich es nicht mehr hochzeiten!“ Um diesem Satz auch Taten folgen zu lassen und zum Beweis, dass er es mit seiner Drohung bitterernst meint, folgt ein Zwicken in die Pausbacken des Babys. Und auch im Verlauf des Tages zeigt der Stenz seiner Schwester die kalte Schulter.

Das Baby im Exil

Während die Beziehung meiner Kinder im ersten halben Jahr bei allen Aktivitäten des Stenzes noch unter dem Motto stand: „Nicht OHNE meine Schwester“ lautete gestern das Credo zum ersten Mal „Nicht MIT meiner Schwester“ So ertappe ich den Stenz dabei, wie er das Baby, das unter Aufbringung seiner letzten Kräfte vom Bad bis ins Kinderzimmer robbt, um des Stenzes Spiel mit seinem Freund zu observieren, recht unelegant aus seinem Kinderzimmer hinausmanövriert. Er packt es nämlich an den Beinen und zieht es bäuchlings vor die Kinderzimmertüre, die dann schallend zugeschmissen wird. Das Baby schaut verdutzt und klagt sein Recht auf ein aktives Mitspielen laut vernehmbar ein. Leider ohne Erfolg. Die Kinderzimmertüre bleibt verschlossen.

Der neue Trend im Playmobil-Land: Man trägt Glatze

Nach einer kurzen Zeit des Unmuts besinnt sich das Baby dann aber wieder auf die Spielsachen vor der Kinderzimmertür und erfreut sich an einem kleinen Nachmittags-Snack. Dieser besteht darin, das „Läuse-Buch“, das ich von unserer Kinderärztin vorsorglich zur richtigen Behandlung der lästigen Kopf-Parasiten erhielt, anzuknabbern. Ähnlich wie mein Wellensittich vor zwanzig Jahren nagt sich das Baby mit Vorliebe durch alle Pixie-Bücher des Stenzes. Auch schillernd bunte Kunstwerke, die der Stenz im Kindergarten in stundenlanger Kleinstarbeit fertigte, strahlen für das Baby eine unglaubliche Magie aus. Sie schreien wohl förmlich danach „Iss mich, ich bin lecker“. Eine weitere Delikatesse sind Playmobil Männer und Frauen. Denn an den Köpfen der kleinen Plastik-Figuren lassen sich herrlich die täglich neu erscheinenden Zähne wetzen. Die Zahnbilanz des Babys ist beachtlich: Innerhalb von drei Wochen vier neue Schneidezähne oben. Ich kann es manchmal kaum glauben, wenn ich in das kleine Gesichtchen schaue. Nix mehr mit zahnlosem Lachen. Dieter Bohlen kann sich schon einmal warm anziehen, wenn das so rasant weitergeht. Als Vorsichtsmaßnahme, habe ich sicherheitshalber bei allen tausend Playmobil-Männchen Friseur gespielt und ihnen ihr üppiges Haar gestutzt. Außerdem habe ich sie um sämtliche Hüte und Helme gebracht. Im Zuge einer glatten Rasur stibitzte ich den Rittern außerdem ihre Schwerter, und Armbrüste. Leider mussten auch die Polizisten und Feuerwehrmänner dran glauben und laufen seit der General-Beseitigung sämtlicher Kleinteile, die vom Baby verschluckt werden könnten, ohne Handschuhe, Polizistenkappen, Feuerwehrschläuche und Handkellen umher. Ich gebe zu, es ist ein jämmerlicher Anblick, den der Stenz leider auch sehr schlecht aufnimmt. „Was ist denn mit den Piraten passiert Mama?“ hörte ich ihn fassungslos gen Küche schreien. „Was meinst Du?“ entgegnete ich unschuldig, um etwas Zeit zum Nachdenken zu schinden. „Die haben keine Schwerter mehr und der Captain hat `ne Glatze“ erwiderte der Stenz emotional hoch aufgewühlt. „Du, es ist doch Sommer und unseren Männchen war sehr heiß, die haben furchtbar auf dem Kopf geschwitzt.“ „Papaaaaa, die Mama hat gelügt!!!“ Ich gebe zu, es ist eine infame Lüge, die der Stenz entlarvt und weil ich damit nicht durchkomme, versuchte ich es mit der Wahrheit: „Du, unser Baby kann sich an den ganzen Kleinteilen verschlucken, daher bewahre ich sie vorsorglich für eine Zeitlang an einem sicheren Ort für Dich auf.“ „Nein!“ Es folgt ein mittelgroßer Wutausbruch des Stenzes, den ich sogar recht gut nachvollziehen kann.

Oh Schreck, oh Schreck das Eis ist weg!

Kurz nach der Entbindung gab mir eine Hebamme im Krankenhaus den Rat, sehr behutsam mit meinem Erstgeborenen zu Hause umzugehen. Denn auf einmal mit einem Geschwisterkind konfrontiert zu sein, wäre ja eigentlich so, als würde mein Mann plötzlich eine andere Frau anschleppen, mit der ich fortan alles teilen müsse. Obwohl ich den Vergleich damals etwas waghalsig fand, kommt er mir mittlerweile gar nicht mehr so sonderbar vor. Denn ich glaube, ich würde ebenfalls ausflippen, wenn mir „die Andere“ nicht nur mein Haus verwüsten, sondern auch meine Lieblingssachen wegfuttern würde. Und genau das tut das Baby. Denn nicht nur Playmobil Männchen helfen wohl beim Zahnen, sondern auch Eis – des Stenzes liebste Speise. Verweigert das Baby ja grundsätzlich jede Nahrung außer Milch, macht es bei Eis eine generöse Ausnahme und weitet das Mäulchen beim bloßen Anblick des süßen Vanilletraumes sperrangelweit. Um dem Stenz, der ja ebenfalls nicht gerne isst, vor seiner Hauptmahlzeit den Appetit nicht gänzlich zu verderben, bringe ich ihm im Schwimmbad ein winzig kleines Eis als Appetizer sozusagen. Selbst der Opa bekommt beim Sichten dieses Miniatur-Eises einen Lachanfall und fragt mich ironisch, ob dieses „Eislein“ denn ein Witz sei? Der Stenz reagiert mit ähnlicher Enttäuschung. Diese wird sogar noch größer als ich ihn bitte, seine Schwester einmal von der in homöopathisch dargereichten Süßspeise schlecken zu lassen. Wider Willen hält er ihr das Eis hin. Das Baby sieht es, grapscht danach und stopft sich zwei Drittel des Eises gierig in den Mund. Die Folge: Der Stenz erleidet einen Nervenzusammenbruch, den ich nur durch den Kauf eines XXL-Eises stoppen kann.

Domestizierung des Babys im Käfig

Kein Wunder also, dass des Stenzes liebstes Spiel zur Zeit „Räuber und Gendarm“ ist. Dabei wetzt er dem Baby, alias Räuber auf seinem kleinen Motorrad durchs Wohnzimmer hinterher. Die Oma, die dem Polizei-Hauptmeister Stenz, als rechte Hand dient, wird dazu verdonnert, das Verbrecher-Baby zu schnappen und in seinen Käfig (den Laufstall) zu sperren. Dort wird es dann vom Stenz in Handschellen gelegt und zum Verhör gebeten. Es geht doch nichts über Geschwisterliebe!